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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 38.
zu wehren, als sie zu erdichten, da sie ihnen nicht selten
den Spott ihrer Gegner zuzog. So konnte sich, wie be-
merkt, Celsus einer Anmerkung darüber nicht enthalten,
wesswegen Origenes von einer Bezeichnung Jesu als tekton
im N. T. gar nichts wissen will, und bekannt ist die spöt-
tische Frage des Libanius nach dem Zimmermannssohn,
welche nur ex eventu mit einer so schlagenden Antwort
versehen scheint 12). Freilich liesse sich dagegen sagen,
dass nicht nur die ganze Ansicht von den tektonikois ergois
Jesu auf einem blossen Schlusse von dem Handwerk seines
Vaters auf das Treiben des Sohns beruhe, welcher doch
ebenso gut auch eine andre Kunstfertigkeit sich habe an-
eignen können; sondern auch, dass die ganze Sage vom
Zimmermannshandwerk Jesu und Josephs jener von Ju-
stin herausgehobenen symbolischen Bedeutsamkeit desselben
ihre Entstehung verdanke. Da indessen die Angabe unse-
rer Evangelien von Joseph als tekton ganz trocken ist, und
nirgends im N. T. allegorisch benuzt wird: so möchte ich
diesem das genannte Handwerk nicht streitig machen, von
Jesus aber unausgemacht lassen, ob er daran Theil ge-
nommen oder nicht.

In welchen Vermögensumständen Jesus und seine El-
tern gewesen, ist Gegenstand mancher Verhandlungen ge-
worden. Dass die Behauptung einer drückenden Armuth
Jesu von Seiten orthodoxer Theologen auf dogmatisch-äs-
thetischen Gründen beruhte, indem man theils den status
exinanitionis
auch in diesem Stücke durchführen, theils
den Contrast zwischen der morphe theou und morphe doulou recht
grell ausmalen wollte, erhellt von selbst. Dass ferner der
angeführte paulinische Gegensatz (Phil. 2, 6 ff.), so wie
desselben Apostels Ausdruck, dass Christus eptokheuse (2.
Kor. 8, 9.), nur das glanzlose, mühevolle Leben bezeich-
ne, welchem er sich nach seiner himmlischen Präexistenz

12) Theodoret H. E. 3, 23.

Fünftes Kapitel. §. 38.
zu wehren, als sie zu erdichten, da sie ihnen nicht selten
den Spott ihrer Gegner zuzog. So konnte sich, wie be-
merkt, Celsus einer Anmerkung darüber nicht enthalten,
weſswegen Origenes von einer Bezeichnung Jesu als τέκτων
im N. T. gar nichts wissen will, und bekannt ist die spöt-
tische Frage des Libanius nach dem Zimmermannssohn,
welche nur ex eventu mit einer so schlagenden Antwort
versehen scheint 12). Freilich lieſse sich dagegen sagen,
daſs nicht nur die ganze Ansicht von den τεκτονικοῖς ἔργοις
Jesu auf einem bloſsen Schlusse von dem Handwerk seines
Vaters auf das Treiben des Sohns beruhe, welcher doch
ebenso gut auch eine andre Kunstfertigkeit sich habe an-
eignen können; sondern auch, daſs die ganze Sage vom
Zimmermannshandwerk Jesu und Josephs jener von Ju-
stin herausgehobenen symbolischen Bedeutsamkeit desselben
ihre Entstehung verdanke. Da indessen die Angabe unse-
rer Evangelien von Joseph als τέκτων ganz trocken ist, und
nirgends im N. T. allegorisch benuzt wird: so möchte ich
diesem das genannte Handwerk nicht streitig machen, von
Jesus aber unausgemacht lassen, ob er daran Theil ge-
nommen oder nicht.

In welchen Vermögensumständen Jesus und seine El-
tern gewesen, ist Gegenstand mancher Verhandlungen ge-
worden. Daſs die Behauptung einer drückenden Armuth
Jesu von Seiten orthodoxer Theologen auf dogmatisch-äs-
thetischen Gründen beruhte, indem man theils den status
exinanitionis
auch in diesem Stücke durchführen, theils
den Contrast zwischen der μορφὴ ϑεοῦ und μορφὴ δούλου recht
grell ausmalen wollte, erhellt von selbst. Daſs ferner der
angeführte paulinische Gegensatz (Phil. 2, 6 ff.), so wie
desselben Apostels Ausdruck, daſs Christus ἐπτώχευσε (2.
Kor. 8, 9.), nur das glanzlose, mühevolle Leben bezeich-
ne, welchem er sich nach seiner himmlischen Präexistenz

12) Theodoret H. E. 3, 23.
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[297/0321] Fünftes Kapitel. §. 38. zu wehren, als sie zu erdichten, da sie ihnen nicht selten den Spott ihrer Gegner zuzog. So konnte sich, wie be- merkt, Celsus einer Anmerkung darüber nicht enthalten, weſswegen Origenes von einer Bezeichnung Jesu als τέκτων im N. T. gar nichts wissen will, und bekannt ist die spöt- tische Frage des Libanius nach dem Zimmermannssohn, welche nur ex eventu mit einer so schlagenden Antwort versehen scheint 12). Freilich lieſse sich dagegen sagen, daſs nicht nur die ganze Ansicht von den τεκτονικοῖς ἔργοις Jesu auf einem bloſsen Schlusse von dem Handwerk seines Vaters auf das Treiben des Sohns beruhe, welcher doch ebenso gut auch eine andre Kunstfertigkeit sich habe an- eignen können; sondern auch, daſs die ganze Sage vom Zimmermannshandwerk Jesu und Josephs jener von Ju- stin herausgehobenen symbolischen Bedeutsamkeit desselben ihre Entstehung verdanke. Da indessen die Angabe unse- rer Evangelien von Joseph als τέκτων ganz trocken ist, und nirgends im N. T. allegorisch benuzt wird: so möchte ich diesem das genannte Handwerk nicht streitig machen, von Jesus aber unausgemacht lassen, ob er daran Theil ge- nommen oder nicht. In welchen Vermögensumständen Jesus und seine El- tern gewesen, ist Gegenstand mancher Verhandlungen ge- worden. Daſs die Behauptung einer drückenden Armuth Jesu von Seiten orthodoxer Theologen auf dogmatisch-äs- thetischen Gründen beruhte, indem man theils den status exinanitionis auch in diesem Stücke durchführen, theils den Contrast zwischen der μορφὴ ϑεοῦ und μορφὴ δούλου recht grell ausmalen wollte, erhellt von selbst. Daſs ferner der angeführte paulinische Gegensatz (Phil. 2, 6 ff.), so wie desselben Apostels Ausdruck, daſs Christus ἐπτώχευσε (2. Kor. 8, 9.), nur das glanzlose, mühevolle Leben bezeich- ne, welchem er sich nach seiner himmlischen Präexistenz 12) Theodoret H. E. 3, 23.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/321>, abgerufen am 28.03.2024.