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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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auch eis ptosin gereichen, und das Herz seiner Mutter
eine Romphaia durchdringen werde, von welcher Seite sei-
nes Berufs und Schicksals allerdings den Eltern Jesu noch
nichts mitgetheilt worden war, worüber sie sich also wohl
hätten verwundern können; sondern diese Eröffnungen
macht Simeon erst nach der Verwunderung der Eltern,
welche ihrerseits nur durch die Äusserungen der Freude
Simeons über den Anblick des Retters, der zur Herrlich-
keit Israels und zur Leuchte auch für die ethne dienen wer-
de, verursacht ist. Und hier nun wiederum ist keine An-
deutung, dass die Verwunderung etwa der von Simeon
ausgesprochenen Beziehung Jesu auch zu den Heiden ge-
golten hätte, was sie überdiess auch nicht wohl konnte,
da diese weitere Bestimmung des Messias schon im A. T.
gegeben war. Es bleibt mithin als Grund jener Verwun-
derung nur die von Simeon ausgesprochene Messianität des
Kindes, welche ihnen aber schon längst durch Engel an-
gekündigt, und von Maria in ihrem Lobgesang erkannt
worden war. Ebenso unbegreiflich nun wie dort die Ver-
wunderung, ist in unsrer Stelle das Nichtverstehen, und
wir müssen sagen: haben die Eltern Jesu diesen Ausspruch
des Zwölfjährigen nicht verstanden: so können jene frü-
heren Mittheilungen nicht geschehen sein; oder, ist dieses
Frühere wirklich vorgefallen, so kann ihnen jene spätere
Rede nicht unverständlich geblieben sein. Sofern nun wir
jene früheren Ereignisse als historische aufgehoben haben,
könnten wir dieses später sich zeigende Nichtverstehen uns
gefallen lassen, wenn wir nicht bei einem Berichte, dessen
folgende Stücke mit den vorhergehenden so wenig zusam-
menstimmen, billig gegen alle misstrauisch würden. Denn
das ist ganz der Charakter -- nicht einer geschichtlichen
Nachricht, sondern einer Wundersage, ihre Figuren so
permanent in der Stimmung des Verwunderns verbleiben
zu lassen, dass sie nicht allein bei dem ersten Hervortre-
ten des Ausserordentlichen, sondern auch bei der zweiten,

Fünftes Kapitel. §. 36.
auch εἰς πτῶσιν gereichen, und das Herz seiner Mutter
eine ῥομφαία durchdringen werde, von welcher Seite sei-
nes Berufs und Schicksals allerdings den Eltern Jesu noch
nichts mitgetheilt worden war, worüber sie sich also wohl
hätten verwundern können; sondern diese Eröffnungen
macht Simeon erst nach der Verwunderung der Eltern,
welche ihrerseits nur durch die Äusserungen der Freude
Simeons über den Anblick des Retters, der zur Herrlich-
keit Israëls und zur Leuchte auch für die ἔϑνη dienen wer-
de, verursacht ist. Und hier nun wiederum ist keine An-
deutung, daſs die Verwunderung etwa der von Simeon
ausgesprochenen Beziehung Jesu auch zu den Heiden ge-
golten hätte, was sie überdieſs auch nicht wohl konnte,
da diese weitere Bestimmung des Messias schon im A. T.
gegeben war. Es bleibt mithin als Grund jener Verwun-
derung nur die von Simeon ausgesprochene Messianität des
Kindes, welche ihnen aber schon längst durch Engel an-
gekündigt, und von Maria in ihrem Lobgesang erkannt
worden war. Ebenso unbegreiflich nun wie dort die Ver-
wunderung, ist in unsrer Stelle das Nichtverstehen, und
wir müssen sagen: haben die Eltern Jesu diesen Ausspruch
des Zwölfjährigen nicht verstanden: so können jene frü-
heren Mittheilungen nicht geschehen sein; oder, ist dieses
Frühere wirklich vorgefallen, so kann ihnen jene spätere
Rede nicht unverständlich geblieben sein. Sofern nun wir
jene früheren Ereignisse als historische aufgehoben haben,
könnten wir dieses später sich zeigende Nichtverstehen uns
gefallen lassen, wenn wir nicht bei einem Berichte, dessen
folgende Stücke mit den vorhergehenden so wenig zusam-
menstimmen, billig gegen alle miſstrauisch würden. Denn
das ist ganz der Charakter — nicht einer geschichtlichen
Nachricht, sondern einer Wundersage, ihre Figuren so
permanent in der Stimmung des Verwunderns verbleiben
zu lassen, daſs sie nicht allein bei dem ersten Hervortre-
ten des Ausserordentlichen, sondern auch bei der zweiten,

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[287/0311] Fünftes Kapitel. §. 36. auch εἰς πτῶσιν gereichen, und das Herz seiner Mutter eine ῥομφαία durchdringen werde, von welcher Seite sei- nes Berufs und Schicksals allerdings den Eltern Jesu noch nichts mitgetheilt worden war, worüber sie sich also wohl hätten verwundern können; sondern diese Eröffnungen macht Simeon erst nach der Verwunderung der Eltern, welche ihrerseits nur durch die Äusserungen der Freude Simeons über den Anblick des Retters, der zur Herrlich- keit Israëls und zur Leuchte auch für die ἔϑνη dienen wer- de, verursacht ist. Und hier nun wiederum ist keine An- deutung, daſs die Verwunderung etwa der von Simeon ausgesprochenen Beziehung Jesu auch zu den Heiden ge- golten hätte, was sie überdieſs auch nicht wohl konnte, da diese weitere Bestimmung des Messias schon im A. T. gegeben war. Es bleibt mithin als Grund jener Verwun- derung nur die von Simeon ausgesprochene Messianität des Kindes, welche ihnen aber schon längst durch Engel an- gekündigt, und von Maria in ihrem Lobgesang erkannt worden war. Ebenso unbegreiflich nun wie dort die Ver- wunderung, ist in unsrer Stelle das Nichtverstehen, und wir müssen sagen: haben die Eltern Jesu diesen Ausspruch des Zwölfjährigen nicht verstanden: so können jene frü- heren Mittheilungen nicht geschehen sein; oder, ist dieses Frühere wirklich vorgefallen, so kann ihnen jene spätere Rede nicht unverständlich geblieben sein. Sofern nun wir jene früheren Ereignisse als historische aufgehoben haben, könnten wir dieses später sich zeigende Nichtverstehen uns gefallen lassen, wenn wir nicht bei einem Berichte, dessen folgende Stücke mit den vorhergehenden so wenig zusam- menstimmen, billig gegen alle miſstrauisch würden. Denn das ist ganz der Charakter — nicht einer geschichtlichen Nachricht, sondern einer Wundersage, ihre Figuren so permanent in der Stimmung des Verwunderns verbleiben zu lassen, daſs sie nicht allein bei dem ersten Hervortre- ten des Ausserordentlichen, sondern auch bei der zweiten,

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/311>, abgerufen am 19.04.2024.