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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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leichter, und je mehr sich die Worte von dem Herzen
löseten, desto süßer wurde mein Gefühl. Ich hatte
nicht geglaubt, daß ich von diesem meinen innersten
Wesen zu irgend jemanden sprechen könnte; aber
Klotildens Seele war der einzige liebe Schrein, in
welchem ich das Theure niederlegen konnte.

Wir blieben sehr lange sizen, immer fragte mich
Klotilde wieder um Neues und wieder um Altes. Da
kam die Mutter in meine Stube. Da sie uns in ver¬
traulichem Gespräche sizen fand, sezte sie sich auch zu
dem Tische, der vor mir und Klotilden stand, und
sagte nach einer kurzen Weile, daß sie gekommen sei,
uns zum Frühmahle zu holen. Sie hätte Klotilden
nirgends gesehen, und hätte gemeint, daß sie an die¬
sem Morgen bei mir sein müsse.

"Meine geliebten Kinder," fuhr sie fort, "bewahrt
euch eure Liebe, entfremdet euch nie eure Herzen, und
bleibt euch in allen Lagen zugewandt, wie ihr euch
jezt und wie ihr den Eltern zugewandt seid; dann
werdet ihr einen Schaz haben, der einer der schönsten
im Leben ist, und der so oft verkannt wird. Ihr wer¬
det in eurer Vereinigung sittlich stark sein, ihr werdet
die Freude eures Vaters bilden und mir werdet ihr
das Glück meines Alters sein."

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leichter, und je mehr ſich die Worte von dem Herzen
löſeten, deſto ſüßer wurde mein Gefühl. Ich hatte
nicht geglaubt, daß ich von dieſem meinen innerſten
Weſen zu irgend jemanden ſprechen könnte; aber
Klotildens Seele war der einzige liebe Schrein, in
welchem ich das Theure niederlegen konnte.

Wir blieben ſehr lange ſizen, immer fragte mich
Klotilde wieder um Neues und wieder um Altes. Da
kam die Mutter in meine Stube. Da ſie uns in ver¬
traulichem Geſpräche ſizen fand, ſezte ſie ſich auch zu
dem Tiſche, der vor mir und Klotilden ſtand, und
ſagte nach einer kurzen Weile, daß ſie gekommen ſei,
uns zum Frühmahle zu holen. Sie hätte Klotilden
nirgends geſehen, und hätte gemeint, daß ſie an die¬
ſem Morgen bei mir ſein müſſe.

„Meine geliebten Kinder,“ fuhr ſie fort, „bewahrt
euch eure Liebe, entfremdet euch nie eure Herzen, und
bleibt euch in allen Lagen zugewandt, wie ihr euch
jezt und wie ihr den Eltern zugewandt ſeid; dann
werdet ihr einen Schaz haben, der einer der ſchönſten
im Leben iſt, und der ſo oft verkannt wird. Ihr wer¬
det in eurer Vereinigung ſittlich ſtark ſein, ihr werdet
die Freude eures Vaters bilden und mir werdet ihr
das Glück meines Alters ſein.“

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[51/0065] leichter, und je mehr ſich die Worte von dem Herzen löſeten, deſto ſüßer wurde mein Gefühl. Ich hatte nicht geglaubt, daß ich von dieſem meinen innerſten Weſen zu irgend jemanden ſprechen könnte; aber Klotildens Seele war der einzige liebe Schrein, in welchem ich das Theure niederlegen konnte. Wir blieben ſehr lange ſizen, immer fragte mich Klotilde wieder um Neues und wieder um Altes. Da kam die Mutter in meine Stube. Da ſie uns in ver¬ traulichem Geſpräche ſizen fand, ſezte ſie ſich auch zu dem Tiſche, der vor mir und Klotilden ſtand, und ſagte nach einer kurzen Weile, daß ſie gekommen ſei, uns zum Frühmahle zu holen. Sie hätte Klotilden nirgends geſehen, und hätte gemeint, daß ſie an die¬ ſem Morgen bei mir ſein müſſe. „Meine geliebten Kinder,“ fuhr ſie fort, „bewahrt euch eure Liebe, entfremdet euch nie eure Herzen, und bleibt euch in allen Lagen zugewandt, wie ihr euch jezt und wie ihr den Eltern zugewandt ſeid; dann werdet ihr einen Schaz haben, der einer der ſchönſten im Leben iſt, und der ſo oft verkannt wird. Ihr wer¬ det in eurer Vereinigung ſittlich ſtark ſein, ihr werdet die Freude eures Vaters bilden und mir werdet ihr das Glück meines Alters ſein.“ 4 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/65>, abgerufen am 29.03.2024.