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Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844.

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technische Ausbildung bewirkte diese Verbesserung und beseitigte
die angedeutete Gefahr nicht, sie blieb, einseitig gedacht, ohne
Einfluß auf äußere und innere Ordnung ihres Lebens; hier
kamen ihnen ihre Statuten und Gewohnheiten allein zu Hülfe,
ja es wird höchst wahrscheinlich, daß die wunderlichen Gebräuche
und Unnamen, die bei dem sogenannten Jünger- und Gesellen-
machen vorkommen, erst nach jenen Gesetzen entstanden sind;
denn es liegt eine gar nicht zu verkennende Anspielung auf eine
ganz geringe Abkunft des Lehrlings darin, welche die Innungs-
verwandten früherer Zeit schwerlich würden geduldet haben.

Der junge Mensch wurde nach absolvirter Lehrzeit zwar
freigesprochen von der unmittelbaren Aufsicht seines Meisters,
von seinen Mitgesellen und den Innungen aber fortwährend über-
wacht; auch diese Aufsicht war in ihren Gesellenartikeln und
Gewohnheiten begründet. Obgleich dem Knabenalter entwachsen,
wurde er dennoch, bald durch Vortheile bald durch Nachtheile,
in spielenden, uns freilich zum Theil absurd vorkommenden For-
men, fortwährend an Pünktlichkeit, Treue, Beständigkeit und Fest-
halten an bestehenden Verfassungen, gewöhnt; sie lehrten ihn nach
eingeführter Ordnung sprechen, und zur rechten Zeit schweigen.
Ihre Gebräuche dienten ihrer Phantasie, wie den Kindern ein
Spielzeug, zum Zeitvertreib; durch ihre Beobachtung bei den
Zusammenkünften, durch Abhörung ihres Grußes, wurden sie
abgehalten von andern ihrer Stellung fremden Ideen, und es ist
kaum zu bezweifeln, daß die darin herrschende Monotonie und
Tautologie, viel zur Erhaltung der Einfachheit und Festigkeit in
Rede und Handlung der Handwerker beigetragen haben.

Der Gesellenstand der Handwerker wird immer die Vor-
schule
dieser Bürgerklasse bleiben; was die Innungen seit
Jahrhunderten darin geleistet haben, kann nicht dankbar genug
erkannt werden; doch ist es abgeschlossen mit ihrer Auflösung, und
Gesellenverbindungen können für die Meister, ohne Innung, nicht
wünschenswerth sein, ja unter Umständen sogar gefährlich für
sie werden; ihre ehemalige Sorgfalt ist den Volks- und Bürger-
schulen, später den Polizeibehörden übertragen; möge es diesen
gelingen, die schwere Aufgabe dauernd zu lösen!


techniſche Ausbildung bewirkte dieſe Verbeſſerung und beſeitigte
die angedeutete Gefahr nicht, ſie blieb, einſeitig gedacht, ohne
Einfluß auf äußere und innere Ordnung ihres Lebens; hier
kamen ihnen ihre Statuten und Gewohnheiten allein zu Hülfe,
ja es wird höchſt wahrſcheinlich, daß die wunderlichen Gebräuche
und Unnamen, die bei dem ſogenannten Jünger- und Geſellen-
machen vorkommen, erſt nach jenen Geſetzen entſtanden ſind;
denn es liegt eine gar nicht zu verkennende Anſpielung auf eine
ganz geringe Abkunft des Lehrlings darin, welche die Innungs-
verwandten früherer Zeit ſchwerlich würden geduldet haben.

Der junge Menſch wurde nach abſolvirter Lehrzeit zwar
freigeſprochen von der unmittelbaren Aufſicht ſeines Meiſters,
von ſeinen Mitgeſellen und den Innungen aber fortwährend über-
wacht; auch dieſe Aufſicht war in ihren Geſellenartikeln und
Gewohnheiten begründet. Obgleich dem Knabenalter entwachſen,
wurde er dennoch, bald durch Vortheile bald durch Nachtheile,
in ſpielenden, uns freilich zum Theil abſurd vorkommenden For-
men, fortwährend an Pünktlichkeit, Treue, Beſtändigkeit und Feſt-
halten an beſtehenden Verfaſſungen, gewöhnt; ſie lehrten ihn nach
eingeführter Ordnung ſprechen, und zur rechten Zeit ſchweigen.
Ihre Gebräuche dienten ihrer Phantaſie, wie den Kindern ein
Spielzeug, zum Zeitvertreib; durch ihre Beobachtung bei den
Zuſammenkünften, durch Abhörung ihres Grußes, wurden ſie
abgehalten von andern ihrer Stellung fremden Ideen, und es iſt
kaum zu bezweifeln, daß die darin herrſchende Monotonie und
Tautologie, viel zur Erhaltung der Einfachheit und Feſtigkeit in
Rede und Handlung der Handwerker beigetragen haben.

