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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
Mit Recht findet man es psychologisch undenkbar, dass
derjenige, welcher, durch das Zeichen bei Jesu Taufe,
das er für eine göttliche Erklärung hielt, überzeugt, seit-
dem so bestimmt über die messianische Bestimmung und
höhere Natur Jesu sich ausgesprochen hatte, auf einmal
sollte in seiner Überzeugung wankend geworden sein, er
müsste denn einem vom Wind hin- und hergewehten Rohre
geglichen haben, was Jesus gerade rühmend von dem Täu-
fer leugnete (Matth. 11, 7. ff.); man sucht vergeblich nach
einem Anlass in dem Benehmen oder dem damaligen Schick-
sal Jesu, denn eben auf die Nachricht von den erga tou
Khrisou, welche nach Lukas Wunderthaten waren, die doch
am wenigsten Zweifel in ihm erregen konnten, sandte er
jene Botschaft ab; endlich muss man sich wundern, wie
Jesus später (Joh. 5, 33. ff.) so zuversichtlich auf des
Täufers Zeugniss von ihm sich berufen konnte, wenn es
doch bekannt war, dass Johannes am Ende selbst an sei-
ner Messianität irre geworden sei 2).

Man hat desswegen den Versuch gemacht, der Sache
die Wendung zu geben, dass Johannes nicht für sich
selbst, um seine eigene schwankende Überzeugung zu be-
festigen, sollte haben fragen lassen, sondern für seine
Jünger, um deren Zweifel niederzuschlagen, von welchen
er selber unberührt gewesen sei 3). Damit erledigen sich
allerdings die erwähnten Schwierigkeiten, namentlich scheint
klar zu werden, wie der Täufer gerade auf die Nachricht
von Jesu Wundern hin jene Sendung habe veranstalten
können, indem er nämlich hoffte, seine Jünger, welche
seinen Worten über Jesum nicht glaubten, werden durch
die Anschauung von dessen ausserordentlichen Thaten sich

2) s. Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 747 f. Kuinöl, Comm. in
Matth. S. 309.
3) So z. B. Calvin, Comm. in harm. ex Matth., Marc. et Luc.
z. d. St. P, 1, S. 258, ed. Tholuck.

Zweiter Abschnitt.
Mit Recht findet man es psychologisch undenkbar, daſs
derjenige, welcher, durch das Zeichen bei Jesu Taufe,
das er für eine göttliche Erklärung hielt, überzeugt, seit-
dem so bestimmt über die messianische Bestimmung und
höhere Natur Jesu sich ausgesprochen hatte, auf einmal
sollte in seiner Überzeugung wankend geworden sein, er
müſste denn einem vom Wind hin- und hergewehten Rohre
geglichen haben, was Jesus gerade rühmend von dem Täu-
fer leugnete (Matth. 11, 7. ff.); man sucht vergeblich nach
einem Anlaſs in dem Benehmen oder dem damaligen Schick-
sal Jesu, denn eben auf die Nachricht von den ἔργα τοῦ
Χριςοῦ, welche nach Lukas Wunderthaten waren, die doch
am wenigsten Zweifel in ihm erregen konnten, sandte er
jene Botschaft ab; endlich muſs man sich wundern, wie
Jesus später (Joh. 5, 33. ff.) so zuversichtlich auf des
Täufers Zeugniſs von ihm sich berufen konnte, wenn es
doch bekannt war, daſs Johannes am Ende selbst an sei-
ner Messianität irre geworden sei 2).

Man hat deſswegen den Versuch gemacht, der Sache
die Wendung zu geben, daſs Johannes nicht für sich
selbst, um seine eigene schwankende Überzeugung zu be-
festigen, sollte haben fragen lassen, sondern für seine
Jünger, um deren Zweifel niederzuschlagen, von welchen
er selber unberührt gewesen sei 3). Damit erledigen sich
allerdings die erwähnten Schwierigkeiten, namentlich scheint
klar zu werden, wie der Täufer gerade auf die Nachricht
von Jesu Wundern hin jene Sendung habe veranstalten
können, indem er nämlich hoffte, seine Jünger, welche
seinen Worten über Jesum nicht glaubten, werden durch
die Anschauung von dessen ausserordentlichen Thaten sich

2) s. Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 747 f. Kuinöl, Comm. in
Matth. S. 309.
3) So z. B. Calvin, Comm. in harm. ex Matth., Marc. et Luc.
z. d. St. P, 1, S. 258, ed. Tholuck.
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[332/0356] Zweiter Abschnitt. Mit Recht findet man es psychologisch undenkbar, daſs derjenige, welcher, durch das Zeichen bei Jesu Taufe, das er für eine göttliche Erklärung hielt, überzeugt, seit- dem so bestimmt über die messianische Bestimmung und höhere Natur Jesu sich ausgesprochen hatte, auf einmal sollte in seiner Überzeugung wankend geworden sein, er müſste denn einem vom Wind hin- und hergewehten Rohre geglichen haben, was Jesus gerade rühmend von dem Täu- fer leugnete (Matth. 11, 7. ff.); man sucht vergeblich nach einem Anlaſs in dem Benehmen oder dem damaligen Schick- sal Jesu, denn eben auf die Nachricht von den ἔργα τοῦ Χριςοῦ, welche nach Lukas Wunderthaten waren, die doch am wenigsten Zweifel in ihm erregen konnten, sandte er jene Botschaft ab; endlich muſs man sich wundern, wie Jesus später (Joh. 5, 33. ff.) so zuversichtlich auf des Täufers Zeugniſs von ihm sich berufen konnte, wenn es doch bekannt war, daſs Johannes am Ende selbst an sei- ner Messianität irre geworden sei 2). Man hat deſswegen den Versuch gemacht, der Sache die Wendung zu geben, daſs Johannes nicht für sich selbst, um seine eigene schwankende Überzeugung zu be- festigen, sollte haben fragen lassen, sondern für seine Jünger, um deren Zweifel niederzuschlagen, von welchen er selber unberührt gewesen sei 3). Damit erledigen sich allerdings die erwähnten Schwierigkeiten, namentlich scheint klar zu werden, wie der Täufer gerade auf die Nachricht von Jesu Wundern hin jene Sendung habe veranstalten können, indem er nämlich hoffte, seine Jünger, welche seinen Worten über Jesum nicht glaubten, werden durch die Anschauung von dessen ausserordentlichen Thaten sich 2) s. Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 747 f. Kuinöl, Comm. in Matth. S. 309. 3) So z. B. Calvin, Comm. in harm. ex Matth., Marc. et Luc. z. d. St. P, 1, S. 258, ed. Tholuck.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/356>, abgerufen am 25.04.2024.