Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Viertes Kapitel. §. 34.

Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder
früher noch auch später stattgefunden haben kann, als der
Besuch der Magier und die Flucht nach Aegypten, und
ebenso wenig diese letztere Begebenheit früher oder spä-
ter als jene erste: so ist es also unmöglich, dass die eine
sowohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch-
stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben 5).
Hätten wir sonach zu wählen, so dürften wir uns, so weit
wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall für die
Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas entschei-
den, sondern, da wir jene als mythisch erkannt haben, so
bliebe uns nur übrig, mit neuern Kritikern 6) an der Er-
zählung des Lukas festzuhalten und die des Matthäus preiss-
zugeben. Indess, ob nicht auch jene von gleicher Quali-
tät mit dieser sei, mithin statt des Entweder, Oder, viel-
mehr weder die eine noch die andre als historisch festge-
halten werden dürfe, wird die nächstfolgende Untersuchung
lehren.

§. 34.
Die Darstellung Jesu im Tempel.

Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel
(Luc. 2, 22--38.) scheint auf den ersten Anblick ein ganz

hältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwischen
zwei verschiedenen Texten des Apokryphums: historia de na-
tivitate Mariae et de inf. serv., s. bei Thilo, S. 385, not.
5) Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon
frühe einigen Gegnern des Christenthums (Epiphanius, hae-
res. 51, 8. nennt neben Celsus und Porphyr noch einen Phi-
losabbatius) zum Bewusstsein gekommen. Nur überspannten
sie den Bogen dadurch, dass sie den Matthäus so deuteten,
als sollten noch in der Geburtsnacht Jesu die Magier ange-
kommen sein.
6) Schleiermacher, über den Lukas, S. 47. Schneckenburger
a. a. O.
17*
Viertes Kapitel. §. 34.

Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder
früher noch auch später stattgefunden haben kann, als der
Besuch der Magier und die Flucht nach Aegypten, und
ebenso wenig diese letztere Begebenheit früher oder spä-
ter als jene erste: so ist es also unmöglich, daſs die eine
sowohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch-
stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben 5).
Hätten wir sonach zu wählen, so dürften wir uns, so weit
wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall für die
Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas entschei-
den, sondern, da wir jene als mythisch erkannt haben, so
bliebe uns nur übrig, mit neuern Kritikern 6) an der Er-
zählung des Lukas festzuhalten und die des Matthäus preiſs-
zugeben. Indeſs, ob nicht auch jene von gleicher Quali-
tät mit dieser sei, mithin statt des Entweder, Oder, viel-
mehr weder die eine noch die andre als historisch festge-
halten werden dürfe, wird die nächstfolgende Untersuchung
lehren.

§. 34.
Die Darstellung Jesu im Tempel.

Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel
(Luc. 2, 22—38.) scheint auf den ersten Anblick ein ganz

hältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwischen
zwei verschiedenen Texten des Apokryphums: historia de na-
tivitate Mariae et de inf. serv., s. bei Thilo, S. 385, not.
5) Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon
frühe einigen Gegnern des Christenthums (Epiphanius, hae-
res. 51, 8. nennt neben Celsus und Porphyr noch einen Phi-
losabbatius) zum Bewusstsein gekommen. Nur überspannten
sie den Bogen dadurch, dass sie den Matthäus so deuteten,
als sollten noch in der Geburtsnacht Jesu die Magier ange-
kommen sein.
6) Schleiermacher, über den Lukas, S. 47. Schneckenburger
a. a. O.
17*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0283" n="259"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>. §. 34.</fw><lb/>
            <p>Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder<lb/>
früher noch auch später stattgefunden haben kann, als der<lb/>
Besuch der Magier und die Flucht nach Aegypten, und<lb/>
ebenso wenig diese letztere Begebenheit früher oder spä-<lb/>
ter als jene erste: so ist es also unmöglich, da&#x017F;s die eine<lb/>
sowohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch-<lb/>
stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben <note place="foot" n="5)">Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon<lb/>
frühe einigen Gegnern des Christenthums (Epiphanius, hae-<lb/>
res. 51, 8. nennt neben Celsus und Porphyr noch einen Phi-<lb/>
losabbatius) zum Bewusstsein gekommen. Nur überspannten<lb/>
sie den Bogen dadurch, dass sie den Matthäus so deuteten,<lb/>
als sollten noch in der Geburtsnacht Jesu die Magier ange-<lb/>
kommen sein.</note>.<lb/>
Hätten wir sonach zu wählen, so dürften wir uns, so weit<lb/>
wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall für die<lb/>
Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas entschei-<lb/>
den, sondern, da wir jene als mythisch erkannt haben, so<lb/>
bliebe uns nur übrig, mit neuern Kritikern <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#k">Schleiermacher</hi>, über den Lukas, S. 47. <hi rendition="#k">Schneckenburger</hi><lb/>
a. a. O.</note> an der Er-<lb/>
zählung des Lukas festzuhalten und die des Matthäus prei&#x017F;s-<lb/>
zugeben. Inde&#x017F;s, ob nicht auch jene von gleicher Quali-<lb/>
tät mit dieser sei, mithin statt des Entweder, Oder, viel-<lb/>
mehr weder die eine noch die andre als historisch festge-<lb/>
halten werden dürfe, wird die nächstfolgende Untersuchung<lb/>
lehren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 34.<lb/>
Die Darstellung Jesu im Tempel.</head><lb/>
            <p>Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel<lb/>
(Luc. 2, 22&#x2014;38.) scheint auf den ersten Anblick ein ganz<lb/><note xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="4)">hältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwischen<lb/>
zwei verschiedenen Texten des Apokryphums: historia de na-<lb/>
tivitate Mariae et de inf. serv., s. bei <hi rendition="#k">Thilo</hi>, S. 385, not.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">17*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0283] Viertes Kapitel. §. 34. Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder früher noch auch später stattgefunden haben kann, als der Besuch der Magier und die Flucht nach Aegypten, und ebenso wenig diese letztere Begebenheit früher oder spä- ter als jene erste: so ist es also unmöglich, daſs die eine sowohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch- stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben 5). Hätten wir sonach zu wählen, so dürften wir uns, so weit wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall für die Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas entschei- den, sondern, da wir jene als mythisch erkannt haben, so bliebe uns nur übrig, mit neuern Kritikern 6) an der Er- zählung des Lukas festzuhalten und die des Matthäus preiſs- zugeben. Indeſs, ob nicht auch jene von gleicher Quali- tät mit dieser sei, mithin statt des Entweder, Oder, viel- mehr weder die eine noch die andre als historisch festge- halten werden dürfe, wird die nächstfolgende Untersuchung lehren. §. 34. Die Darstellung Jesu im Tempel. Die Erzählung von der Darstellung Jesu im Tempel (Luc. 2, 22—38.) scheint auf den ersten Anblick ein ganz 4) 5) Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon frühe einigen Gegnern des Christenthums (Epiphanius, hae- res. 51, 8. nennt neben Celsus und Porphyr noch einen Phi- losabbatius) zum Bewusstsein gekommen. Nur überspannten sie den Bogen dadurch, dass sie den Matthäus so deuteten, als sollten noch in der Geburtsnacht Jesu die Magier ange- kommen sein. 6) Schleiermacher, über den Lukas, S. 47. Schneckenburger a. a. O. 4) hältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwischen zwei verschiedenen Texten des Apokryphums: historia de na- tivitate Mariae et de inf. serv., s. bei Thilo, S. 385, not. 17*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/283
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/283>, abgerufen am 16.04.2024.