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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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und wir nahmen ein kleines Frühmahl ein. Nach dem¬
selben sagte ich Lebewohl.

"Gott segne dich, mein Sohn," sprach die Mutter,
"Gott segne dich auf deinem Wege, er ist der ent¬
scheidende, du bist nie einen so wichtigen gegangen.
Wenn mein Gebet und meine Wünsche etwas vermö¬
gen, wirst du ihn nicht bereuen."

Sie küßte mich auf den Mund, und machte mir
das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn.

Der Vater sagte: "Du hast von deiner frühen
Jugend an erfahren, daß ich mich nicht in deine An¬
gelegenheiten menge; handle selbstständig, und trage
die Folgen. Wenn du mich frägst, wie du jezt gethan
hast, so werde ich dir immer beistehen, in so weit es
meine größere Erfahrung vermag. Aber einen Rath
möchte ich dir doch in dieser wichtigen Angelegenheit
geben, oder vielmehr nicht einen Rath geben, son¬
dern deine Aufmerksamkeit möchte ich auf einen Um¬
stand leiten, auf den du vielleicht in der Befangenheit
dieser Tage nicht gedacht hast. Ehe du das ernste
Band schließest, ist noch Manches für dich nothwen¬
dig, deinen Geist und dein Gemüth zu stärken und zu
festigen. Eine Reise in die wichtigsten Städte Eu¬
ropas und zu den bedeutendsten Völkern ist ein sehr

und wir nahmen ein kleines Frühmahl ein. Nach dem¬
ſelben ſagte ich Lebewohl.

„Gott ſegne dich, mein Sohn,“ ſprach die Mutter,
„Gott ſegne dich auf deinem Wege, er iſt der ent¬
ſcheidende, du biſt nie einen ſo wichtigen gegangen.
Wenn mein Gebet und meine Wünſche etwas vermö¬
gen, wirſt du ihn nicht bereuen.“

Sie küßte mich auf den Mund, und machte mir
das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn.

Der Vater ſagte: „Du haſt von deiner frühen
Jugend an erfahren, daß ich mich nicht in deine An¬
gelegenheiten menge; handle ſelbſtſtändig, und trage
die Folgen. Wenn du mich frägſt, wie du jezt gethan
haſt, ſo werde ich dir immer beiſtehen, in ſo weit es
meine größere Erfahrung vermag. Aber einen Rath
möchte ich dir doch in dieſer wichtigen Angelegenheit
geben, oder vielmehr nicht einen Rath geben, ſon¬
dern deine Aufmerkſamkeit möchte ich auf einen Um¬
ſtand leiten, auf den du vielleicht in der Befangenheit
dieſer Tage nicht gedacht haſt. Ehe du das ernſte
Band ſchließeſt, iſt noch Manches für dich nothwen¬
dig, deinen Geiſt und dein Gemüth zu ſtärken und zu
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[60/0074] und wir nahmen ein kleines Frühmahl ein. Nach dem¬ ſelben ſagte ich Lebewohl. „Gott ſegne dich, mein Sohn,“ ſprach die Mutter, „Gott ſegne dich auf deinem Wege, er iſt der ent¬ ſcheidende, du biſt nie einen ſo wichtigen gegangen. Wenn mein Gebet und meine Wünſche etwas vermö¬ gen, wirſt du ihn nicht bereuen.“ Sie küßte mich auf den Mund, und machte mir das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn. Der Vater ſagte: „Du haſt von deiner frühen Jugend an erfahren, daß ich mich nicht in deine An¬ gelegenheiten menge; handle ſelbſtſtändig, und trage die Folgen. Wenn du mich frägſt, wie du jezt gethan haſt, ſo werde ich dir immer beiſtehen, in ſo weit es meine größere Erfahrung vermag. Aber einen Rath möchte ich dir doch in dieſer wichtigen Angelegenheit geben, oder vielmehr nicht einen Rath geben, ſon¬ dern deine Aufmerkſamkeit möchte ich auf einen Um¬ ſtand leiten, auf den du vielleicht in der Befangenheit dieſer Tage nicht gedacht haſt. Ehe du das ernſte Band ſchließeſt, iſt noch Manches für dich nothwen¬ dig, deinen Geiſt und dein Gemüth zu ſtärken und zu feſtigen. Eine Reiſe in die wichtigſten Städte Eu¬ ropas und zu den bedeutendſten Völkern iſt ein ſehr

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/74>, abgerufen am 29.03.2024.