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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
als Kreuzestodes ihm in den Mund gelegt, mithin die eige-
nen Worte Jesu nach dem Erfolg verändert. Wenn näm-
lich Jesus bei Johannes sonst passivisch von einem upso-
thenai des Menschensohns spricht, so konnte er hiemit zwar
möglicherweise seine Erhebung zur Herrlichkeit meinen,
wiewohl diess 3, 14. wegen der Vergleichung mit der mo-
saischen Schlange, die bekanntlich an einer Stange er-
höht worden ist, bereits schwer fällt: aber wenn er nun
8, 28. das Erhöhen des Menschensohns als That seiner
Feinde darstellt (otan upsosete ton uion t. a.), so konn-
ten diese ihn nicht unmittelbar zur Herrlichkeit, sondern
nur zum Kreuz erheben, und Johannes muss also, wenn
unser obiges Resultat gelten soll, diesen Ausdruck selbst
gebildet, oder doch die aramäischen Worte Jesu schief
übersezt haben, und er fällt daher mit den Synoptikern
im Wesentlichen unter eine Kategorie. Dass er übrigens
grösstentheils das Bestimmte, was er sich dabei dachte, Je-
sum in dunkeln Ausdrücken vortragen liess, diess hat in
der ganzen Manier dieses Evangelisten seinen Grund, des-
sen Neigung zum Räthselhaften und Mysteriösen hier der
Forderung, Weissagungen, die nicht verstanden worden
waren, auch unverständlich einzurichten, auf erwünschte
Art entgegenkam.

Jesu auf diese Weise eine Vorherverkündigung der
einzelnen Züge seines Leidens, namentlich der schmachvol-
len Kreuzigung, aus dem Erfolge heraus in den Mund
zu legen, dazu war die urchristliche Sage hinlänglich ver-
anlasst. Je mehr der gekreuzigte Christus Ioudaiois men
skandalon, Ellesi de moria war (1 Kor. 1, 23.): desto
mehr that es Noth, diesen Anstoss auf alle Weise hinweg-
zuschaffen, und wie hiezu unter dem Nachhergeschehenen
besonders die Auferstehung, als gleichsam die nachträg-
liche
Aufhebung jenes schmachvollen Todes, diente: so
musste es erwünscht sein, jener anstössigen Katastrophe
auch schon vorläufig den Stachel zu benehmen, was

Dritter Abschnitt.
als Kreuzestodes ihm in den Mund gelegt, mithin die eige-
nen Worte Jesu nach dem Erfolg verändert. Wenn näm-
lich Jesus bei Johannes sonst passivisch von einem ὑψω-
ϑῆναι des Menschensohns spricht, so konnte er hiemit zwar
möglicherweise seine Erhebung zur Herrlichkeit meinen,
wiewohl dieſs 3, 14. wegen der Vergleichung mit der mo-
saischen Schlange, die bekanntlich an einer Stange er-
höht worden ist, bereits schwer fällt: aber wenn er nun
8, 28. das Erhöhen des Menschensohns als That seiner
Feinde darstellt (ὅταν ὑψώσητε τὸν υἱὸν τ. ἀ.), so konn-
ten diese ihn nicht unmittelbar zur Herrlichkeit, sondern
nur zum Kreuz erheben, und Johannes muſs also, wenn
unser obiges Resultat gelten soll, diesen Ausdruck selbst
gebildet, oder doch die aramäischen Worte Jesu schief
übersezt haben, und er fällt daher mit den Synoptikern
im Wesentlichen unter eine Kategorie. Daſs er übrigens
gröſstentheils das Bestimmte, was er sich dabei dachte, Je-
sum in dunkeln Ausdrücken vortragen lieſs, dieſs hat in
der ganzen Manier dieses Evangelisten seinen Grund, des-
sen Neigung zum Räthselhaften und Mysteriösen hier der
Forderung, Weissagungen, die nicht verstanden worden
waren, auch unverständlich einzurichten, auf erwünschte
Art entgegenkam.

Jesu auf diese Weise eine Vorherverkündigung der
einzelnen Züge seines Leidens, namentlich der schmachvol-
len Kreuzigung, aus dem Erfolge heraus in den Mund
zu legen, dazu war die urchristliche Sage hinlänglich ver-
anlaſst. Je mehr der gekreuzigte Christus Ἰουδαίοις μὲν
σκάνδαλον, Ἕλλησι δὲ μωρία war (1 Kor. 1, 23.): desto
mehr that es Noth, diesen Anstoſs auf alle Weise hinweg-
zuschaffen, und wie hiezu unter dem Nachhergeschehenen
besonders die Auferstehung, als gleichsam die nachträg-
liche
Aufhebung jenes schmachvollen Todes, diente: so
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[310/0329] Dritter Abschnitt. als Kreuzestodes ihm in den Mund gelegt, mithin die eige- nen Worte Jesu nach dem Erfolg verändert. Wenn näm- lich Jesus bei Johannes sonst passivisch von einem ὑψω- ϑῆναι des Menschensohns spricht, so konnte er hiemit zwar möglicherweise seine Erhebung zur Herrlichkeit meinen, wiewohl dieſs 3, 14. wegen der Vergleichung mit der mo- saischen Schlange, die bekanntlich an einer Stange er- höht worden ist, bereits schwer fällt: aber wenn er nun 8, 28. das Erhöhen des Menschensohns als That seiner Feinde darstellt (ὅταν ὑψώσητε τὸν υἱὸν τ. ἀ.), so konn- ten diese ihn nicht unmittelbar zur Herrlichkeit, sondern nur zum Kreuz erheben, und Johannes muſs also, wenn unser obiges Resultat gelten soll, diesen Ausdruck selbst gebildet, oder doch die aramäischen Worte Jesu schief übersezt haben, und er fällt daher mit den Synoptikern im Wesentlichen unter eine Kategorie. Daſs er übrigens gröſstentheils das Bestimmte, was er sich dabei dachte, Je- sum in dunkeln Ausdrücken vortragen lieſs, dieſs hat in der ganzen Manier dieses Evangelisten seinen Grund, des- sen Neigung zum Räthselhaften und Mysteriösen hier der Forderung, Weissagungen, die nicht verstanden worden waren, auch unverständlich einzurichten, auf erwünschte Art entgegenkam. Jesu auf diese Weise eine Vorherverkündigung der einzelnen Züge seines Leidens, namentlich der schmachvol- len Kreuzigung, aus dem Erfolge heraus in den Mund zu legen, dazu war die urchristliche Sage hinlänglich ver- anlaſst. Je mehr der gekreuzigte Christus Ἰουδαίοις μὲν σκάνδαλον, Ἕλλησι δὲ μωρία war (1 Kor. 1, 23.): desto mehr that es Noth, diesen Anstoſs auf alle Weise hinweg- zuschaffen, und wie hiezu unter dem Nachhergeschehenen besonders die Auferstehung, als gleichsam die nachträg- liche Aufhebung jenes schmachvollen Todes, diente: so muſste es erwünscht sein, jener anstöſsigen Katastrophe auch schon vorläufig den Stachel zu benehmen, was

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/329>, abgerufen am 25.04.2024.