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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
Esel verabfolgt, und unmittelbar nach der Ankunft des
Esels Jesus sich zum Einzug angeschickt hätte. Auch lässt
sich, wenn Jesus in Bethanien über Nacht zu bleiben im
Sinne hatte, auf keine Weise ein Zweck seiner Sendung
nach dem Esel ausfindig machen. Denn soll das Dorf, in
welches er schickte, eben Bethanien gewesen sein: so hatte
er, wenn erst auf den andern Morgen ein Reitthier zu be-
stellen war, nicht nöthig, die Jünger vorauszuschicken,
sondern konnte füglich warten, bis sie in Bethanien ange-
kommen waren; dass er aber, ehe er noch in Bethanien
angelangt war, und sich umgesehen hatte, ob nicht hier
ein Esel zu finden sei, über dieses nächstgelegene Dorf
hinaus nach Bethphage geschickt haben sollte, um dort auf
den andern Morgen einen Esel aufzubieten, entbehrt vol-
lends aller Wahrscheinlichkeit, und doch sagt wenigstens
Matthäus entschieden, dass der Esel in Bethphage geholt
worden sei. Dazu kommt, dass, der Darstellung des Mar-
kus zufolge, als Jesus in Jerusalem ankam, bereits die
opsia angebrochen (11, 11.), und es ihm desswegen nur
noch möglich war, sich in Stadt und Tempel vorläufig um-
zusehen, worauf er mit den Zwölfen sich nach Bethanien
zurückzog. Nun lässt sich zwar das nicht beweisen, was
schon behauptet worden ist, dass das vierte Evangelium
den Einzug vielmehr auf den Morgen verlege: aber das
muss man fragen, warum denn Jesus, wenn er nur von
dem nahen Bethanien kam, nicht bälder von da aufgebro-
chen ist, um in Jerusalem auch noch etwas, das der Rede
werth wäre, thun zu können? Die späte Ankunft Jesu in
der Stadt, wie sie Markus behauptet, erklärt sich offen-
bar nur aus dem längeren Wege von Jericho her: kam er
bloss von Bethanien, so gieng er von hier schwerlich so
spät erst weg, dass er, nachdem er die Stadt sich nur
angesehen, wieder nach Bethanien umkehren musste, um
am folgenden Tag zeitiger von da aufzubrechen, woran
ihn aber auch schon am vorigen nichts gehindert hatte.

Zweiter Abschnitt.
Esel verabfolgt, und unmittelbar nach der Ankunft des
Esels Jesus sich zum Einzug angeschickt hätte. Auch läſst
sich, wenn Jesus in Bethanien über Nacht zu bleiben im
Sinne hatte, auf keine Weise ein Zweck seiner Sendung
nach dem Esel ausfindig machen. Denn soll das Dorf, in
welches er schickte, eben Bethanien gewesen sein: so hatte
er, wenn erst auf den andern Morgen ein Reitthier zu be-
stellen war, nicht nöthig, die Jünger vorauszuschicken,
sondern konnte füglich warten, bis sie in Bethanien ange-
kommen waren; daſs er aber, ehe er noch in Bethanien
angelangt war, und sich umgesehen hatte, ob nicht hier
ein Esel zu finden sei, über dieses nächstgelegene Dorf
hinaus nach Bethphage geschickt haben sollte, um dort auf
den andern Morgen einen Esel aufzubieten, entbehrt vol-
lends aller Wahrscheinlichkeit, und doch sagt wenigstens
Matthäus entschieden, daſs der Esel in Bethphage geholt
worden sei. Dazu kommt, daſs, der Darstellung des Mar-
kus zufolge, als Jesus in Jerusalem ankam, bereits die
ὀψία angebrochen (11, 11.), und es ihm deſswegen nur
noch möglich war, sich in Stadt und Tempel vorläufig um-
zusehen, worauf er mit den Zwölfen sich nach Bethanien
zurückzog. Nun läſst sich zwar das nicht beweisen, was
schon behauptet worden ist, daſs das vierte Evangelium
den Einzug vielmehr auf den Morgen verlege: aber das
muſs man fragen, warum denn Jesus, wenn er nur von
dem nahen Bethanien kam, nicht bälder von da aufgebro-
chen ist, um in Jerusalem auch noch etwas, das der Rede
werth wäre, thun zu können? Die späte Ankunft Jesu in
der Stadt, wie sie Markus behauptet, erklärt sich offen-
bar nur aus dem längeren Wege von Jericho her: kam er
bloſs von Bethanien, so gieng er von hier schwerlich so
spät erst weg, daſs er, nachdem er die Stadt sich nur
angesehen, wieder nach Bethanien umkehren muſste, um
am folgenden Tag zeitiger von da aufzubrechen, woran
ihn aber auch schon am vorigen nichts gehindert hatte.

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[282/0301] Zweiter Abschnitt. Esel verabfolgt, und unmittelbar nach der Ankunft des Esels Jesus sich zum Einzug angeschickt hätte. Auch läſst sich, wenn Jesus in Bethanien über Nacht zu bleiben im Sinne hatte, auf keine Weise ein Zweck seiner Sendung nach dem Esel ausfindig machen. Denn soll das Dorf, in welches er schickte, eben Bethanien gewesen sein: so hatte er, wenn erst auf den andern Morgen ein Reitthier zu be- stellen war, nicht nöthig, die Jünger vorauszuschicken, sondern konnte füglich warten, bis sie in Bethanien ange- kommen waren; daſs er aber, ehe er noch in Bethanien angelangt war, und sich umgesehen hatte, ob nicht hier ein Esel zu finden sei, über dieses nächstgelegene Dorf hinaus nach Bethphage geschickt haben sollte, um dort auf den andern Morgen einen Esel aufzubieten, entbehrt vol- lends aller Wahrscheinlichkeit, und doch sagt wenigstens Matthäus entschieden, daſs der Esel in Bethphage geholt worden sei. Dazu kommt, daſs, der Darstellung des Mar- kus zufolge, als Jesus in Jerusalem ankam, bereits die ὀψία angebrochen (11, 11.), und es ihm deſswegen nur noch möglich war, sich in Stadt und Tempel vorläufig um- zusehen, worauf er mit den Zwölfen sich nach Bethanien zurückzog. Nun läſst sich zwar das nicht beweisen, was schon behauptet worden ist, daſs das vierte Evangelium den Einzug vielmehr auf den Morgen verlege: aber das muſs man fragen, warum denn Jesus, wenn er nur von dem nahen Bethanien kam, nicht bälder von da aufgebro- chen ist, um in Jerusalem auch noch etwas, das der Rede werth wäre, thun zu können? Die späte Ankunft Jesu in der Stadt, wie sie Markus behauptet, erklärt sich offen- bar nur aus dem längeren Wege von Jericho her: kam er bloſs von Bethanien, so gieng er von hier schwerlich so spät erst weg, daſs er, nachdem er die Stadt sich nur angesehen, wieder nach Bethanien umkehren muſste, um am folgenden Tag zeitiger von da aufzubrechen, woran ihn aber auch schon am vorigen nichts gehindert hatte.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/301>, abgerufen am 19.04.2024.