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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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Unzahl wiederkehrenden Handlungen der Menschen,
in denen dieses Gesez am sichersten als Schwerpunkt
liegt, weil diese Handlungen die dauernden die
gründenden sind, gleichsam die Millionen Wurzel¬
fasern des Baumes des Lebens. So wie in der Natur
die allgemeinen Geseze still und unaufhörlich wirken,
und das Auffällige nur eine einzelne Äußerung dieser
Geseze ist, so wirkt das Sittengesez still und seelen¬
belebend durch den unendlichen Verkehr der Menschen
mit Menschen, und die Wunder des Augenblikes bei
vorgefallenen Thaten sind nur kleine Merkmale dieser
allgemeinen Kraft. So ist dieses Gesez, so wie das der
Natur das welterhaltende ist, das menschenerhaltende.

Wie in der Geschichte der Natur die Ansichten
über das Große sich stets geändert haben, so ist es
auch in der sittlichen Geschichte der Menschen gewesen.
Anfangs wurden sie von dem Nächstliegenden berührt,
körperliche Stärke und ihre Siege im Ringkampfe
wurden gepriesen, dann kamen Tapferkeit und Krieges¬
muth dahin zielend, heftige Empfindungen und Leiden¬
schaften gegen feindselige Haufen und Verbindungen
auszudrüken und auszuführen, dann wurde Stam¬
meshoheit und Familienherrschaft besungen, inzwischen
auch Schönheit und Liebe so wie Freundschaft und
Aufopferung gefeiert, dann aber erschien ein Über¬

Unzahl wiederkehrenden Handlungen der Menſchen,
in denen dieſes Geſez am ſicherſten als Schwerpunkt
liegt, weil dieſe Handlungen die dauernden die
gründenden ſind, gleichſam die Millionen Wurzel¬
faſern des Baumes des Lebens. So wie in der Natur
die allgemeinen Geſeze ſtill und unaufhörlich wirken,
und das Auffällige nur eine einzelne Äußerung dieſer
Geſeze iſt, ſo wirkt das Sittengeſez ſtill und ſeelen¬
belebend durch den unendlichen Verkehr der Menſchen
mit Menſchen, und die Wunder des Augenblikes bei
vorgefallenen Thaten ſind nur kleine Merkmale dieſer
allgemeinen Kraft. So iſt dieſes Geſez, ſo wie das der
Natur das welterhaltende iſt, das menſchenerhaltende.

Wie in der Geſchichte der Natur die Anſichten
über das Große ſich ſtets geändert haben, ſo iſt es
auch in der ſittlichen Geſchichte der Menſchen geweſen.
Anfangs wurden ſie von dem Nächſtliegenden berührt,
körperliche Stärke und ihre Siege im Ringkampfe
wurden geprieſen, dann kamen Tapferkeit und Krieges¬
muth dahin zielend, heftige Empfindungen und Leiden¬
ſchaften gegen feindſelige Haufen und Verbindungen
auszudrüken und auszuführen, dann wurde Stam¬
meshoheit und Familienherrſchaft beſungen, inzwiſchen
auch Schönheit und Liebe ſo wie Freundſchaft und
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[10/0023] Unzahl wiederkehrenden Handlungen der Menſchen, in denen dieſes Geſez am ſicherſten als Schwerpunkt liegt, weil dieſe Handlungen die dauernden die gründenden ſind, gleichſam die Millionen Wurzel¬ faſern des Baumes des Lebens. So wie in der Natur die allgemeinen Geſeze ſtill und unaufhörlich wirken, und das Auffällige nur eine einzelne Äußerung dieſer Geſeze iſt, ſo wirkt das Sittengeſez ſtill und ſeelen¬ belebend durch den unendlichen Verkehr der Menſchen mit Menſchen, und die Wunder des Augenblikes bei vorgefallenen Thaten ſind nur kleine Merkmale dieſer allgemeinen Kraft. So iſt dieſes Geſez, ſo wie das der Natur das welterhaltende iſt, das menſchenerhaltende. Wie in der Geſchichte der Natur die Anſichten über das Große ſich ſtets geändert haben, ſo iſt es auch in der ſittlichen Geſchichte der Menſchen geweſen. Anfangs wurden ſie von dem Nächſtliegenden berührt, körperliche Stärke und ihre Siege im Ringkampfe wurden geprieſen, dann kamen Tapferkeit und Krieges¬ muth dahin zielend, heftige Empfindungen und Leiden¬ ſchaften gegen feindſelige Haufen und Verbindungen auszudrüken und auszuführen, dann wurde Stam¬ meshoheit und Familienherrſchaft beſungen, inzwiſchen auch Schönheit und Liebe ſo wie Freundſchaft und Aufopferung gefeiert, dann aber erſchien ein Über¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/23>, abgerufen am 20.04.2024.