Der Geſellenſtand der Handwerker wird immer die Vor-
ſchule
dieſer Bürgerklaſſe bleiben; was die Innungen ſeit
Jahrhunderten darin geleiſtet haben, kann nicht dankbar genug
erkannt werden; doch iſt es abgeſchloſſen mit ihrer Auflöſung, und
Geſellenverbindungen können für die Meiſter, ohne Innung, nicht
wünſchenswerth ſein, ja unter Umſtänden ſogar gefährlich für
ſie werden; ihre ehemalige Sorgfalt iſt den Volks- und Bürger-
ſchulen, ſpäter den Polizeibehörden übertragen; möge es dieſen
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[115/0125] techniſche Ausbildung bewirkte dieſe Verbeſſerung und beſeitigte die angedeutete Gefahr nicht, ſie blieb, einſeitig gedacht, ohne Einfluß auf äußere und innere Ordnung ihres Lebens; hier kamen ihnen ihre Statuten und Gewohnheiten allein zu Hülfe, ja es wird höchſt wahrſcheinlich, daß die wunderlichen Gebräuche und Unnamen, die bei dem ſogenannten Jünger- und Geſellen- machen vorkommen, erſt nach jenen Geſetzen entſtanden ſind; denn es liegt eine gar nicht zu verkennende Anſpielung auf eine ganz geringe Abkunft des Lehrlings darin, welche die Innungs- verwandten früherer Zeit ſchwerlich würden geduldet haben. Der junge Menſch wurde nach abſolvirter Lehrzeit zwar freigeſprochen von der unmittelbaren Aufſicht ſeines Meiſters, von ſeinen Mitgeſellen und den Innungen aber fortwährend über- wacht; auch dieſe Aufſicht war in ihren Geſellenartikeln und Gewohnheiten begründet. Obgleich dem Knabenalter entwachſen, wurde er dennoch, bald durch Vortheile bald durch Nachtheile, in ſpielenden, uns freilich zum Theil abſurd vorkommenden For- men, fortwährend an Pünktlichkeit, Treue, Beſtändigkeit und Feſt- halten an beſtehenden Verfaſſungen, gewöhnt; ſie lehrten ihn nach eingeführter Ordnung ſprechen, und zur rechten Zeit ſchweigen. Ihre Gebräuche dienten ihrer Phantaſie, wie den Kindern ein Spielzeug, zum Zeitvertreib; durch ihre Beobachtung bei den Zuſammenkünften, durch Abhörung ihres Grußes, wurden ſie abgehalten von andern ihrer Stellung fremden Ideen, und es iſt kaum zu bezweifeln, daß die darin herrſchende Monotonie und Tautologie, viel zur Erhaltung der Einfachheit und Feſtigkeit in Rede und Handlung der Handwerker beigetragen haben. Der Geſellenſtand der Handwerker wird immer die Vor- ſchule dieſer Bürgerklaſſe bleiben; was die Innungen ſeit Jahrhunderten darin geleiſtet haben, kann nicht dankbar genug erkannt werden; doch iſt es abgeſchloſſen mit ihrer Auflöſung, und Geſellenverbindungen können für die Meiſter, ohne Innung, nicht wünſchenswerth ſein, ja unter Umſtänden ſogar gefährlich für ſie werden; ihre ehemalige Sorgfalt iſt den Volks- und Bürger- ſchulen, ſpäter den Polizeibehörden übertragen; möge es dieſen gelingen, die ſchwere Aufgabe dauernd zu löſen!

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Zitationshilfe: Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stock_gesellenwesen_1844/125>, abgerufen am 29.03.2024.