Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

sträuch, sei es eine Blume, so machte man mich darauf
aufmerksam, man brachte den größten Theil der Zeit
im Freien zu, und machte weit öfter und weit längere
Spaziergänge als sonst. Mathilde erzählte mir es,
wenn sie den Gesang eines Vogels gehört hatte, wenn
Faltern vorüber geflogen waren, wenn sich ein Becher
in einem Gebüsche geöffnet hatte, ja sie gab mir zu¬
weilen Blumen, um sie in meiner Wohnung aufzu¬
bewahren."

"So verging der Frühling, und der Sommer
rückte vor. War mir das Leben im vergangenen Jahre
in dieser Familie angenehm gewesen, so war es mir
in diesem noch angenehmer. Wir gewöhnten uns im¬
mer mehr an einander, und mir war zuweilen, als
hätte ich wieder eine unzerstörbare Heimath. Der
Herr des Hauses zeichnete mich aus, er besuchte mich
oft in meiner Wohnung, und sprach lange mit mir,
er lud mich zu sich, zeigte mir seine Sammlungen,
seine Arbeiten, und sprach über Gegenstände, die be¬
wiesen, daß er mich auch achte. Mathildens Mutter
war sehr liebreich freundlich und gütig. Sie sorgte
wie früher für mich; aber sie that es einfacher, und
fast wie ein Ding, das sich von selber verstehe. Wir
waren oft alle in ihrem Zimmer, und spielten ein kin¬

ſträuch, ſei es eine Blume, ſo machte man mich darauf
aufmerkſam, man brachte den größten Theil der Zeit
im Freien zu, und machte weit öfter und weit längere
Spaziergänge als ſonſt. Mathilde erzählte mir es,
wenn ſie den Geſang eines Vogels gehört hatte, wenn
Faltern vorüber geflogen waren, wenn ſich ein Becher
in einem Gebüſche geöffnet hatte, ja ſie gab mir zu¬
weilen Blumen, um ſie in meiner Wohnung aufzu¬
bewahren.“

„So verging der Frühling, und der Sommer
rückte vor. War mir das Leben im vergangenen Jahre
in dieſer Familie angenehm geweſen, ſo war es mir
in dieſem noch angenehmer. Wir gewöhnten uns im¬
mer mehr an einander, und mir war zuweilen, als
hätte ich wieder eine unzerſtörbare Heimath. Der
Herr des Hauſes zeichnete mich aus, er beſuchte mich
oft in meiner Wohnung, und ſprach lange mit mir,
er lud mich zu ſich, zeigte mir ſeine Sammlungen,
ſeine Arbeiten, und ſprach über Gegenſtände, die be¬
wieſen, daß er mich auch achte. Mathildens Mutter
war ſehr liebreich freundlich und gütig. Sie ſorgte
wie früher für mich; aber ſie that es einfacher, und
faſt wie ein Ding, das ſich von ſelber verſtehe. Wir
waren oft alle in ihrem Zimmer, und ſpielten ein kin¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0298" n="284"/>
&#x017F;träuch, &#x017F;ei es eine Blume, &#x017F;o machte man mich darauf<lb/>
aufmerk&#x017F;am, man brachte den größten Theil der Zeit<lb/>
im Freien zu, und machte weit öfter und weit längere<lb/>
Spaziergänge als &#x017F;on&#x017F;t. Mathilde erzählte mir es,<lb/>
wenn &#x017F;ie den Ge&#x017F;ang eines Vogels gehört hatte, wenn<lb/>
Faltern vorüber geflogen waren, wenn &#x017F;ich ein Becher<lb/>
in einem Gebü&#x017F;che geöffnet hatte, ja &#x017F;ie gab mir zu¬<lb/>
weilen Blumen, um &#x017F;ie in meiner Wohnung aufzu¬<lb/>
bewahren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So verging der Frühling, und der Sommer<lb/>
rückte vor. War mir das Leben im vergangenen Jahre<lb/>
in die&#x017F;er Familie angenehm gewe&#x017F;en, &#x017F;o war es mir<lb/>
in die&#x017F;em noch angenehmer. Wir gewöhnten uns im¬<lb/>
mer mehr an einander, und mir war zuweilen, als<lb/>
hätte ich wieder eine unzer&#x017F;törbare Heimath. Der<lb/>
Herr des Hau&#x017F;es zeichnete mich aus, er be&#x017F;uchte mich<lb/>
oft in meiner Wohnung, und &#x017F;prach lange mit mir,<lb/>
er lud mich zu &#x017F;ich, zeigte mir &#x017F;eine Sammlungen,<lb/>
&#x017F;eine Arbeiten, und &#x017F;prach über Gegen&#x017F;tände, die be¬<lb/>
wie&#x017F;en, daß er mich auch achte. Mathildens Mutter<lb/>
war &#x017F;ehr liebreich freundlich und gütig. Sie &#x017F;orgte<lb/>
wie früher für mich; aber &#x017F;ie that es einfacher, und<lb/>
fa&#x017F;t wie ein Ding, das &#x017F;ich von &#x017F;elber ver&#x017F;tehe. Wir<lb/>
waren oft alle in ihrem Zimmer, und &#x017F;pielten ein kin¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0298] ſträuch, ſei es eine Blume, ſo machte man mich darauf aufmerkſam, man brachte den größten Theil der Zeit im Freien zu, und machte weit öfter und weit längere Spaziergänge als ſonſt. Mathilde erzählte mir es, wenn ſie den Geſang eines Vogels gehört hatte, wenn Faltern vorüber geflogen waren, wenn ſich ein Becher in einem Gebüſche geöffnet hatte, ja ſie gab mir zu¬ weilen Blumen, um ſie in meiner Wohnung aufzu¬ bewahren.“ „So verging der Frühling, und der Sommer rückte vor. War mir das Leben im vergangenen Jahre in dieſer Familie angenehm geweſen, ſo war es mir in dieſem noch angenehmer. Wir gewöhnten uns im¬ mer mehr an einander, und mir war zuweilen, als hätte ich wieder eine unzerſtörbare Heimath. Der Herr des Hauſes zeichnete mich aus, er beſuchte mich oft in meiner Wohnung, und ſprach lange mit mir, er lud mich zu ſich, zeigte mir ſeine Sammlungen, ſeine Arbeiten, und ſprach über Gegenſtände, die be¬ wieſen, daß er mich auch achte. Mathildens Mutter war ſehr liebreich freundlich und gütig. Sie ſorgte wie früher für mich; aber ſie that es einfacher, und faſt wie ein Ding, das ſich von ſelber verſtehe. Wir waren oft alle in ihrem Zimmer, und ſpielten ein kin¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/298
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/298>, abgerufen am 24.04.2024.