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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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ans Gericht. An welches? An ein königliches, ein päpst¬
liches, ein Volksgericht u. s. w. Kann ein sultanisches Ge¬
richt ein anderes Recht sprechen, als dasjenige, welches der
Sultan zu Recht verordnet hat? Kann es Mir Recht geben,
wenn Ich ein Recht suche, das nicht mit dem Sultansrechte
stimmt? Kann es Mir z. B. den Hochverrath als ein Recht
einräumen, da er doch nach des Sultans Sinne kein Recht
ist? Kann es als Censurgericht Mir die freie Meinungs¬
äußerung als Recht gewähren, da der Sultan von diesem
meinem Rechte nichts wissen will? Was suche Ich also bei
diesem Gerichte? Ich suche sultanisches Recht, nicht mein
Recht; Ich suche -- fremdes Recht. So lange dieß fremde
Recht mit dem meinigen übereinstimmt, werde Ich freilich auch
das letztere bei ihm finden.

Der Staat läßt nicht zu, daß man Mann an Mann an ein¬
ander gerathe; er widersetzt sich dem Zweikampf. Selbst jede
Prügelei, zu der doch keiner der Kämpfenden die Polizei ruft,
wird gestraft, es sei denn, daß nicht ein Ich auf ein Du los¬
prügele, sondern etwa ein Familienhaupt auf das Kind:
die Familie ist berechtigt, und in ihrem Namen der Vater,
Ich als Einziger bin es nicht.

Die Vossische Zeitung präsentirt Uns den "Rechtsstaat".
Da soll Alles durch den Richter und ein Gericht entschieden
werden. Das Ober-Censur-Gericht gilt ihr für ein "Gericht",
wo "Recht gesprochen wird". Was für ein Recht? Das
Recht der Censur. Um die Rechtssprüche jenes Gerichts für
Recht anzuerkennen, muß man die Censur für Recht halten.
Man meint aber gleichwohl, dieß Gericht biete einen Schutz.
Ja Schutz gegen den Irrthum eines einzelnen Censors: es
schützt nur den Censurgesetzgeber vor falscher Auslegung seines

ans Gericht. An welches? An ein königliches, ein päpſt¬
liches, ein Volksgericht u. ſ. w. Kann ein ſultaniſches Ge¬
richt ein anderes Recht ſprechen, als dasjenige, welches der
Sultan zu Recht verordnet hat? Kann es Mir Recht geben,
wenn Ich ein Recht ſuche, das nicht mit dem Sultansrechte
ſtimmt? Kann es Mir z. B. den Hochverrath als ein Recht
einräumen, da er doch nach des Sultans Sinne kein Recht
iſt? Kann es als Cenſurgericht Mir die freie Meinungs¬
äußerung als Recht gewähren, da der Sultan von dieſem
meinem Rechte nichts wiſſen will? Was ſuche Ich alſo bei
dieſem Gerichte? Ich ſuche ſultaniſches Recht, nicht mein
Recht; Ich ſuche — fremdes Recht. So lange dieß fremde
Recht mit dem meinigen übereinſtimmt, werde Ich freilich auch
das letztere bei ihm finden.

Der Staat läßt nicht zu, daß man Mann an Mann an ein¬
ander gerathe; er widerſetzt ſich dem Zweikampf. Selbſt jede
Prügelei, zu der doch keiner der Kämpfenden die Polizei ruft,
wird geſtraft, es ſei denn, daß nicht ein Ich auf ein Du los¬
prügele, ſondern etwa ein Familienhaupt auf das Kind:
die Familie iſt berechtigt, und in ihrem Namen der Vater,
Ich als Einziger bin es nicht.

Die Voſſiſche Zeitung präſentirt Uns den „Rechtsſtaat“.
Da ſoll Alles durch den Richter und ein Gericht entſchieden
werden. Das Ober-Cenſur-Gericht gilt ihr für ein „Gericht“,
wo „Recht geſprochen wird“. Was für ein Recht? Das
Recht der Cenſur. Um die Rechtsſprüche jenes Gerichts für
Recht anzuerkennen, muß man die Cenſur für Recht halten.
Man meint aber gleichwohl, dieß Gericht biete einen Schutz.
Ja Schutz gegen den Irrthum eines einzelnen Cenſors: es
ſchützt nur den Cenſurgeſetzgeber vor falſcher Auslegung ſeines

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[245/0253] ans Gericht. An welches? An ein königliches, ein päpſt¬ liches, ein Volksgericht u. ſ. w. Kann ein ſultaniſches Ge¬ richt ein anderes Recht ſprechen, als dasjenige, welches der Sultan zu Recht verordnet hat? Kann es Mir Recht geben, wenn Ich ein Recht ſuche, das nicht mit dem Sultansrechte ſtimmt? Kann es Mir z. B. den Hochverrath als ein Recht einräumen, da er doch nach des Sultans Sinne kein Recht iſt? Kann es als Cenſurgericht Mir die freie Meinungs¬ äußerung als Recht gewähren, da der Sultan von dieſem meinem Rechte nichts wiſſen will? Was ſuche Ich alſo bei dieſem Gerichte? Ich ſuche ſultaniſches Recht, nicht mein Recht; Ich ſuche — fremdes Recht. So lange dieß fremde Recht mit dem meinigen übereinſtimmt, werde Ich freilich auch das letztere bei ihm finden. Der Staat läßt nicht zu, daß man Mann an Mann an ein¬ ander gerathe; er widerſetzt ſich dem Zweikampf. Selbſt jede Prügelei, zu der doch keiner der Kämpfenden die Polizei ruft, wird geſtraft, es ſei denn, daß nicht ein Ich auf ein Du los¬ prügele, ſondern etwa ein Familienhaupt auf das Kind: die Familie iſt berechtigt, und in ihrem Namen der Vater, Ich als Einziger bin es nicht. Die Voſſiſche Zeitung präſentirt Uns den „Rechtsſtaat“. Da ſoll Alles durch den Richter und ein Gericht entſchieden werden. Das Ober-Cenſur-Gericht gilt ihr für ein „Gericht“, wo „Recht geſprochen wird“. Was für ein Recht? Das Recht der Cenſur. Um die Rechtsſprüche jenes Gerichts für Recht anzuerkennen, muß man die Cenſur für Recht halten. Man meint aber gleichwohl, dieß Gericht biete einen Schutz. Ja Schutz gegen den Irrthum eines einzelnen Cenſors: es ſchützt nur den Cenſurgeſetzgeber vor falſcher Auslegung ſeines

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/253>, abgerufen am 28.03.2024.