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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Schlussabhandlung. §. 147.
aber, indem er sterbend seine Natürlichkeit abstreifte,
zeigte er den Weg, wie er die Versöhnung ewig zu Stan-
de bringt, nämlich durch Entäusserung zur Natürlichkeit
und Wiederaufhebung derselben identisch mit sich zu blei-
ben. Insofern der Tod des Gottmenschen nur Aufhebung
seiner Entäusserung und Niedrigkeit ist, ist er in der
That Erhöhung und Rückkehr zu Gott, und so folgt auf
den Tod wesentlich die Auferstehung und Himmelfahrt.

Indem der Gottmensch, welcher während seines Le-
bens den mit ihm Lebenden sinnlich als ein Andrer gegen-
überstand, durch den Tod ihren Sinnen entnommen wird,
geht er in ihre Vorstellung und Erinnerung ein, wird so-
mit die in ihm gesezte Einheit des Göttlichen und Mensch-
lichen allgemeines Bewusstsein, und die Gemeinde muss die
Momente seines Lebens, welche er äusserlich durchlief, in
sich auf geistige Weise wiederholen. Im Natürlichen sich
schon vorfindend, muss der Glaubige, wie Christus, dem
Natürlichen -- aber nur innerlich, wie er äusserlich --
sterben, geistig, wie Christus leiblich, sich kreuzigen und
begraben lassen, um durch Aufhebung der Natürlichkeit
mit sich als Geist identisch zu sein, und an Christi Selig-
keit und Herrlichkeit Antheil zu bekommen.

§. 147.
Leztes Dilemma.

Hiemit scheint auf höhere Weise, aus dem Begriff
Gottes und des Menschen in ihrem gegenseitigen Verhält-
niss heraus, die Wahrheit der kirchlichen Vorstellung von
Christus bestätigt, und so zum orthodoxen Standpunkt,
wiewohl auf umgekehrtem Wege, zurückgelenkt zu sein;
wie nämlich dort aus der Richtigkeit der evangelischen
Geschichte die Wahrheit der kirchlichen Begriffe von Chri-
sto deducirt wurde: so hier aus der Wahrheit der Begrif-
fe die Richtigkeit der Historie. Das Vernünftige ist auch
wirklich, die Idee nicht ein Kantisches Sollen bloss, son-

Schluſsabhandlung. §. 147.
aber, indem er sterbend seine Natürlichkeit abstreifte,
zeigte er den Weg, wie er die Versöhnung ewig zu Stan-
de bringt, nämlich durch Entäusserung zur Natürlichkeit
und Wiederaufhebung derselben identisch mit sich zu blei-
ben. Insofern der Tod des Gottmenschen nur Aufhebung
seiner Entäusserung und Niedrigkeit ist, ist er in der
That Erhöhung und Rückkehr zu Gott, und so folgt auf
den Tod wesentlich die Auferstehung und Himmelfahrt.

Indem der Gottmensch, welcher während seines Le-
bens den mit ihm Lebenden sinnlich als ein Andrer gegen-
überstand, durch den Tod ihren Sinnen entnommen wird,
geht er in ihre Vorstellung und Erinnerung ein, wird so-
mit die in ihm gesezte Einheit des Göttlichen und Mensch-
lichen allgemeines Bewuſstsein, und die Gemeinde muſs die
Momente seines Lebens, welche er äusserlich durchlief, in
sich auf geistige Weise wiederholen. Im Natürlichen sich
schon vorfindend, muſs der Glaubige, wie Christus, dem
Natürlichen — aber nur innerlich, wie er äusserlich —
sterben, geistig, wie Christus leiblich, sich kreuzigen und
begraben lassen, um durch Aufhebung der Natürlichkeit
mit sich als Geist identisch zu sein, und an Christi Selig-
keit und Herrlichkeit Antheil zu bekommen.

§. 147.
Leztes Dilemma.

Hiemit scheint auf höhere Weise, aus dem Begriff
Gottes und des Menschen in ihrem gegenseitigen Verhält-
niſs heraus, die Wahrheit der kirchlichen Vorstellung von
Christus bestätigt, und so zum orthodoxen Standpunkt,
wiewohl auf umgekehrtem Wege, zurückgelenkt zu sein;
wie nämlich dort aus der Richtigkeit der evangelischen
Geschichte die Wahrheit der kirchlichen Begriffe von Chri-
sto deducirt wurde: so hier aus der Wahrheit der Begrif-
fe die Richtigkeit der Historie. Das Vernünftige ist auch
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[732/0751] Schluſsabhandlung. §. 147. aber, indem er sterbend seine Natürlichkeit abstreifte, zeigte er den Weg, wie er die Versöhnung ewig zu Stan- de bringt, nämlich durch Entäusserung zur Natürlichkeit und Wiederaufhebung derselben identisch mit sich zu blei- ben. Insofern der Tod des Gottmenschen nur Aufhebung seiner Entäusserung und Niedrigkeit ist, ist er in der That Erhöhung und Rückkehr zu Gott, und so folgt auf den Tod wesentlich die Auferstehung und Himmelfahrt. Indem der Gottmensch, welcher während seines Le- bens den mit ihm Lebenden sinnlich als ein Andrer gegen- überstand, durch den Tod ihren Sinnen entnommen wird, geht er in ihre Vorstellung und Erinnerung ein, wird so- mit die in ihm gesezte Einheit des Göttlichen und Mensch- lichen allgemeines Bewuſstsein, und die Gemeinde muſs die Momente seines Lebens, welche er äusserlich durchlief, in sich auf geistige Weise wiederholen. Im Natürlichen sich schon vorfindend, muſs der Glaubige, wie Christus, dem Natürlichen — aber nur innerlich, wie er äusserlich — sterben, geistig, wie Christus leiblich, sich kreuzigen und begraben lassen, um durch Aufhebung der Natürlichkeit mit sich als Geist identisch zu sein, und an Christi Selig- keit und Herrlichkeit Antheil zu bekommen. §. 147. Leztes Dilemma. Hiemit scheint auf höhere Weise, aus dem Begriff Gottes und des Menschen in ihrem gegenseitigen Verhält- niſs heraus, die Wahrheit der kirchlichen Vorstellung von Christus bestätigt, und so zum orthodoxen Standpunkt, wiewohl auf umgekehrtem Wege, zurückgelenkt zu sein; wie nämlich dort aus der Richtigkeit der evangelischen Geschichte die Wahrheit der kirchlichen Begriffe von Chri- sto deducirt wurde: so hier aus der Wahrheit der Begrif- fe die Richtigkeit der Historie. Das Vernünftige ist auch wirklich, die Idee nicht ein Kantisches Sollen bloſs, son-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 732. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/751>, abgerufen am 29.03.2024.