Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
zum Glauben gebracht werden würde, wesswegen denn
eine solche Erscheinung, wenigstens zu jenem Zwecke, von
Gott nicht verfügt werde. Der speciellere Zweck, die
Jünger von der Übereinstimmung der Lehre und Schick-
sale Jesu mit Moses und den Propheten zu überzeugen,
war zum Theil schon erreicht, zum Theil aber wurde er
es erst nach dem Tode und der Auferstehung Jesu und der
Ausgiessung des Geistes, ohne dass die Verklärung in die-
ser Hinsicht irgend Epoche gemacht hätte. -- Endlich die
Stimme aus der lichten Wolke (ohne Zweifel der Schechi-
nah
) ist, gleich der bei der Taufe, eine Gottesstimme;
aber wie authropomorphistisch muss die Vorstellung von
Gott sein, welche ein wirkliches hörbares Sprechen Got-
tes für möglich hält: oder wenn hier nur von einer Mit-
theilung Gottes an das geistige Ohr die Rede sein soll 5),
so ist damit die Sache in das Visionäre hinübergespielt, und
in eine ganz andere Betrachtungsweise übergesprungen.

§. 102.
Die natürliche Auffassung der Erzählung in verschiedenen Formen.

Den ausgeführten Schwierigkeiten derjenigen Ansicht,
welche die Verklärung Jesu als wunderbare und zwar äus-
sere Begebenheit betrachtet, hat man dadurch zu entgehen
gesucht, dass man den ganzen Vorgang in das Innere der
dabei betheiligten Personen verlegte. Hiebei braucht das
Wunderbare nicht sogleich aufgegeben zu werden, nur
scheint es als ein im menschlichen Innern gewirktes Wun-
der einfacher und denkbarer zu sein. Man nimmt daher
an, dass durch göttliche Einwirkung das geistige Wesen
der drei Apostel, und wohl auch Jesu selbst, bis zur
Ekstase gesteigert worden sei, in welcher sie entweder
wirklich mit der höheren Welt in Berührung traten,
oder deren Gestalten auf's Lebendigste selbst produci-

5) Olshausen, S. 539. vgl. 178.

Zweiter Abschnitt.
zum Glauben gebracht werden würde, weſswegen denn
eine solche Erscheinung, wenigstens zu jenem Zwecke, von
Gott nicht verfügt werde. Der speciellere Zweck, die
Jünger von der Übereinstimmung der Lehre und Schick-
sale Jesu mit Moses und den Propheten zu überzeugen,
war zum Theil schon erreicht, zum Theil aber wurde er
es erst nach dem Tode und der Auferstehung Jesu und der
Ausgieſsung des Geistes, ohne daſs die Verklärung in die-
ser Hinsicht irgend Epoche gemacht hätte. — Endlich die
Stimme aus der lichten Wolke (ohne Zweifel der Schechi-
nah
) ist, gleich der bei der Taufe, eine Gottesstimme;
aber wie authropomorphistisch muſs die Vorstellung von
Gott sein, welche ein wirkliches hörbares Sprechen Got-
tes für möglich hält: oder wenn hier nur von einer Mit-
theilung Gottes an das geistige Ohr die Rede sein soll 5),
so ist damit die Sache in das Visionäre hinübergespielt, und
in eine ganz andere Betrachtungsweise übergesprungen.

§. 102.
Die natürliche Auffassung der Erzählung in verschiedenen Formen.

Den ausgeführten Schwierigkeiten derjenigen Ansicht,
welche die Verklärung Jesu als wunderbare und zwar äus-
sere Begebenheit betrachtet, hat man dadurch zu entgehen
gesucht, daſs man den ganzen Vorgang in das Innere der
dabei betheiligten Personen verlegte. Hiebei braucht das
Wunderbare nicht sogleich aufgegeben zu werden, nur
scheint es als ein im menschlichen Innern gewirktes Wun-
der einfacher und denkbarer zu sein. Man nimmt daher
an, daſs durch göttliche Einwirkung das geistige Wesen
der drei Apostel, und wohl auch Jesu selbst, bis zur
Ekstase gesteigert worden sei, in welcher sie entweder
wirklich mit der höheren Welt in Berührung traten,
oder deren Gestalten auf's Lebendigste selbst produci-

