Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite
III.
Der Einzige.

Vorchristliche und christliche Zeit verfolgen ein entgegen¬
gesetztes Ziel; jene will das Reale idealisiren, diese das Ideale
realisiren, jene sucht den "heiligen Geist", diese den "verklär¬
ten Leib". Daher schließt jene mit der Unempfindlichkeit ge¬
gen das Reale, mit der "Weltverachtung"; diese wird mit der
Abwerfung des Idealen, mit der "Geistesverachtung" enden.

Der Gegensatz des Realen und Idealen ist ein unversöhn¬
licher, und es kann das eine niemals das andere werden:
würde das Ideale zum Realen, so wäre es eben nicht mehr
das Ideale, und würde das Reale zum Idealen, so wäre allein
das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegensatz beider
ist nicht anders zu überwinden, als wenn man beide ver¬
nichtet. Nur in diesem "man", dem Dritten, findet der Ge¬
gensatz sein Ende; sonst aber decken Idee und Realität sich
nimmermehr. Die Idee kann nicht so realisirt werden, daß
sie Idee bliebe, sondern nur, wenn sie als Idee stirbt, und
ebenso verhält es sich mit dem Realen.

III.
Der Einzige.

Vorchriſtliche und chriſtliche Zeit verfolgen ein entgegen¬
geſetztes Ziel; jene will das Reale idealiſiren, dieſe das Ideale
realiſiren, jene ſucht den „heiligen Geiſt“, dieſe den „verklär¬
ten Leib“. Daher ſchließt jene mit der Unempfindlichkeit ge¬
gen das Reale, mit der „Weltverachtung“; dieſe wird mit der
Abwerfung des Idealen, mit der „Geiſtesverachtung“ enden.

Der Gegenſatz des Realen und Idealen iſt ein unverſöhn¬
licher, und es kann das eine niemals das andere werden:
würde das Ideale zum Realen, ſo wäre es eben nicht mehr
das Ideale, und würde das Reale zum Idealen, ſo wäre allein
das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegenſatz beider
iſt nicht anders zu überwinden, als wenn man beide ver¬
nichtet. Nur in dieſem „man“, dem Dritten, findet der Ge¬
genſatz ſein Ende; ſonſt aber decken Idee und Realität ſich
nimmermehr. Die Idee kann nicht ſo realiſirt werden, daß
ſie Idee bliebe, ſondern nur, wenn ſie als Idee ſtirbt, und
ebenſo verhält es ſich mit dem Realen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0493" n="[485]"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">III</hi>.<lb/><hi rendition="#b #g">Der Einzige.</hi><lb/></head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p><hi rendition="#in">V</hi>orchri&#x017F;tliche und chri&#x017F;tliche Zeit verfolgen ein entgegen¬<lb/>
ge&#x017F;etztes Ziel; jene will das Reale ideali&#x017F;iren, die&#x017F;e das Ideale<lb/>
reali&#x017F;iren, jene &#x017F;ucht den &#x201E;heiligen Gei&#x017F;t&#x201C;, die&#x017F;e den &#x201E;verklär¬<lb/>
ten Leib&#x201C;. Daher &#x017F;chließt jene mit der Unempfindlichkeit ge¬<lb/>
gen das Reale, mit der &#x201E;Weltverachtung&#x201C;; die&#x017F;e wird mit der<lb/>
Abwerfung des Idealen, mit der &#x201E;Gei&#x017F;tesverachtung&#x201C; enden.</p><lb/>
          <p>Der Gegen&#x017F;atz des Realen und Idealen i&#x017F;t ein unver&#x017F;öhn¬<lb/>
licher, und es kann das eine niemals das andere werden:<lb/>
würde das Ideale zum Realen, &#x017F;o wäre es eben nicht mehr<lb/>
das Ideale, und würde das Reale zum Idealen, &#x017F;o wäre allein<lb/>
das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegen&#x017F;atz beider<lb/>
i&#x017F;t nicht anders zu überwinden, als wenn <hi rendition="#g">man</hi> beide ver¬<lb/>
nichtet. Nur in die&#x017F;em &#x201E;man&#x201C;, dem Dritten, findet der Ge¬<lb/>
gen&#x017F;atz &#x017F;ein Ende; &#x017F;on&#x017F;t aber decken Idee und Realität &#x017F;ich<lb/>
nimmermehr. Die Idee kann nicht &#x017F;o reali&#x017F;irt werden, daß<lb/>
&#x017F;ie Idee bliebe, &#x017F;ondern nur, wenn &#x017F;ie als Idee &#x017F;tirbt, und<lb/>
eben&#x017F;o verhält es &#x017F;ich mit dem Realen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[485]/0493] III. Der Einzige. Vorchriſtliche und chriſtliche Zeit verfolgen ein entgegen¬ geſetztes Ziel; jene will das Reale idealiſiren, dieſe das Ideale realiſiren, jene ſucht den „heiligen Geiſt“, dieſe den „verklär¬ ten Leib“. Daher ſchließt jene mit der Unempfindlichkeit ge¬ gen das Reale, mit der „Weltverachtung“; dieſe wird mit der Abwerfung des Idealen, mit der „Geiſtesverachtung“ enden. Der Gegenſatz des Realen und Idealen iſt ein unverſöhn¬ licher, und es kann das eine niemals das andere werden: würde das Ideale zum Realen, ſo wäre es eben nicht mehr das Ideale, und würde das Reale zum Idealen, ſo wäre allein das Ideale, das Reale aber gar nicht. Der Gegenſatz beider iſt nicht anders zu überwinden, als wenn man beide ver¬ nichtet. Nur in dieſem „man“, dem Dritten, findet der Ge¬ genſatz ſein Ende; ſonſt aber decken Idee und Realität ſich nimmermehr. Die Idee kann nicht ſo realiſirt werden, daß ſie Idee bliebe, ſondern nur, wenn ſie als Idee ſtirbt, und ebenſo verhält es ſich mit dem Realen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/493
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. [485]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/493>, abgerufen am 29.03.2024.