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Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844.

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was der Ehre und Tugend nicht anständig sei? wor-
auf dieser erwiderte:

So mit V. u. G., mein Altgesell, weil Du mich fragst,
was ich bei diesem hochlöblichen Ein- und Aufgeschenk
gesehen habe, so habe ich nichts gesehen, als was der
Ehre und Tugend wohl anstehen mag. So mit Gunst
hab' ich gesehen eine Stube mit vier Winkeln, einen
Tisch mit vier Spitzen, darum alle gute ehrliche Meister
und Gesellen sitzen, Jünger davor stehen. So mit
Gunst hab' ich auch gesehen, allerhand Farben-Lieberei,
schwarz, gelb, grün, blau, roth und allerlei Farben, daß
ich sie nicht alle zählen kann. So mit Gunst hab' ich
auch gesehen einen hochlöblichen Willkommen und
Schenkkännel, mit Bier, daraus hab' ich getrunken, ein-
mal oder vier, hätte ich mehr getrunken, so würde es
mein Schade nicht gewesen sein. So mit Gunst hab'
ich auch gesehen eine offene Lade, beistehende Büchse,
in- und ausliegende Büchsenpfennige, hochlöbliche Arti-
kelsbriefe und Einschreibebuch, hochlöbliches Aeltest und
Jüngst, hochlöbliches Ein- und Aufgeschenk.

Der Altgesell gedenkt in dieser Rede vielfarbiger Kleidung,
womit, einfach genommen, die gewöhnlichen Kleider der Gesellen
gemeint sein könnten, dem ist aber nicht so, vielmehr bezeichnet
er damit die phantastischen Anzüge, welche der Altgesell und
einige andere Gesellen an solchen Tagen, oder bei einem Einge-
schenk, Jünger- oder Gesellenmachen trugen; in der dem Ver-
fasser vorliegenden Handwerksgewohnheit kommt unter andern
die Frage des Altgesellen vor: Ist einer oder der andere da,
der Lust hat überzuspringen *), der darf meinen Hut, Fe-
der und Lieberei nicht schonen
.

Ferner antwortete ein zum Gesellen gesprochener Jünger,
nach vielen mit ihm getriebenen Thorheiten, auf die Frage des

*) Nämlich über die Gesellenlade, was der Jünger thun mußte; vielleicht
legte der Altgesell, das Ueberspringen zu erschweren, noch seinen Hut
mit einer Feder darauf.

was der Ehre und Tugend nicht anſtändig ſei? wor-
auf dieſer erwiderte:

So mit V. u. G., mein Altgeſell, weil Du mich fragſt,
was ich bei dieſem hochlöblichen Ein- und Aufgeſchenk
geſehen habe, ſo habe ich nichts geſehen, als was der
Ehre und Tugend wohl anſtehen mag. So mit Gunſt
hab’ ich geſehen eine Stube mit vier Winkeln, einen
Tiſch mit vier Spitzen, darum alle gute ehrliche Meiſter
und Geſellen ſitzen, Jünger davor ſtehen. So mit
Gunſt hab’ ich auch geſehen, allerhand Farben-Lieberei,
ſchwarz, gelb, grün, blau, roth und allerlei Farben, daß
ich ſie nicht alle zählen kann. So mit Gunſt hab’ ich
auch geſehen einen hochlöblichen Willkommen und
Schenkkännel, mit Bier, daraus hab’ ich getrunken, ein-
mal oder vier, hätte ich mehr getrunken, ſo würde es
mein Schade nicht geweſen ſein. So mit Gunſt hab’
ich auch geſehen eine offene Lade, beiſtehende Büchſe,
in- und ausliegende Büchſenpfennige, hochlöbliche Arti-
kelsbriefe und Einſchreibebuch, hochlöbliches Aelteſt und
Jüngſt, hochlöbliches Ein- und Aufgeſchenk.

Der Altgeſell gedenkt in dieſer Rede vielfarbiger Kleidung,
womit, einfach genommen, die gewöhnlichen Kleider der Geſellen
gemeint ſein könnten, dem iſt aber nicht ſo, vielmehr bezeichnet
er damit die phantaſtiſchen Anzüge, welche der Altgeſell und
einige andere Geſellen an ſolchen Tagen, oder bei einem Einge-
ſchenk, Jünger- oder Geſellenmachen trugen; in der dem Ver-
faſſer vorliegenden Handwerksgewohnheit kommt unter andern
die Frage des Altgeſellen vor: Iſt einer oder der andere da,
der Luſt hat überzuſpringen *), der darf meinen Hut, Fe-
der und Lieberei nicht ſchonen
.

Ferner antwortete ein zum Geſellen geſprochener Jünger,
nach vielen mit ihm getriebenen Thorheiten, auf die Frage des

*) Nämlich über die Geſellenlade, was der Jünger thun mußte; vielleicht
legte der Altgeſell, das Ueberſpringen zu erſchweren, noch ſeinen Hut
mit einer Feder darauf.
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[98/0108] was der Ehre und Tugend nicht anſtändig ſei? wor- auf dieſer erwiderte: So mit V. u. G., mein Altgeſell, weil Du mich fragſt, was ich bei dieſem hochlöblichen Ein- und Aufgeſchenk geſehen habe, ſo habe ich nichts geſehen, als was der Ehre und Tugend wohl anſtehen mag. So mit Gunſt hab’ ich geſehen eine Stube mit vier Winkeln, einen Tiſch mit vier Spitzen, darum alle gute ehrliche Meiſter und Geſellen ſitzen, Jünger davor ſtehen. So mit Gunſt hab’ ich auch geſehen, allerhand Farben-Lieberei, ſchwarz, gelb, grün, blau, roth und allerlei Farben, daß ich ſie nicht alle zählen kann. So mit Gunſt hab’ ich auch geſehen einen hochlöblichen Willkommen und Schenkkännel, mit Bier, daraus hab’ ich getrunken, ein- mal oder vier, hätte ich mehr getrunken, ſo würde es mein Schade nicht geweſen ſein. So mit Gunſt hab’ ich auch geſehen eine offene Lade, beiſtehende Büchſe, in- und ausliegende Büchſenpfennige, hochlöbliche Arti- kelsbriefe und Einſchreibebuch, hochlöbliches Aelteſt und Jüngſt, hochlöbliches Ein- und Aufgeſchenk. Der Altgeſell gedenkt in dieſer Rede vielfarbiger Kleidung, womit, einfach genommen, die gewöhnlichen Kleider der Geſellen gemeint ſein könnten, dem iſt aber nicht ſo, vielmehr bezeichnet er damit die phantaſtiſchen Anzüge, welche der Altgeſell und einige andere Geſellen an ſolchen Tagen, oder bei einem Einge- ſchenk, Jünger- oder Geſellenmachen trugen; in der dem Ver- faſſer vorliegenden Handwerksgewohnheit kommt unter andern die Frage des Altgeſellen vor: Iſt einer oder der andere da, der Luſt hat überzuſpringen *), der darf meinen Hut, Fe- der und Lieberei nicht ſchonen. Ferner antwortete ein zum Geſellen geſprochener Jünger, nach vielen mit ihm getriebenen Thorheiten, auf die Frage des *) Nämlich über die Geſellenlade, was der Jünger thun mußte; vielleicht legte der Altgeſell, das Ueberſpringen zu erſchweren, noch ſeinen Hut mit einer Feder darauf.

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Zitationshilfe: Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stock_gesellenwesen_1844/108>, abgerufen am 25.04.2024.