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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
terlichen Antheils nicht hinreichend, wenn nicht auch der,
gleichfalls Sünde fortpflanzende, mütterliche, etwa durch die
Valentinische Behauptung eines blossen Durchgangs Christi
durch Maria, entfernt wird. Bleibt nun aber der mütterli-
che Antheil nach den evangelischen Berichten offenbar ste-
hen: so müssen wir, um doch die voraussezlich nothwen-
dige Unsündlichkeit herauszubekommen, eine göttliche Thä-
tigkeit annehmen, welche den Antheil der sündhaften mensch-
lichen Mutter bei der Erzeugung Jesu heiligte. Nahm aber
Gott mit dem stehenbleibenden mütterlichen Antheil eine
solche Reinigung vor, so lag es näher, dasselbe auch mit
dem männlichen zu thun, als durch gänzliche Ausschliessung
desselben eine so enorme Abweichung vom Gesetze der
Natur zu statuiren, und es lässt sich somit die vaterlose
Erzeugung Jesu nicht als nothwendiges Mittel zum Zwecke
seiner Unsündlichkeit behaupten.

Doch wer auch über die bisher vorgetragenen Schwie-
rigkeiten sich hinüberhelfen zu können glaubt, indem er
sich in einen für Vernunftgründe und Naturgesetze unzu-
gänglichen Supranaturalismus hüllt, dem müssen doch die
auf seinem eigenen N. T.lichen Boden gelegenen, exege-
tisch-historischen
Schwierigkeiten bedenklich sein, wel-
che gleichfalls die Ansicht von einer übernatürlichen Er-
zeugung Jesu drücken. In keiner andern Stelle des N. T.s
nämlich, ausser den beiden Kindheitsevangelien bei Mat-
thäus und Lukas, wird von einem solchen Ursprung Jesu
gesprochen, oder auch nur deutlich auf denselben hinge-
wiesen 9). Nicht allein Markus lässt die Erzeugungsge-

9) Diese Seite findet sich besonders hervorgekehrt in der Skia-
graphie des Dogma's von Jesu übernatürlicher Geburt, in
Schmidt's Bibliothek 1, 3, S. 400 ff.; in den Bemerkungen
über den Glaubenspunkt: Christus ist empfangen vom heil.
Geist, in Henke's neuem Magazin 3, 3, 365 ff.; in Kaiser's
bibl. Theol. 1, S. 231 f.; de Wette's bibl. Dogmatik, §. 281;
Schleiermacher's Glaubenslehre 2. Thl. §. 97.

Erster Abschnitt.
terlichen Antheils nicht hinreichend, wenn nicht auch der,
gleichfalls Sünde fortpflanzende, mütterliche, etwa durch die
Valentinische Behauptung eines bloſsen Durchgangs Christi
durch Maria, entfernt wird. Bleibt nun aber der mütterli-
che Antheil nach den evangelischen Berichten offenbar ste-
hen: so müssen wir, um doch die voraussezlich nothwen-
dige Unsündlichkeit herauszubekommen, eine göttliche Thä-
tigkeit annehmen, welche den Antheil der sündhaften mensch-
lichen Mutter bei der Erzeugung Jesu heiligte. Nahm aber
Gott mit dem stehenbleibenden mütterlichen Antheil eine
solche Reinigung vor, so lag es näher, dasselbe auch mit
dem männlichen zu thun, als durch gänzliche Ausschlieſsung
desselben eine so enorme Abweichung vom Gesetze der
Natur zu statuiren, und es läſst sich somit die vaterlose
Erzeugung Jesu nicht als nothwendiges Mittel zum Zwecke
seiner Unsündlichkeit behaupten.

Doch wer auch über die bisher vorgetragenen Schwie-
rigkeiten sich hinüberhelfen zu können glaubt, indem er
sich in einen für Vernunftgründe und Naturgesetze unzu-
gänglichen Supranaturalismus hüllt, dem müssen doch die
auf seinem eigenen N. T.lichen Boden gelegenen, exege-
tisch-historischen
Schwierigkeiten bedenklich sein, wel-
che gleichfalls die Ansicht von einer übernatürlichen Er-
zeugung Jesu drücken. In keiner andern Stelle des N. T.s
nämlich, ausser den beiden Kindheitsevangelien bei Mat-
thäus und Lukas, wird von einem solchen Ursprung Jesu
gesprochen, oder auch nur deutlich auf denselben hinge-
wiesen 9). Nicht allein Markus läſst die Erzeugungsge-

9) Diese Seite findet sich besonders hervorgekehrt in der Skia-
graphie des Dogma's von Jesu übernatürlicher Geburt, in
Schmidt's Bibliothek 1, 3, S. 400 ff.; in den Bemerkungen
über den Glaubenspunkt: Christus ist empfangen vom heil.
Geist, in Henke's neuem Magazin 3, 3, 365 ff.; in Kaiser's
bibl. Theol. 1, S. 231 f.; de Wette's bibl. Dogmatik, §. 281;
Schleiermacher's Glaubenslehre 2. Thl. §. 97.
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[154/0178] Erster Abschnitt. terlichen Antheils nicht hinreichend, wenn nicht auch der, gleichfalls Sünde fortpflanzende, mütterliche, etwa durch die Valentinische Behauptung eines bloſsen Durchgangs Christi durch Maria, entfernt wird. Bleibt nun aber der mütterli- che Antheil nach den evangelischen Berichten offenbar ste- hen: so müssen wir, um doch die voraussezlich nothwen- dige Unsündlichkeit herauszubekommen, eine göttliche Thä- tigkeit annehmen, welche den Antheil der sündhaften mensch- lichen Mutter bei der Erzeugung Jesu heiligte. Nahm aber Gott mit dem stehenbleibenden mütterlichen Antheil eine solche Reinigung vor, so lag es näher, dasselbe auch mit dem männlichen zu thun, als durch gänzliche Ausschlieſsung desselben eine so enorme Abweichung vom Gesetze der Natur zu statuiren, und es läſst sich somit die vaterlose Erzeugung Jesu nicht als nothwendiges Mittel zum Zwecke seiner Unsündlichkeit behaupten. Doch wer auch über die bisher vorgetragenen Schwie- rigkeiten sich hinüberhelfen zu können glaubt, indem er sich in einen für Vernunftgründe und Naturgesetze unzu- gänglichen Supranaturalismus hüllt, dem müssen doch die auf seinem eigenen N. T.lichen Boden gelegenen, exege- tisch-historischen Schwierigkeiten bedenklich sein, wel- che gleichfalls die Ansicht von einer übernatürlichen Er- zeugung Jesu drücken. In keiner andern Stelle des N. T.s nämlich, ausser den beiden Kindheitsevangelien bei Mat- thäus und Lukas, wird von einem solchen Ursprung Jesu gesprochen, oder auch nur deutlich auf denselben hinge- wiesen 9). Nicht allein Markus läſst die Erzeugungsge- 9) Diese Seite findet sich besonders hervorgekehrt in der Skia- graphie des Dogma's von Jesu übernatürlicher Geburt, in Schmidt's Bibliothek 1, 3, S. 400 ff.; in den Bemerkungen über den Glaubenspunkt: Christus ist empfangen vom heil. Geist, in Henke's neuem Magazin 3, 3, 365 ff.; in Kaiser's bibl. Theol. 1, S. 231 f.; de Wette's bibl. Dogmatik, §. 281; Schleiermacher's Glaubenslehre 2. Thl. §. 97.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/178>, abgerufen am 25.04.2024.