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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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de 1); ebendesswegen wird man geneigt sein, mit diesem
Theologen auch das gegenwärtige Erzählungsstück wie das
vorige, den Täufer betreffende, einem und demselben ju-
denchristlichen Verfasser zuzuschreiben. -- Erst als gegen
diese Verheissung eines Sohnes Maria von ihrer Jungfrau-
schaft aus Einwendungen macht, bestimmt der Engel die
Art der Empfängniss näher dahin, dass sie durch den hei-
ligen Geist, durch die Kraft der Gottheit bewirkt werden
werde, wonach nun auch die Benennung uios theou einen
bestimmteren metaphysischen Sinn erhält. Zum bestätigen-
den Zeichen, dass etwas der Art Gott keineswegs unmög-
lich sei, wird Maria auf den Vorgang mit ihrer Verwand-
tin Elisabet verwiesen, worauf sie sich glaubig in den
göttlichen Rathschluss mit ihr ergiebt.

Bei Matthäus, wo die Beschwichtigung der Bedenk-
lichkeiten Josephs die Hauptsache ist, beginnt der Engel
sogleich mit der Eröffnung, dass, wie der Evangelist schon
V. 18. für sich referirt hatte, das in Maria erzeugte Kind
vom pneuma agion sei, und hierauf erst wird Jesu messia-
nische Bestimmung durch den Ausdruck bezeichnet, dass
er sein Volk von dessen Sünden erlösen werde. Klingt
diess auch anscheinend weniger jüdisch, als das, wodurch
bei Lukas die messianische Funktion des zu gebärenden
Kindes ausgedrückt war: so sind doch in den amartiais
auch die Strafen derselben, namentlich die Unterjochung
des Volks durch Fremde, mitbegriffen, so dass auch hier
das jüdische Element nicht fehlt; so wie andrerseits in dem
basileuein bei Lukas das Herrschen über ein folgsames,
gebessertes Volk enthalten, also hier das Höhere nicht ganz
zu vermissen ist. Hierauf fügt, sei es der Engel oder wahr-
scheinlicher der Referent, durch die besonders bei ihm so
oft wiederkehrende Formel: touto de olon gegonen, ina ple-
rothe to Rethen k. t. l. (V. 22.) ein A. T.liches Orakel bei,

1) Über den Lukas, S. 23.

Erster Abschnitt.
de 1); ebendeſswegen wird man geneigt sein, mit diesem
Theologen auch das gegenwärtige Erzählungsstück wie das
vorige, den Täufer betreffende, einem und demselben ju-
denchristlichen Verfasser zuzuschreiben. — Erst als gegen
diese Verheiſsung eines Sohnes Maria von ihrer Jungfrau-
schaft aus Einwendungen macht, bestimmt der Engel die
Art der Empfängniſs näher dahin, daſs sie durch den hei-
ligen Geist, durch die Kraft der Gottheit bewirkt werden
werde, wonach nun auch die Benennung υἱὸς ϑεοῦ einen
bestimmteren metaphysischen Sinn erhält. Zum bestätigen-
den Zeichen, daſs etwas der Art Gott keineswegs unmög-
lich sei, wird Maria auf den Vorgang mit ihrer Verwand-
tin Elisabet verwiesen, worauf sie sich glaubig in den
göttlichen Rathschluſs mit ihr ergiebt.

Bei Matthäus, wo die Beschwichtigung der Bedenk-
lichkeiten Josephs die Hauptsache ist, beginnt der Engel
sogleich mit der Eröffnung, daſs, wie der Evangelist schon
V. 18. für sich referirt hatte, das in Maria erzeugte Kind
vom πνεῡμα ἃγιον sei, und hierauf erst wird Jesu messia-
nische Bestimmung durch den Ausdruck bezeichnet, daſs
er sein Volk von dessen Sünden erlösen werde. Klingt
dieſs auch anscheinend weniger jüdisch, als das, wodurch
bei Lukas die messianische Funktion des zu gebärenden
Kindes ausgedrückt war: so sind doch in den άμαρτίαις
auch die Strafen derselben, namentlich die Unterjochung
des Volks durch Fremde, mitbegriffen, so daſs auch hier
das jüdische Element nicht fehlt; so wie andrerseits in dem
βασιλεύειν bei Lukas das Herrschen über ein folgsames,
gebessertes Volk enthalten, also hier das Höhere nicht ganz
zu vermissen ist. Hierauf fügt, sei es der Engel oder wahr-
scheinlicher der Referent, durch die besonders bei ihm so
oft wiederkehrende Formel: τοῦτο δὲ ὅλον γέγονεν, ἵνα πλη-
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[144/0168] Erster Abschnitt. de 1); ebendeſswegen wird man geneigt sein, mit diesem Theologen auch das gegenwärtige Erzählungsstück wie das vorige, den Täufer betreffende, einem und demselben ju- denchristlichen Verfasser zuzuschreiben. — Erst als gegen diese Verheiſsung eines Sohnes Maria von ihrer Jungfrau- schaft aus Einwendungen macht, bestimmt der Engel die Art der Empfängniſs näher dahin, daſs sie durch den hei- ligen Geist, durch die Kraft der Gottheit bewirkt werden werde, wonach nun auch die Benennung υἱὸς ϑεοῦ einen bestimmteren metaphysischen Sinn erhält. Zum bestätigen- den Zeichen, daſs etwas der Art Gott keineswegs unmög- lich sei, wird Maria auf den Vorgang mit ihrer Verwand- tin Elisabet verwiesen, worauf sie sich glaubig in den göttlichen Rathschluſs mit ihr ergiebt. Bei Matthäus, wo die Beschwichtigung der Bedenk- lichkeiten Josephs die Hauptsache ist, beginnt der Engel sogleich mit der Eröffnung, daſs, wie der Evangelist schon V. 18. für sich referirt hatte, das in Maria erzeugte Kind vom πνεῡμα ἃγιον sei, und hierauf erst wird Jesu messia- nische Bestimmung durch den Ausdruck bezeichnet, daſs er sein Volk von dessen Sünden erlösen werde. Klingt dieſs auch anscheinend weniger jüdisch, als das, wodurch bei Lukas die messianische Funktion des zu gebärenden Kindes ausgedrückt war: so sind doch in den άμαρτίαις auch die Strafen derselben, namentlich die Unterjochung des Volks durch Fremde, mitbegriffen, so daſs auch hier das jüdische Element nicht fehlt; so wie andrerseits in dem βασιλεύειν bei Lukas das Herrschen über ein folgsames, gebessertes Volk enthalten, also hier das Höhere nicht ganz zu vermissen ist. Hierauf fügt, sei es der Engel oder wahr- scheinlicher der Referent, durch die besonders bei ihm so oft wiederkehrende Formel: τοῦτο δὲ ὅλον γέγονεν, ἵνα πλη- ρωϑῇ τὸ ῥηϑὲν κ. τ. λ. (V. 22.) ein A. T.liches Orakel bei, 1) Über den Lukas, S. 23.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/168>, abgerufen am 28.03.2024.