Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
herausgestellt habe 15). Die einzige Differenz ist hier ei-
gentlich noch die geringere Zahl der Brote und die grössere
des gesättigten Volks auf Seiten der evangelischen Erzäh-
lung; allein wer weiss nicht, dass überhaupt die Sage nicht
leicht nachbildet, ohne zugleich zu überbieten, und wer
sieht nicht, dass es insbesondre der Stellung des Messias
völlig angemessen war, seine Wunderkraft zu der eines
Elisa, was das Bedürfniss natürlicher Mittel betrifft, in
das Verhältniss von 5 zu 20, was aber die übernatürliche
Leistung, in das von 5000 zu 100 zu setzen? Paulus frei-
lich, um die Folgerung abzuschneiden, dass, wie die bei-
den A. T.lichen, so auch die ihnen so auffallend ähnliche
evangelische Erzählung mythisch zu fassen sei, dehnt auch
auf jene den Versuch einer natürlichen Erklärung aus, den
er an dieser durchgeführt, und lässt den Ölkrug der Witt-
we durch Beiträge der Prophetenschüler voll erhalten wer-
den, die 20 Brote aber für 100 Mann vermöge einer lo-
benswerthen Mässigkeit derselben zureichen 16), eine Er-
klärung, welche in dem Maasse noch weniger verführe-
risch ist, als die entsprechende der N. T.lichen Erzählung,
in welchem bei jener vermöge ihrer grösseren Zeitentfer-
nung weniger kritische (und vermöge ihres nur mittelba-
ren Verhältnisses zum Christenthum auch weniger dogma-
tische) Beweggründe vorhanden sind, an ihrer historischen
Richtigkeit festzuhalten.

Diese mythische Deduktion der Speisungsgeschichte
vollständig zu machen, fehlt nichts mehr, als die Nach-
weisung, dass auch die späteren Juden noch von besonders
heiligen Männern glaubten, es werde durch ihren Einfluss

15) [Spaltenumbruch] Ebendas. V. 44: kai ephagon,
kai katelipon kata to Rema
Kuriou.

[Spaltenumbruch] Matth. 14, 20: kai ephagon pan-
tes kai ekhortasthesan, kai eran
to perisseuon ton klasmaton
k. t. l.
16) ex. Handb. 2, S. 237 f.

Zweiter Abschnitt.
herausgestellt habe 15). Die einzige Differenz ist hier ei-
gentlich noch die geringere Zahl der Brote und die gröſsere
des gesättigten Volks auf Seiten der evangelischen Erzäh-
lung; allein wer weiſs nicht, daſs überhaupt die Sage nicht
leicht nachbildet, ohne zugleich zu überbieten, und wer
sieht nicht, daſs es insbesondre der Stellung des Messias
völlig angemessen war, seine Wunderkraft zu der eines
Elisa, was das Bedürfniſs natürlicher Mittel betrifft, in
das Verhältniſs von 5 zu 20, was aber die übernatürliche
Leistung, in das von 5000 zu 100 zu setzen? Paulus frei-
lich, um die Folgerung abzuschneiden, daſs, wie die bei-
den A. T.lichen, so auch die ihnen so auffallend ähnliche
evangelische Erzählung mythisch zu fassen sei, dehnt auch
auf jene den Versuch einer natürlichen Erklärung aus, den
er an dieser durchgeführt, und läſst den Ölkrug der Witt-
we durch Beiträge der Prophetenschüler voll erhalten wer-
den, die 20 Brote aber für 100 Mann vermöge einer lo-
benswerthen Mäſsigkeit derselben zureichen 16), eine Er-
klärung, welche in dem Maaſse noch weniger verführe-
risch ist, als die entsprechende der N. T.lichen Erzählung,
in welchem bei jener vermöge ihrer gröſseren Zeitentfer-
nung weniger kritische (und vermöge ihres nur mittelba-
ren Verhältnisses zum Christenthum auch weniger dogma-
tische) Beweggründe vorhanden sind, an ihrer historischen
Richtigkeit festzuhalten.

Diese mythische Deduktion der Speisungsgeschichte
vollständig zu machen, fehlt nichts mehr, als die Nach-
weisung, daſs auch die späteren Juden noch von besonders
heiligen Männern glaubten, es werde durch ihren Einfluſs

15) [Spaltenumbruch] Ebendas. V. 44: καὶ ἔφαγον,
καὶ κατέλιπον κατὰ τὸ ῥῆμα
Κυρίου.

