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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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segnete das Mutterherz, das nun beinahe schon eine
Tagereise weit hinter mir lag, streichelte gleichsam
mit den Fingern die schönen langwimperigen Augen¬
lider der Schwester, die immer etwas blaß aussah,
segnete unser weißes Haus mit dem rothen Dache,
segnete all die Felder und Wäldchen, die hinter mir
lagen, und die ich durchwandelt hatte, und stieg nun
wirklich schwere Thränen in den Augen tragend in
den tiefen Weg hinunter, welcher damals unter hohem
Laubdache hingehend einen der Pässe ausmachte, die
das rauhere Oberland mit dem tiefen Stromlande
verbinden. Ich konnte nun, nachdem ich drei Schritte
gemacht hatte, die Gestaltungen meines Geburtslan¬
des nicht mehr sehen, nur sein Rand war alles, was
meine Augen erreichen konnten, und was mich noch
lange begleiten würde. Ganz andere Bildungen lagen
vor mir. Es war mir, ich müsse umkehren, um nur
noch einmal zurück schauen zu können. Ich that es
aber nicht, weil ich mich vor mir selber schämte, und
ich ging beeiligten Schrittes den Weg hinunter und
immer tiefer hinunter. Ich durfte auch nichts ver¬
zögern, wenn ich vor Einbruch der Nacht noch zu dem
Strome hinunter gelangen wollte, auf dem mich am
andern Morgen ein Schif weiter tragen sollte. Die

ſegnete das Mutterherz, das nun beinahe ſchon eine
Tagereiſe weit hinter mir lag, ſtreichelte gleichſam
mit den Fingern die ſchönen langwimperigen Augen¬
lider der Schweſter, die immer etwas blaß ausſah,
ſegnete unſer weißes Haus mit dem rothen Dache,
ſegnete all die Felder und Wäldchen, die hinter mir
lagen, und die ich durchwandelt hatte, und ſtieg nun
wirklich ſchwere Thränen in den Augen tragend in
den tiefen Weg hinunter, welcher damals unter hohem
Laubdache hingehend einen der Päſſe ausmachte, die
das rauhere Oberland mit dem tiefen Stromlande
verbinden. Ich konnte nun, nachdem ich drei Schritte
gemacht hatte, die Geſtaltungen meines Geburtslan¬
des nicht mehr ſehen, nur ſein Rand war alles, was
meine Augen erreichen konnten, und was mich noch
lange begleiten würde. Ganz andere Bildungen lagen
vor mir. Es war mir, ich müſſe umkehren, um nur
noch einmal zurück ſchauen zu können. Ich that es
aber nicht, weil ich mich vor mir ſelber ſchämte, und
ich ging beeiligten Schrittes den Weg hinunter und
immer tiefer hinunter. Ich durfte auch nichts ver¬
zögern, wenn ich vor Einbruch der Nacht noch zu dem
Strome hinunter gelangen wollte, auf dem mich am
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[234/0248] ſegnete das Mutterherz, das nun beinahe ſchon eine Tagereiſe weit hinter mir lag, ſtreichelte gleichſam mit den Fingern die ſchönen langwimperigen Augen¬ lider der Schweſter, die immer etwas blaß ausſah, ſegnete unſer weißes Haus mit dem rothen Dache, ſegnete all die Felder und Wäldchen, die hinter mir lagen, und die ich durchwandelt hatte, und ſtieg nun wirklich ſchwere Thränen in den Augen tragend in den tiefen Weg hinunter, welcher damals unter hohem Laubdache hingehend einen der Päſſe ausmachte, die das rauhere Oberland mit dem tiefen Stromlande verbinden. Ich konnte nun, nachdem ich drei Schritte gemacht hatte, die Geſtaltungen meines Geburtslan¬ des nicht mehr ſehen, nur ſein Rand war alles, was meine Augen erreichen konnten, und was mich noch lange begleiten würde. Ganz andere Bildungen lagen vor mir. Es war mir, ich müſſe umkehren, um nur noch einmal zurück ſchauen zu können. Ich that es aber nicht, weil ich mich vor mir ſelber ſchämte, und ich ging beeiligten Schrittes den Weg hinunter und immer tiefer hinunter. Ich durfte auch nichts ver¬ zögern, wenn ich vor Einbruch der Nacht noch zu dem Strome hinunter gelangen wollte, auf dem mich am andern Morgen ein Schif weiter tragen ſollte. Die

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/248>, abgerufen am 29.03.2024.