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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

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runde roth angestrichene Balken, der das Bild trug,
in dem dürren Grase liege, das wie dünnes Stroh
an der Stelle stand, und den Anblik der liegenden
Säule verdekte. Sie sahen zwar nicht ein, warum die
Säule liege, ob sie umgeworfen worden, oder ob sie
von selber umgefallen sei, das sahen sie, daß sie an
der Stelle, wo sie in die Erde ragte, sehr morsch war,
und daß sie daher sehr leicht habe umfallen können;
aber da sie einmal lag, so machte es ihnen Freude,
daß sie das Bild und die Schrift so nahe betrachten
konnten, wie es sonst nie der Fall gewesen war. Als
sie alles -- den Korb mit den Semmeln, die bleichen
Hände des Bekers, seine geschlossenen Augen, seinen
grauen Rok und die umstehenden Tannen -- betrachtet
hatten, als sie die Schrift gelesen und laut gesagt
hatten, gingen sie wieder weiter.

Abermal nach einer Stunde wichen die dunkeln
Wälder zu beiden Seiten zurük, dünnstehende Bäume
theils einzelne Eichen theils Birken und Gebüsch¬
gruppen empfingen sie, geleiteten sie weiter, und nach
Kurzem liefen sie auf den Wiesen in das Millsdorfer
Thal hinab.

Obwohl dieses Thal bedeutend tiefer liegt als
das von Gschaid, und auch um so viel wärmer war,
daß man die Erndte immer um vierzehn Tage früher

runde roth angeſtrichene Balken, der das Bild trug,
in dem dürren Graſe liege, das wie dünnes Stroh
an der Stelle ſtand, und den Anblik der liegenden
Säule verdekte. Sie ſahen zwar nicht ein, warum die
Säule liege, ob ſie umgeworfen worden, oder ob ſie
von ſelber umgefallen ſei, das ſahen ſie, daß ſie an
der Stelle, wo ſie in die Erde ragte, ſehr morſch war,
und daß ſie daher ſehr leicht habe umfallen können;
aber da ſie einmal lag, ſo machte es ihnen Freude,
daß ſie das Bild und die Schrift ſo nahe betrachten
konnten, wie es ſonst nie der Fall geweſen war. Als
ſie alles — den Korb mit den Semmeln, die bleichen
Hände des Bekers, ſeine geſchloſſenen Augen, ſeinen
grauen Rok und die umſtehenden Tannen — betrachtet
hatten, als ſie die Schrift geleſen und laut geſagt
hatten, gingen ſie wieder weiter.

Abermal nach einer Stunde wichen die dunkeln
Wälder zu beiden Seiten zurük, dünnſtehende Bäume
theils einzelne Eichen theils Birken und Gebüſch¬
gruppen empfingen ſie, geleiteten ſie weiter, und nach
Kurzem liefen ſie auf den Wieſen in das Millsdorfer
Thal hinab.

Obwohl dieſes Thal bedeutend tiefer liegt als
das von Gſchaid, und auch um ſo viel wärmer war,
daß man die Erndte immer um vierzehn Tage früher

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[39/0050] runde roth angeſtrichene Balken, der das Bild trug, in dem dürren Graſe liege, das wie dünnes Stroh an der Stelle ſtand, und den Anblik der liegenden Säule verdekte. Sie ſahen zwar nicht ein, warum die Säule liege, ob ſie umgeworfen worden, oder ob ſie von ſelber umgefallen ſei, das ſahen ſie, daß ſie an der Stelle, wo ſie in die Erde ragte, ſehr morſch war, und daß ſie daher ſehr leicht habe umfallen können; aber da ſie einmal lag, ſo machte es ihnen Freude, daß ſie das Bild und die Schrift ſo nahe betrachten konnten, wie es ſonst nie der Fall geweſen war. Als ſie alles — den Korb mit den Semmeln, die bleichen Hände des Bekers, ſeine geſchloſſenen Augen, ſeinen grauen Rok und die umſtehenden Tannen — betrachtet hatten, als ſie die Schrift geleſen und laut geſagt hatten, gingen ſie wieder weiter. Abermal nach einer Stunde wichen die dunkeln Wälder zu beiden Seiten zurük, dünnſtehende Bäume theils einzelne Eichen theils Birken und Gebüſch¬ gruppen empfingen ſie, geleiteten ſie weiter, und nach Kurzem liefen ſie auf den Wieſen in das Millsdorfer Thal hinab. Obwohl dieſes Thal bedeutend tiefer liegt als das von Gſchaid, und auch um ſo viel wärmer war, daß man die Erndte immer um vierzehn Tage früher

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/50>, abgerufen am 19.04.2024.