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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer-
stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken,
diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die
förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten
und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be-
haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.),
möge sich eher an den Schluss, als für den Anfang der
Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar-
versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas
fehlte, geeignet haben; allein desswegen mit Olshausen
anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen
die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an,
während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge-
höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr, statt deren
man vielmehr anerkennen muss, dass der Verfasser des
vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als
die Haupterscheinung, die nach acht Tagen nur als eine
Nachholung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die
Erscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem
Verfasser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch
nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war.

§. 138.
Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als na-
türliches Ereigniss.

Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei
Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An-
schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem
lezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen,
sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jün-
gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben
worden (anelephthe) und habe sich zur Rechten Gottes ge-
sezt (16, 19.). Kaum anschaulicher heisst es im Lukas-
evangelium: Jesus habe seine Jünger exo eos eis Bethanian
hinausgeführt, und während er hier mit aufgehobenen

Dritter Abschnitt.
Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer-
stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken,
diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die
förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten
und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be-
haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.),
möge sich eher an den Schluſs, als für den Anfang der
Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar-
versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas
fehlte, geeignet haben; allein deſswegen mit Olshausen
anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen
die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an,
während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge-
höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr, statt deren
man vielmehr anerkennen muſs, daſs der Verfasser des
vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als
die Haupterscheinung, die nach acht Tagen nur als eine
Nachholung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die
Erscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem
Verfasser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch
nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war.

§. 138.
Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als na-
türliches Ereigniss.

Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei
Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An-
schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem
lezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen,
sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jün-
gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben
worden (ἀνελήφϑη) und habe sich zur Rechten Gottes ge-
sezt (16, 19.). Kaum anschaulicher heiſst es im Lukas-
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[672/0691] Dritter Abschnitt. Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer- stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken, diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be- haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.), möge sich eher an den Schluſs, als für den Anfang der Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar- versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas fehlte, geeignet haben; allein deſswegen mit Olshausen anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an, während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge- höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr, statt deren man vielmehr anerkennen muſs, daſs der Verfasser des vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als die Haupterscheinung, die nach acht Tagen nur als eine Nachholung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die Erscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem Verfasser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war. §. 138. Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als na- türliches Ereigniss. Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An- schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem lezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen, sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jün- gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben worden (ἀνελήφϑη) und habe sich zur Rechten Gottes ge- sezt (16, 19.). Kaum anschaulicher heiſst es im Lukas- evangelium: Jesus habe seine Jünger ἐξω ἕως εἰς Βηϑανίαν hinausgeführt, und während er hier mit aufgehobenen

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/691>, abgerufen am 29.03.2024.