[Spaltenumbruch] Matth. 14, 20: καὶ ἔφαγον πάν-
τες καὶ ἐχορτάσϑησαν, καὶ ῇραν
τὸ περισσεῦον τῶν κλασμάτων
κ. τ. λ.
16) ex. Handb. 2, S. 237 f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0237" n="218"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
herausgestellt habe <note place="foot" n="15)"><lb/><cb/>
Ebendas. V. 44: <quote xml:lang="ell">&#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x1F14;&#x03C6;&#x03B1;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD;,<lb/>
&#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x03AD;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x1F70; &#x03C4;&#x1F78; &#x1FE5;&#x1FC6;&#x03BC;&#x03B1;<lb/>
&#x039A;&#x03C5;&#x03C1;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5;.</quote><lb/><cb/>
Matth. 14, 20: <quote xml:lang="ell">&#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x1F14;&#x03C6;&#x03B1;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C0;&#x03AC;&#x03BD;-<lb/>
&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x1F10;&#x03C7;&#x03BF;&#x03C1;&#x03C4;&#x03AC;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD;, &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x1FC7;&#x03C1;&#x03B1;&#x03BD;<lb/>
&#x03C4;&#x1F78; &#x03C0;&#x03B5;&#x03C1;&#x03B9;&#x03C3;&#x03C3;&#x03B5;&#x1FE6;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x03BA;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03BC;&#x03AC;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;<lb/>
&#x03BA;. &#x03C4;. &#x03BB;.</quote></note>. Die einzige Differenz ist hier ei-<lb/>
gentlich noch die geringere Zahl der Brote und die grö&#x017F;sere<lb/>
des gesättigten Volks auf Seiten der evangelischen Erzäh-<lb/>
lung; allein wer wei&#x017F;s nicht, da&#x017F;s überhaupt die Sage nicht<lb/>
leicht nachbildet, ohne zugleich zu überbieten, und wer<lb/>
sieht nicht, da&#x017F;s es insbesondre der Stellung des Messias<lb/>
völlig angemessen war, seine Wunderkraft zu der eines<lb/>
Elisa, was das Bedürfni&#x017F;s natürlicher Mittel betrifft, in<lb/>
das Verhältni&#x017F;s von 5 zu 20, was aber die übernatürliche<lb/>
Leistung, in das von 5000 zu 100 zu setzen? <hi rendition="#k">Paulus</hi> frei-<lb/>
lich, um die Folgerung abzuschneiden, da&#x017F;s, wie die bei-<lb/>
den A. T.lichen, so auch die ihnen so auffallend ähnliche<lb/>
evangelische Erzählung mythisch zu fassen sei, dehnt auch<lb/>
auf jene den Versuch einer natürlichen Erklärung aus, den<lb/>
er an dieser durchgeführt, und lä&#x017F;st den Ölkrug der Witt-<lb/>
we durch Beiträge der Prophetenschüler voll erhalten wer-<lb/>
den, die 20 Brote aber für 100 Mann vermöge einer lo-<lb/>
benswerthen Mä&#x017F;sigkeit derselben zureichen <note place="foot" n="16)">ex. Handb. 2, S. 237 f.</note>, eine Er-<lb/>
klärung, welche in dem Maa&#x017F;se noch weniger verführe-<lb/>
risch ist, als die entsprechende der N. T.lichen Erzählung,<lb/>
in welchem bei jener vermöge ihrer grö&#x017F;seren Zeitentfer-<lb/>
nung weniger kritische (und vermöge ihres nur mittelba-<lb/>
ren Verhältnisses zum Christenthum auch weniger dogma-<lb/>
tische) Beweggründe vorhanden sind, an ihrer historischen<lb/>
Richtigkeit festzuhalten.</p><lb/>
          <p>Diese mythische Deduktion der Speisungsgeschichte<lb/>
vollständig zu machen, fehlt nichts mehr, als die Nach-<lb/>
weisung, da&#x017F;s auch die späteren Juden noch von besonders<lb/>
heiligen Männern glaubten, es werde durch ihren Einflu&#x017F;s<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0237] Zweiter Abschnitt. herausgestellt habe 15). Die einzige Differenz ist hier ei- gentlich noch die geringere Zahl der Brote und die gröſsere des gesättigten Volks auf Seiten der evangelischen Erzäh- lung; allein wer weiſs nicht, daſs überhaupt die Sage nicht leicht nachbildet, ohne zugleich zu überbieten, und wer sieht nicht, daſs es insbesondre der Stellung des Messias völlig angemessen war, seine Wunderkraft zu der eines Elisa, was das Bedürfniſs natürlicher Mittel betrifft, in das Verhältniſs von 5 zu 20, was aber die übernatürliche Leistung, in das von 5000 zu 100 zu setzen? Paulus frei- lich, um die Folgerung abzuschneiden, daſs, wie die bei- den A. T.lichen, so auch die ihnen so auffallend ähnliche evangelische Erzählung mythisch zu fassen sei, dehnt auch auf jene den Versuch einer natürlichen Erklärung aus, den er an dieser durchgeführt, und läſst den Ölkrug der Witt- we durch Beiträge der Prophetenschüler voll erhalten wer- den, die 20 Brote aber für 100 Mann vermöge einer lo- benswerthen Mäſsigkeit derselben zureichen 16), eine Er- klärung, welche in dem Maaſse noch weniger verführe- risch ist, als die entsprechende der N. T.lichen Erzählung, in welchem bei jener vermöge ihrer gröſseren Zeitentfer- nung weniger kritische (und vermöge ihres nur mittelba- ren Verhältnisses zum Christenthum auch weniger dogma- tische) Beweggründe vorhanden sind, an ihrer historischen Richtigkeit festzuhalten. Diese mythische Deduktion der Speisungsgeschichte vollständig zu machen, fehlt nichts mehr, als die Nach- weisung, daſs auch die späteren Juden noch von besonders heiligen Männern glaubten, es werde durch ihren Einfluſs 15) Ebendas. V. 44: καὶ ἔφαγον, καὶ κατέλιπον κατὰ τὸ ῥῆμα Κυρίου. Matth. 14, 20: καὶ ἔφαγον πάν- τες καὶ ἐχορτάσϑησαν, καὶ ῇραν τὸ περισσεῦον τῶν κλασμάτων κ. τ. λ. 16) ex. Handb. 2, S. 237 f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/237
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/237>, abgerufen am 24.04.2024.