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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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uns Kinder nicht mehr, welches ich in allen Ferien,
die ich zu Hause zugebracht hatte, noch in dem Zu¬
stande aus unserer früheren Zeit her gesehen hatte.
Es war eben eine neue Haushaltung in dem Gebäude
eingerichtet worden. Unter dem Dache angekommen
sah ich, daß man schadhafte Stellen des Daches aus¬
gebessert hatte, daß man neue Ziegel genommen hatte,
und daß an den Kanten, wo sich früher die Rundzie¬
gel befunden hatten, die neue Art der Verklebung
durch Mörtel angewendet worden war. Dies alles
that mir wehe, obwohl es natürlich war, und obwohl
ich es zu einer andern Zeit kaum beachtet haben würde.
Jezt aber war mein Gemüth durch den Schmerz er¬
legt, und jezt schien es mir, als ob man alles Alte
auch die Mutter aus dem Hause hinaus gedrängt
hätte."

"Ich lebte von jezt an still in dem Zimmer, las,
schrieb, ging täglich auf das Grab der Mutter, be¬
suchte die Felder und manches Wäldchen, hielt mich
aber von den Menschen ferne, weil sie immer von
meinem Verluste redeten, und mit den Worten in ihm
stets wühlten. Das Haus war auch sehr stille. Die
Vermählten hatten noch keine Kinder, mein Schwa¬
ger, dessen Wesen friedlich und einfach war, befand

uns Kinder nicht mehr, welches ich in allen Ferien,
die ich zu Hauſe zugebracht hatte, noch in dem Zu¬
ſtande aus unſerer früheren Zeit her geſehen hatte.
Es war eben eine neue Haushaltung in dem Gebäude
eingerichtet worden. Unter dem Dache angekommen
ſah ich, daß man ſchadhafte Stellen des Daches aus¬
gebeſſert hatte, daß man neue Ziegel genommen hatte,
und daß an den Kanten, wo ſich früher die Rundzie¬
gel befunden hatten, die neue Art der Verklebung
durch Mörtel angewendet worden war. Dies alles
that mir wehe, obwohl es natürlich war, und obwohl
ich es zu einer andern Zeit kaum beachtet haben würde.
Jezt aber war mein Gemüth durch den Schmerz er¬
legt, und jezt ſchien es mir, als ob man alles Alte
auch die Mutter aus dem Hauſe hinaus gedrängt
hätte.“

„Ich lebte von jezt an ſtill in dem Zimmer, las,
ſchrieb, ging täglich auf das Grab der Mutter, be¬
ſuchte die Felder und manches Wäldchen, hielt mich
aber von den Menſchen ferne, weil ſie immer von
meinem Verluſte redeten, und mit den Worten in ihm
ſtets wühlten. Das Haus war auch ſehr ſtille. Die
Vermählten hatten noch keine Kinder, mein Schwa¬
ger, deſſen Weſen friedlich und einfach war, befand

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[249/0263] uns Kinder nicht mehr, welches ich in allen Ferien, die ich zu Hauſe zugebracht hatte, noch in dem Zu¬ ſtande aus unſerer früheren Zeit her geſehen hatte. Es war eben eine neue Haushaltung in dem Gebäude eingerichtet worden. Unter dem Dache angekommen ſah ich, daß man ſchadhafte Stellen des Daches aus¬ gebeſſert hatte, daß man neue Ziegel genommen hatte, und daß an den Kanten, wo ſich früher die Rundzie¬ gel befunden hatten, die neue Art der Verklebung durch Mörtel angewendet worden war. Dies alles that mir wehe, obwohl es natürlich war, und obwohl ich es zu einer andern Zeit kaum beachtet haben würde. Jezt aber war mein Gemüth durch den Schmerz er¬ legt, und jezt ſchien es mir, als ob man alles Alte auch die Mutter aus dem Hauſe hinaus gedrängt hätte.“ „Ich lebte von jezt an ſtill in dem Zimmer, las, ſchrieb, ging täglich auf das Grab der Mutter, be¬ ſuchte die Felder und manches Wäldchen, hielt mich aber von den Menſchen ferne, weil ſie immer von meinem Verluſte redeten, und mit den Worten in ihm ſtets wühlten. Das Haus war auch ſehr ſtille. Die Vermählten hatten noch keine Kinder, mein Schwa¬ ger, deſſen Weſen friedlich und einfach war, befand

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/263>, abgerufen am 24.04.2024.