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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
noch besonders unnöthig, da, wie Olshausen mit Recht be-
merkt, auf die Frage des Petrus jede andre lobende Aner-
kennung des Strebens der Jünger genügt haben würde.
Scheint so Jesus die jüdischen Erwartungen, welche er
hier vorträgt, selbst auch getheilt haben zu müssen: so
versuchen die Ausleger die verzweifeltsten Sprünge, um
diesem unwillkommenen Ergebniss sich zu entziehen. Die
einen durch willkührliche Änderung der Lesart 4); die
anderen, indem sie aus Jesu Worten eine Ironie über die
hohen Ansprüche der Jünger bei noch so geringen Leistun-
gen herausdeuten 5), andere noch anders, aber alle so un-
natürlich, dass man lieber eingesteht, Jesus habe hier im
Zusammenhang mit jüdischen Vorstellungen den Aposteln
einen Antheil an dem von ihm äusserlich abzuhaltenden
messianischen Gerichte zuerkannt, was allerdings auf ein
politisches Element in seinen Begriffen vom Messiasreich
hinzudeuten scheint 6), zumal er der Apostelgeschichte zu-
folge (1, 7.) auch nach der Auferstehung noch auf die
schon erwähnte Frage der Jünger nicht diess verneint,
dass er das Reich Israel wiederherstellen werde, sondern
nur die Frage nach den khronois und kairois dieser Wieder-
herstellung als ungehörig zurückweist.

Unter den Handlungen Jesu beruft man sich für die
Behauptung eines politischen Plans besonders auf seinen
lezten Einzug in Jerusalem (Matth. 21, 1 ff). Hier deutet
nach dem Fragmentisten Alles auf eine politische Absicht
hin. Der Zeitpunkt, den er wählt: nach hinreichend lan-
ger Vorbereitung des Volks in den Provinzen das von die-
sem zahlreich besuchte Osterfest; das Thier, das er be-
steigt, durch welches er sich mit Bezug auf Zacharias als
den für Jerusalem bestimmten König ankündigen wollte;

4) Paulus, ex. Handb. 2, S. 613 f.
5) Liebe, in Winer's exeget. Studien 1, 59 ff.
6) Hase, L. J. §. 68.

Zweiter Abschnitt.
noch besonders unnöthig, da, wie Olshausen mit Recht be-
merkt, auf die Frage des Petrus jede andre lobende Aner-
kennung des Strebens der Jünger genügt haben würde.
Scheint so Jesus die jüdischen Erwartungen, welche er
hier vorträgt, selbst auch getheilt haben zu müssen: so
versuchen die Ausleger die verzweifeltsten Sprünge, um
diesem unwillkommenen Ergebniſs sich zu entziehen. Die
einen durch willkührliche Änderung der Lesart 4); die
anderen, indem sie aus Jesu Worten eine Ironie über die
hohen Ansprüche der Jünger bei noch so geringen Leistun-
gen herausdeuten 5), andere noch anders, aber alle so un-
natürlich, daſs man lieber eingesteht, Jesus habe hier im
Zusammenhang mit jüdischen Vorstellungen den Aposteln
einen Antheil an dem von ihm äusserlich abzuhaltenden
messianischen Gerichte zuerkannt, was allerdings auf ein
politisches Element in seinen Begriffen vom Messiasreich
hinzudeuten scheint 6), zumal er der Apostelgeschichte zu-
folge (1, 7.) auch nach der Auferstehung noch auf die
schon erwähnte Frage der Jünger nicht dieſs verneint,
daſs er das Reich Israël wiederherstellen werde, sondern
nur die Frage nach den χρόνοις und καιροῖς dieser Wieder-
herstellung als ungehörig zurückweist.

Unter den Handlungen Jesu beruft man sich für die
Behauptung eines politischen Plans besonders auf seinen
lezten Einzug in Jerusalem (Matth. 21, 1 ff). Hier deutet
nach dem Fragmentisten Alles auf eine politische Absicht
hin. Der Zeitpunkt, den er wählt: nach hinreichend lan-
ger Vorbereitung des Volks in den Provinzen das von die-
sem zahlreich besuchte Osterfest; das Thier, das er be-
steigt, durch welches er sich mit Bezug auf Zacharias als
den für Jerusalem bestimmten König ankündigen wollte;

4) Paulus, ex. Handb. 2, S. 613 f.
5) Liebe, in Winer's exeget. Studien 1, 59 ff.
6) Hase, L. J. §. 68.
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[490/0514] Zweiter Abschnitt. noch besonders unnöthig, da, wie Olshausen mit Recht be- merkt, auf die Frage des Petrus jede andre lobende Aner- kennung des Strebens der Jünger genügt haben würde. Scheint so Jesus die jüdischen Erwartungen, welche er hier vorträgt, selbst auch getheilt haben zu müssen: so versuchen die Ausleger die verzweifeltsten Sprünge, um diesem unwillkommenen Ergebniſs sich zu entziehen. Die einen durch willkührliche Änderung der Lesart 4); die anderen, indem sie aus Jesu Worten eine Ironie über die hohen Ansprüche der Jünger bei noch so geringen Leistun- gen herausdeuten 5), andere noch anders, aber alle so un- natürlich, daſs man lieber eingesteht, Jesus habe hier im Zusammenhang mit jüdischen Vorstellungen den Aposteln einen Antheil an dem von ihm äusserlich abzuhaltenden messianischen Gerichte zuerkannt, was allerdings auf ein politisches Element in seinen Begriffen vom Messiasreich hinzudeuten scheint 6), zumal er der Apostelgeschichte zu- folge (1, 7.) auch nach der Auferstehung noch auf die schon erwähnte Frage der Jünger nicht dieſs verneint, daſs er das Reich Israël wiederherstellen werde, sondern nur die Frage nach den χρόνοις und καιροῖς dieser Wieder- herstellung als ungehörig zurückweist. Unter den Handlungen Jesu beruft man sich für die Behauptung eines politischen Plans besonders auf seinen lezten Einzug in Jerusalem (Matth. 21, 1 ff). Hier deutet nach dem Fragmentisten Alles auf eine politische Absicht hin. Der Zeitpunkt, den er wählt: nach hinreichend lan- ger Vorbereitung des Volks in den Provinzen das von die- sem zahlreich besuchte Osterfest; das Thier, das er be- steigt, durch welches er sich mit Bezug auf Zacharias als den für Jerusalem bestimmten König ankündigen wollte; 4) Paulus, ex. Handb. 2, S. 613 f. 5) Liebe, in Winer's exeget. Studien 1, 59 ff. 6) Hase, L. J. §. 68.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/514>, abgerufen am 24.04.2024.