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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweites Kapitel. §. 45.
Zweites Kapitel.
Taufe und Versuchung Jesu.

§. 45.
Warum hat Jesus sich von Johannes taufen lassen?

In Gemässheit der von den Evangelisten an den Tag ge-
legten Ansicht von der Sache beantwortet man die voran-
gestellte Frage von orthodoxer Seite gewöhnlich dahin, Je-
sus habe sich durch die johanneische Taufe zu seinem mes-
sianischen Berufe einweihen lassen wollen, wofür man sich
auch auf eine Stelle bei Justin berufen kann, nach welcher
es jüdische Vorstellung war, der Messias werde als solcher
sich selbst und Andern unbekannt sein, bis Elias als sein
Vorläufer ihn salben und dadurch Allen kennbar machen
werde 1). Der Täufer selbst indess, wie ihn der erste
Evangelist darstellt, muss diese Ansicht nicht getheilt ha-
ben; denn hätte er seine Taufe für eine Weihung ange-
sehen, welche der Messias nothwendig bekommen müsse:
so würde er sich nicht gesträubt haben, sie an Jesu zu
vollziehen (3, 14.).

Dem Obigen zufolge bezog sich die Taufe des Johan-
nes einerseits eis ton erkhomenon, indem man durch dieselbe
auf den erwarteten Messias glaubig sich vorbereiten zu wol-
len versprach: wie konnte Jesus, wenn er der erkhomenos
selbst zu sein sich bewusst war, dieser Taufe sich unter-
werfen? Die gewöhnliche Antwort auf orthodoxem Stand-
punkt ist: Jesus, obwohl sich seiner Messianität bewusst,
redete und handelte doch, so lange er nicht durch Gott

1) Dial. c. Tryph. 8, S. 110. der Mauriner Ausg.
Das Leben Jesu I. Band. 24
Zweites Kapitel. §. 45.
Zweites Kapitel.
Taufe und Versuchung Jesu.

§. 45.
Warum hat Jesus sich von Johannes taufen lassen?

In Gemäſsheit der von den Evangelisten an den Tag ge-
legten Ansicht von der Sache beantwortet man die voran-
gestellte Frage von orthodoxer Seite gewöhnlich dahin, Je-
sus habe sich durch die johanneische Taufe zu seinem mes-
sianischen Berufe einweihen lassen wollen, wofür man sich
auch auf eine Stelle bei Justin berufen kann, nach welcher
es jüdische Vorstellung war, der Messias werde als solcher
sich selbst und Andern unbekannt sein, bis Elias als sein
Vorläufer ihn salben und dadurch Allen kennbar machen
werde 1). Der Täufer selbst indess, wie ihn der erste
Evangelist darstellt, muſs diese Ansicht nicht getheilt ha-
ben; denn hätte er seine Taufe für eine Weihung ange-
sehen, welche der Messias nothwendig bekommen müsse:
so würde er sich nicht gesträubt haben, sie an Jesu zu
vollziehen (3, 14.).

Dem Obigen zufolge bezog sich die Taufe des Johan-
nes einerseits εἰς τὸν ἐρχόμενον, indem man durch dieselbe
auf den erwarteten Messias glaubig sich vorbereiten zu wol-
len versprach: wie konnte Jesus, wenn er der ἐρχόμενος
selbst zu sein sich bewuſst war, dieser Taufe sich unter-
werfen? Die gewöhnliche Antwort auf orthodoxem Stand-
punkt ist: Jesus, obwohl sich seiner Messianität bewuſst,
redete und handelte doch, so lange er nicht durch Gott

1) Dial. c. Tryph. 8, S. 110. der Mauriner Ausg.
Das Leben Jesu I. Band. 24
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[369/0393] Zweites Kapitel. §. 45. Zweites Kapitel. Taufe und Versuchung Jesu. §. 45. Warum hat Jesus sich von Johannes taufen lassen? In Gemäſsheit der von den Evangelisten an den Tag ge- legten Ansicht von der Sache beantwortet man die voran- gestellte Frage von orthodoxer Seite gewöhnlich dahin, Je- sus habe sich durch die johanneische Taufe zu seinem mes- sianischen Berufe einweihen lassen wollen, wofür man sich auch auf eine Stelle bei Justin berufen kann, nach welcher es jüdische Vorstellung war, der Messias werde als solcher sich selbst und Andern unbekannt sein, bis Elias als sein Vorläufer ihn salben und dadurch Allen kennbar machen werde 1). Der Täufer selbst indess, wie ihn der erste Evangelist darstellt, muſs diese Ansicht nicht getheilt ha- ben; denn hätte er seine Taufe für eine Weihung ange- sehen, welche der Messias nothwendig bekommen müsse: so würde er sich nicht gesträubt haben, sie an Jesu zu vollziehen (3, 14.). Dem Obigen zufolge bezog sich die Taufe des Johan- nes einerseits εἰς τὸν ἐρχόμενον, indem man durch dieselbe auf den erwarteten Messias glaubig sich vorbereiten zu wol- len versprach: wie konnte Jesus, wenn er der ἐρχόμενος selbst zu sein sich bewuſst war, dieser Taufe sich unter- werfen? Die gewöhnliche Antwort auf orthodoxem Stand- punkt ist: Jesus, obwohl sich seiner Messianität bewuſst, redete und handelte doch, so lange er nicht durch Gott 1) Dial. c. Tryph. 8, S. 110. der Mauriner Ausg. Das Leben Jesu I. Band. 24

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/393>, abgerufen am 28.03.2024.