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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Abart ist. Selbst in späteren Jahren trat diese Lust
nicht zurück. Da ich einmal an unserem schönen
Strome zu wohnen kam, und im ersten Winter zum
ersten Male das Treibeis sah, konnte ich mich nicht
satt sehen an dem Entstehen desselben und an dem
gegenseitigen Anstoßen und Abreiben der mehr oder
minder runden Kuchen. Selbst in den nächstfolgenden
Wintern stand ich oft stundenlange an dem Ufer, und
sah den Eisbildungen zu, besonders der Entstehung
des Standeises. Das, was vielen so unangenehm
ist, das Verlassen einer Wohnung und das Beziehen
einer andern, machte mir Lust. Mich freute das Ein¬
packen das Auspacken und die Instandesezung der neuen
Räume. In den Jünglingsjahren trat eine weitere
Seite dieses Triebes hervor. Ich liebte nicht blos
Gestalten, sondern ich liebte schöne Gestalten. Dies
war wohl auch schon in dem Kindertriebe vorhanden.
Rothe Farben sternartige oder vielverschlungene
Dinge sprachen mich mehr an als andere. Es kam
aber diese Eigenschaft damals weniger zum Bewußt¬
sein. Als Jüngling begehrte ich die Gestalten, wie
sie als Körper aus der Bildhauerei und Baukunst
hervor gehen, als Flächen Linien und Farben aus
der Malerei, als Folge der Gefühle in der Musik,

Abart iſt. Selbſt in ſpäteren Jahren trat dieſe Luſt
nicht zurück. Da ich einmal an unſerem ſchönen
Strome zu wohnen kam, und im erſten Winter zum
erſten Male das Treibeis ſah, konnte ich mich nicht
ſatt ſehen an dem Entſtehen deſſelben und an dem
gegenſeitigen Anſtoßen und Abreiben der mehr oder
minder runden Kuchen. Selbſt in den nächſtfolgenden
Wintern ſtand ich oft ſtundenlange an dem Ufer, und
ſah den Eisbildungen zu, beſonders der Entſtehung
des Standeiſes. Das, was vielen ſo unangenehm
iſt, das Verlaſſen einer Wohnung und das Beziehen
einer andern, machte mir Luſt. Mich freute das Ein¬
packen das Auspacken und die Inſtandeſezung der neuen
Räume. In den Jünglingsjahren trat eine weitere
Seite dieſes Triebes hervor. Ich liebte nicht blos
Geſtalten, ſondern ich liebte ſchöne Geſtalten. Dies
war wohl auch ſchon in dem Kindertriebe vorhanden.
Rothe Farben ſternartige oder vielverſchlungene
Dinge ſprachen mich mehr an als andere. Es kam
aber dieſe Eigenſchaft damals weniger zum Bewußt¬
ſein. Als Jüngling begehrte ich die Geſtalten, wie
ſie als Körper aus der Bildhauerei und Baukunſt
hervor gehen, als Flächen Linien und Farben aus
der Malerei, als Folge der Gefühle in der Muſik,

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[219/0233] Abart iſt. Selbſt in ſpäteren Jahren trat dieſe Luſt nicht zurück. Da ich einmal an unſerem ſchönen Strome zu wohnen kam, und im erſten Winter zum erſten Male das Treibeis ſah, konnte ich mich nicht ſatt ſehen an dem Entſtehen deſſelben und an dem gegenſeitigen Anſtoßen und Abreiben der mehr oder minder runden Kuchen. Selbſt in den nächſtfolgenden Wintern ſtand ich oft ſtundenlange an dem Ufer, und ſah den Eisbildungen zu, beſonders der Entſtehung des Standeiſes. Das, was vielen ſo unangenehm iſt, das Verlaſſen einer Wohnung und das Beziehen einer andern, machte mir Luſt. Mich freute das Ein¬ packen das Auspacken und die Inſtandeſezung der neuen Räume. In den Jünglingsjahren trat eine weitere Seite dieſes Triebes hervor. Ich liebte nicht blos Geſtalten, ſondern ich liebte ſchöne Geſtalten. Dies war wohl auch ſchon in dem Kindertriebe vorhanden. Rothe Farben ſternartige oder vielverſchlungene Dinge ſprachen mich mehr an als andere. Es kam aber dieſe Eigenſchaft damals weniger zum Bewußt¬ ſein. Als Jüngling begehrte ich die Geſtalten, wie ſie als Körper aus der Bildhauerei und Baukunſt hervor gehen, als Flächen Linien und Farben aus der Malerei, als Folge der Gefühle in der Muſik,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/233>, abgerufen am 28.03.2024.