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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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schöne Gebäude, besonders Kirchen, dann Bildsäulen
und Gemälde. Ich brachte manchen Tag damit zu,
mich in die Betrachtung der kleinsten Theile dieser
Dinge zu vertiefen. Auch hatte ich manche Familien
kennen gelernt, wurde bei ihnen aufgenommen, und
bildete nach und nach meinen Umgang mit Menschen
etwas mehr heraus."

"Da ich in dem zweiten Jahre meiner Lernzeit war,
vermählte sich meine Schwester. Ich hatte ihren jezigen
Gatten schon früher gekannt. Er war ein sehr guter
Mann, hatte keine Leidenschaften keine übeln Gewohn¬
heiten, war häuslich sogar auch thätig, hatte eine an¬
genehme Körpererscheinung, war aber sonst nichts
mehr. Diese Vermählung hatte mir keine Freude und
kein Leid gemacht. Da ich meine Schwester so liebte,
so war mir stets, daß sie nie einen andern Mann als
den allerherrlichsten bekommen solle. Dies war nun
wohl nicht der Fall. Die Mutter schrieb mir, daß
mein Schwager seine Gattin sehr verehre, daß er lange
und treu um sie geworben und endlich ihr Herz ge¬
wonnen habe. Sie wohnen in unserem Hause, und
von da aus treibe er still und emsig sein kleines Han¬
delsgeschäft, das sie nähre. Ich schrieb einen Brief
entgegen, worin ich den Vermählten Glück und Segen

ſchöne Gebäude, beſonders Kirchen, dann Bildſäulen
und Gemälde. Ich brachte manchen Tag damit zu,
mich in die Betrachtung der kleinſten Theile dieſer
Dinge zu vertiefen. Auch hatte ich manche Familien
kennen gelernt, wurde bei ihnen aufgenommen, und
bildete nach und nach meinen Umgang mit Menſchen
etwas mehr heraus.“

„Da ich in dem zweiten Jahre meiner Lernzeit war,
vermählte ſich meine Schweſter. Ich hatte ihren jezigen
Gatten ſchon früher gekannt. Er war ein ſehr guter
Mann, hatte keine Leidenſchaften keine übeln Gewohn¬
heiten, war häuslich ſogar auch thätig, hatte eine an¬
genehme Körpererſcheinung, war aber ſonſt nichts
mehr. Dieſe Vermählung hatte mir keine Freude und
kein Leid gemacht. Da ich meine Schweſter ſo liebte,
ſo war mir ſtets, daß ſie nie einen andern Mann als
den allerherrlichſten bekommen ſolle. Dies war nun
wohl nicht der Fall. Die Mutter ſchrieb mir, daß
mein Schwager ſeine Gattin ſehr verehre, daß er lange
und treu um ſie geworben und endlich ihr Herz ge¬
wonnen habe. Sie wohnen in unſerem Hauſe, und
von da aus treibe er ſtill und emſig ſein kleines Han¬
delsgeſchäft, das ſie nähre. Ich ſchrieb einen Brief
entgegen, worin ich den Vermählten Glück und Segen

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[244/0258] ſchöne Gebäude, beſonders Kirchen, dann Bildſäulen und Gemälde. Ich brachte manchen Tag damit zu, mich in die Betrachtung der kleinſten Theile dieſer Dinge zu vertiefen. Auch hatte ich manche Familien kennen gelernt, wurde bei ihnen aufgenommen, und bildete nach und nach meinen Umgang mit Menſchen etwas mehr heraus.“ „Da ich in dem zweiten Jahre meiner Lernzeit war, vermählte ſich meine Schweſter. Ich hatte ihren jezigen Gatten ſchon früher gekannt. Er war ein ſehr guter Mann, hatte keine Leidenſchaften keine übeln Gewohn¬ heiten, war häuslich ſogar auch thätig, hatte eine an¬ genehme Körpererſcheinung, war aber ſonſt nichts mehr. Dieſe Vermählung hatte mir keine Freude und kein Leid gemacht. Da ich meine Schweſter ſo liebte, ſo war mir ſtets, daß ſie nie einen andern Mann als den allerherrlichſten bekommen ſolle. Dies war nun wohl nicht der Fall. Die Mutter ſchrieb mir, daß mein Schwager ſeine Gattin ſehr verehre, daß er lange und treu um ſie geworben und endlich ihr Herz ge¬ wonnen habe. Sie wohnen in unſerem Hauſe, und von da aus treibe er ſtill und emſig ſein kleines Han¬ delsgeſchäft, das ſie nähre. Ich ſchrieb einen Brief entgegen, worin ich den Vermählten Glück und Segen

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/258>, abgerufen am 19.04.2024.