5) Olshausen, S. 539. vgl. 178.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0275" n="256"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
zum Glauben gebracht werden würde, we&#x017F;swegen denn<lb/>
eine solche Erscheinung, wenigstens zu jenem Zwecke, von<lb/>
Gott nicht verfügt werde. Der speciellere Zweck, die<lb/>
Jünger von der Übereinstimmung der Lehre und Schick-<lb/>
sale Jesu mit Moses und den Propheten zu überzeugen,<lb/>
war zum Theil schon erreicht, zum Theil aber wurde er<lb/>
es erst nach dem Tode und der Auferstehung Jesu und der<lb/>
Ausgie&#x017F;sung des Geistes, ohne da&#x017F;s die Verklärung in die-<lb/>
ser Hinsicht irgend Epoche gemacht hätte. &#x2014; Endlich die<lb/>
Stimme aus der lichten Wolke (ohne Zweifel der <hi rendition="#i">Schechi-<lb/>
nah</hi>) ist, gleich der bei der Taufe, eine Gottesstimme;<lb/>
aber wie authropomorphistisch mu&#x017F;s die Vorstellung von<lb/>
Gott sein, welche ein wirkliches hörbares Sprechen Got-<lb/>
tes für möglich hält: oder wenn hier nur von einer Mit-<lb/>
theilung Gottes an das geistige Ohr die Rede sein soll <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#k">Olshausen</hi>, S. 539. vgl. 178.</note>,<lb/>
so ist damit die Sache in das Visionäre hinübergespielt, und<lb/>
in eine ganz andere Betrachtungsweise übergesprungen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 102.<lb/>
Die natürliche Auffassung der Erzählung in verschiedenen Formen.</head><lb/>
          <p>Den ausgeführten Schwierigkeiten derjenigen Ansicht,<lb/>
welche die Verklärung Jesu als wunderbare und zwar äus-<lb/>
sere Begebenheit betrachtet, hat man dadurch zu entgehen<lb/>
gesucht, da&#x017F;s man den ganzen Vorgang in das Innere der<lb/>
dabei betheiligten Personen verlegte. Hiebei braucht das<lb/>
Wunderbare nicht sogleich aufgegeben zu werden, nur<lb/>
scheint es als ein im menschlichen Innern gewirktes Wun-<lb/>
der einfacher und denkbarer zu sein. Man nimmt daher<lb/>
an, da&#x017F;s durch göttliche Einwirkung das geistige Wesen<lb/>
der drei Apostel, und wohl auch Jesu selbst, bis zur<lb/>
Ekstase gesteigert worden sei, in welcher sie entweder<lb/>
wirklich mit der höheren Welt in Berührung traten,<lb/>
oder deren Gestalten auf's Lebendigste selbst produci-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0275] Zweiter Abschnitt. zum Glauben gebracht werden würde, weſswegen denn eine solche Erscheinung, wenigstens zu jenem Zwecke, von Gott nicht verfügt werde. Der speciellere Zweck, die Jünger von der Übereinstimmung der Lehre und Schick- sale Jesu mit Moses und den Propheten zu überzeugen, war zum Theil schon erreicht, zum Theil aber wurde er es erst nach dem Tode und der Auferstehung Jesu und der Ausgieſsung des Geistes, ohne daſs die Verklärung in die- ser Hinsicht irgend Epoche gemacht hätte. — Endlich die Stimme aus der lichten Wolke (ohne Zweifel der Schechi- nah) ist, gleich der bei der Taufe, eine Gottesstimme; aber wie authropomorphistisch muſs die Vorstellung von Gott sein, welche ein wirkliches hörbares Sprechen Got- tes für möglich hält: oder wenn hier nur von einer Mit- theilung Gottes an das geistige Ohr die Rede sein soll 5), so ist damit die Sache in das Visionäre hinübergespielt, und in eine ganz andere Betrachtungsweise übergesprungen. §. 102. Die natürliche Auffassung der Erzählung in verschiedenen Formen. Den ausgeführten Schwierigkeiten derjenigen Ansicht, welche die Verklärung Jesu als wunderbare und zwar äus- sere Begebenheit betrachtet, hat man dadurch zu entgehen gesucht, daſs man den ganzen Vorgang in das Innere der dabei betheiligten Personen verlegte. Hiebei braucht das Wunderbare nicht sogleich aufgegeben zu werden, nur scheint es als ein im menschlichen Innern gewirktes Wun- der einfacher und denkbarer zu sein. Man nimmt daher an, daſs durch göttliche Einwirkung das geistige Wesen der drei Apostel, und wohl auch Jesu selbst, bis zur Ekstase gesteigert worden sei, in welcher sie entweder wirklich mit der höheren Welt in Berührung traten, oder deren Gestalten auf's Lebendigste selbst produci- 5) Olshausen, S. 539. vgl. 178.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/275
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/275>, abgerufen am 28.03.2024.