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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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nicht vorrücken, daß sie gegen Uns erfahrene Leute eigentlich
die Kinder heißen müßten, und sie lieber nach wie vor als Un¬
sere guten Alten ehren. Wie aber sind sie dazu gekommen zu
veralten, und wer konnte sie durch seine vorgebliche Neuheit
verdrängen?

Wir kennen den revolutionairen Neuerer und respectlosen
Erben wohl, der selbst den Sabbath der Väter entheiligte, um
seinen Sonntag zu heiligen, und die Zeit in ihrem Laufe
unterbrach, um bei sich mit einer neuen Zeitrechnung zu be¬
ginnen: Wir kennen ihn und wissen's, daß es der -- Christ
ist. Bleibt er aber ewig jung und ist er heute noch der neue,
oder wird auch er antiquirt werden, wie er die "Alten" anti¬
quirt hat? --

Es werden die Alten wohl selbst den Jungen erzeugt ha¬
ben, der sie hinaustrug. Belauschen Wir denn diesen Zeu¬
gungsact.

"Den Alten war die Welt eine Wahrheit," sagt Feuerbach,
aber er vergißt den wichtigen Zusatz zu machen: eine Wahrheit,
hinter deren Unwahrheit sie zu kommen suchten, und endlich wirk¬
lich kamen. Was mit jenen Feuerbachschen Worten gesagt sein
soll, wird man leicht erkennen, wenn man sie mit dem christli¬
chen Satze von der "Eitelkeit und Vergänglichkeit der Welt" zu¬
sammenhält. Wie der Christ nämlich sich niemals von der Eitel¬
keit des göttlichen Wortes überzeugen kann, sondern an die ewige
und unerschütterliche Wahrheit desselben glaubt, die, je mehr in
ihren Tiefen geforscht werde, nur um so glänzender an den
Tag kommen und triumphiren müsse: so lebten die Alten ihrer¬
seits in dem Gefühle, daß die Welt und weltliche Verhältnisse
(z. B. die natürlichen Blutsbande) das Wahre seien, vor dem
ihr ohnmächtiges Ich sich beugen müsse. Gerade dasjenige,

nicht vorrücken, daß ſie gegen Uns erfahrene Leute eigentlich
die Kinder heißen müßten, und ſie lieber nach wie vor als Un¬
ſere guten Alten ehren. Wie aber ſind ſie dazu gekommen zu
veralten, und wer konnte ſie durch ſeine vorgebliche Neuheit
verdrängen?

Wir kennen den revolutionairen Neuerer und reſpectloſen
Erben wohl, der ſelbſt den Sabbath der Väter entheiligte, um
ſeinen Sonntag zu heiligen, und die Zeit in ihrem Laufe
unterbrach, um bei ſich mit einer neuen Zeitrechnung zu be¬
ginnen: Wir kennen ihn und wiſſen's, daß es der — Chriſt
iſt. Bleibt er aber ewig jung und iſt er heute noch der neue,
oder wird auch er antiquirt werden, wie er die „Alten“ anti¬
quirt hat? —

Es werden die Alten wohl ſelbſt den Jungen erzeugt ha¬
ben, der ſie hinaustrug. Belauſchen Wir denn dieſen Zeu¬
gungsact.

„Den Alten war die Welt eine Wahrheit,“ ſagt Feuerbach,
aber er vergißt den wichtigen Zuſatz zu machen: eine Wahrheit,
hinter deren Unwahrheit ſie zu kommen ſuchten, und endlich wirk¬
lich kamen. Was mit jenen Feuerbachſchen Worten geſagt ſein
ſoll, wird man leicht erkennen, wenn man ſie mit dem chriſtli¬
chen Satze von der „Eitelkeit und Vergänglichkeit der Welt“ zu¬
ſammenhält. Wie der Chriſt nämlich ſich niemals von der Eitel¬
keit des göttlichen Wortes überzeugen kann, ſondern an die ewige
und unerſchütterliche Wahrheit deſſelben glaubt, die, je mehr in
ihren Tiefen geforſcht werde, nur um ſo glänzender an den
Tag kommen und triumphiren müſſe: ſo lebten die Alten ihrer¬
ſeits in dem Gefühle, daß die Welt und weltliche Verhältniſſe
(z. B. die natürlichen Blutsbande) das Wahre ſeien, vor dem
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[22/0030] nicht vorrücken, daß ſie gegen Uns erfahrene Leute eigentlich die Kinder heißen müßten, und ſie lieber nach wie vor als Un¬ ſere guten Alten ehren. Wie aber ſind ſie dazu gekommen zu veralten, und wer konnte ſie durch ſeine vorgebliche Neuheit verdrängen? Wir kennen den revolutionairen Neuerer und reſpectloſen Erben wohl, der ſelbſt den Sabbath der Väter entheiligte, um ſeinen Sonntag zu heiligen, und die Zeit in ihrem Laufe unterbrach, um bei ſich mit einer neuen Zeitrechnung zu be¬ ginnen: Wir kennen ihn und wiſſen's, daß es der — Chriſt iſt. Bleibt er aber ewig jung und iſt er heute noch der neue, oder wird auch er antiquirt werden, wie er die „Alten“ anti¬ quirt hat? — Es werden die Alten wohl ſelbſt den Jungen erzeugt ha¬ ben, der ſie hinaustrug. Belauſchen Wir denn dieſen Zeu¬ gungsact. „Den Alten war die Welt eine Wahrheit,“ ſagt Feuerbach, aber er vergißt den wichtigen Zuſatz zu machen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit ſie zu kommen ſuchten, und endlich wirk¬ lich kamen. Was mit jenen Feuerbachſchen Worten geſagt ſein ſoll, wird man leicht erkennen, wenn man ſie mit dem chriſtli¬ chen Satze von der „Eitelkeit und Vergänglichkeit der Welt“ zu¬ ſammenhält. Wie der Chriſt nämlich ſich niemals von der Eitel¬ keit des göttlichen Wortes überzeugen kann, ſondern an die ewige und unerſchütterliche Wahrheit deſſelben glaubt, die, je mehr in ihren Tiefen geforſcht werde, nur um ſo glänzender an den Tag kommen und triumphiren müſſe: ſo lebten die Alten ihrer¬ ſeits in dem Gefühle, daß die Welt und weltliche Verhältniſſe (z. B. die natürlichen Blutsbande) das Wahre ſeien, vor dem ihr ohnmächtiges Ich ſich beugen müſſe. Gerade dasjenige,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/30>, abgerufen am 23.04.2024.