Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

herzustellen suchen, wo es Schaden gelitten hatte. Es
sei ein ganz eigenes Ding um die Befähigung und
den Drang hiezu.

"Wir haben schon einmal über Ähnliches gespro¬
chen," sagte mein Gastfreund, "meine Erfahrungen in
der Zeit meines Lebens haben mich gelehrt, daß es
ganz bestimmte Anlagen zu ganz bestimmten Dingen
gibt, mit denen die Menschen geboren werden. Nur in
der Größe unterscheiden sich diese Anlagen, in der
Möglichkeit, sich auszusprechen, und in der Gelegen¬
heit, kräftig zur Wirksamkeit kommen zu können. Da¬
durch scheint Gott die Manigfaltigkeit der Thaten
mit ihrem nachdrücklichsten Erfolge, wie es auf der
Erde nothwendig ist, vermitteln zu wollen. Es er¬
schien mir immer merkwürdig, wo ich Gelegenheit
hatte, es zu beobachten, wie bei Menschen, die be¬
stimmt sind, ganz Ungewöhnliches in einer Richtung
zu leisten, sich ihre Anlage bis in die feinsten Fäden
ihres Gegenstandes ausspricht, und zu ihm hindrängt,
während sie in Anderm bis zum Kindlichen unwissend
bleiben können. Einer, der über Kunstdinge troz aller
Belehrung troz alles Umganges troz langjähriger täg¬
licher Berührung mit auserlesenen Kunstwerken nie
Anderes als Ungereimtes sagen konnte, war ein

herzuſtellen ſuchen, wo es Schaden gelitten hatte. Es
ſei ein ganz eigenes Ding um die Befähigung und
den Drang hiezu.

„Wir haben ſchon einmal über Ähnliches geſpro¬
chen,“ ſagte mein Gaſtfreund, „meine Erfahrungen in
der Zeit meines Lebens haben mich gelehrt, daß es
ganz beſtimmte Anlagen zu ganz beſtimmten Dingen
gibt, mit denen die Menſchen geboren werden. Nur in
der Größe unterſcheiden ſich dieſe Anlagen, in der
Möglichkeit, ſich auszuſprechen, und in der Gelegen¬
heit, kräftig zur Wirkſamkeit kommen zu können. Da¬
durch ſcheint Gott die Manigfaltigkeit der Thaten
mit ihrem nachdrücklichſten Erfolge, wie es auf der
Erde nothwendig iſt, vermitteln zu wollen. Es er¬
ſchien mir immer merkwürdig, wo ich Gelegenheit
hatte, es zu beobachten, wie bei Menſchen, die be¬
ſtimmt ſind, ganz Ungewöhnliches in einer Richtung
zu leiſten, ſich ihre Anlage bis in die feinſten Fäden
ihres Gegenſtandes ausſpricht, und zu ihm hindrängt,
während ſie in Anderm bis zum Kindlichen unwiſſend
bleiben können. Einer, der über Kunſtdinge troz aller
Belehrung troz alles Umganges troz langjähriger täg¬
licher Berührung mit auserleſenen Kunſtwerken nie
Anderes als Ungereimtes ſagen konnte, war ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="80"/>
herzu&#x017F;tellen &#x017F;uchen, wo es Schaden gelitten hatte. Es<lb/>
&#x017F;ei ein ganz eigenes Ding um die Befähigung und<lb/>
den Drang hiezu.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir haben &#x017F;chon einmal über Ähnliches ge&#x017F;pro¬<lb/>
chen,&#x201C; &#x017F;agte mein Ga&#x017F;tfreund, &#x201E;meine Erfahrungen in<lb/>
der Zeit meines Lebens haben mich gelehrt, daß es<lb/>
ganz be&#x017F;timmte Anlagen zu ganz be&#x017F;timmten Dingen<lb/>
gibt, mit denen die Men&#x017F;chen geboren werden. Nur in<lb/>
der Größe unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich die&#x017F;e Anlagen, in der<lb/>
Möglichkeit, &#x017F;ich auszu&#x017F;prechen, und in der Gelegen¬<lb/>
heit, kräftig zur Wirk&#x017F;amkeit kommen zu können. Da¬<lb/>
durch &#x017F;cheint Gott die Manigfaltigkeit der Thaten<lb/>
mit ihrem nachdrücklich&#x017F;ten Erfolge, wie es auf der<lb/>
Erde nothwendig i&#x017F;t, vermitteln zu wollen. Es er¬<lb/>
&#x017F;chien mir immer merkwürdig, wo ich Gelegenheit<lb/>
hatte, es zu beobachten, wie bei Men&#x017F;chen, die be¬<lb/>
&#x017F;timmt &#x017F;ind, ganz Ungewöhnliches in einer Richtung<lb/>
zu lei&#x017F;ten, &#x017F;ich ihre Anlage bis in die fein&#x017F;ten Fäden<lb/>
ihres Gegen&#x017F;tandes aus&#x017F;pricht, und zu ihm hindrängt,<lb/>
während &#x017F;ie in Anderm bis zum Kindlichen unwi&#x017F;&#x017F;end<lb/>
bleiben können. Einer, der über Kun&#x017F;tdinge troz aller<lb/>
Belehrung troz alles Umganges troz langjähriger täg¬<lb/>
licher Berührung mit auserle&#x017F;enen Kun&#x017F;twerken nie<lb/>
Anderes als Ungereimtes &#x017F;agen konnte, war ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0094] herzuſtellen ſuchen, wo es Schaden gelitten hatte. Es ſei ein ganz eigenes Ding um die Befähigung und den Drang hiezu. „Wir haben ſchon einmal über Ähnliches geſpro¬ chen,“ ſagte mein Gaſtfreund, „meine Erfahrungen in der Zeit meines Lebens haben mich gelehrt, daß es ganz beſtimmte Anlagen zu ganz beſtimmten Dingen gibt, mit denen die Menſchen geboren werden. Nur in der Größe unterſcheiden ſich dieſe Anlagen, in der Möglichkeit, ſich auszuſprechen, und in der Gelegen¬ heit, kräftig zur Wirkſamkeit kommen zu können. Da¬ durch ſcheint Gott die Manigfaltigkeit der Thaten mit ihrem nachdrücklichſten Erfolge, wie es auf der Erde nothwendig iſt, vermitteln zu wollen. Es er¬ ſchien mir immer merkwürdig, wo ich Gelegenheit hatte, es zu beobachten, wie bei Menſchen, die be¬ ſtimmt ſind, ganz Ungewöhnliches in einer Richtung zu leiſten, ſich ihre Anlage bis in die feinſten Fäden ihres Gegenſtandes ausſpricht, und zu ihm hindrängt, während ſie in Anderm bis zum Kindlichen unwiſſend bleiben können. Einer, der über Kunſtdinge troz aller Belehrung troz alles Umganges troz langjähriger täg¬ licher Berührung mit auserleſenen Kunſtwerken nie Anderes als Ungereimtes ſagen konnte, war ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/94
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/94>, abgerufen am 29.03.2024.