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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
Volk und Staat Israel; endlich die Hauptstelle, Ps. 16.,
kann nur auf einen Frommen gedeutet werden, welcher
durch Jehova's Hülfe einer Todesgefahr zu entrinnen hofft,
und zwar nicht in der Art, dass er, wie Jesus, aus dem
Grabe wieder hervorgehen, sondern gar nicht wirklich
in dasselbe versezt werden würde, versteht sich, diess nur
vor der Hand, und mit dem Vorbehalt, seiner Zeit aller-
dings der Natur den Tribut zu entrichten 13), was auf
Jesum wiederum nicht passen würde. Hätte also ein über-
natürliches Princip in Jesu, ein prophetischer Geist, ihn
in diesen A. T.lichen Geschichten und Stellen eine Voran-
deutung seiner Auferstehung finden lassen: so könnte, da
in keiner derselben eine solche Beziehung wirklich liegt,
der Geist in ihm nicht der Geist der Wahrheit, sondern
er müsste ein Lügengeist gewesen sein, das übernatürliche
Princip in ihm nicht ein göttliches, sondern ein dämoni-
sehes. Bleibt, um dieser Consequenz zu entgehen, dem
für verständige Auslegung des A. T.s zugänglichen Supra-
naturalisten nichts übrig, als das Vorherwissen Jesu von
seiner Auferstehung als ein natürlich-menschliches zu be-
haupten: so war die Auferstehung, als Wunder betrach-
tet, ein Geheimniss des göttlichen Rathschlusses, in wel-
ches einzudringen dem menschlichen Verstand vor dem Er-
folg unmöglich war; als natürlicher Erfolg angesehen aber
war sie der unberechenbarste Zufall, wenn man nicht ei-
nen von Jesu und seinen Verbündeten planmässig herbei-
geführten Scheintod annehmen will.

Also nach dem Erfolg erst ist so Voraussicht wie
Voraussage der Auferstehung Jesu beigelegt, und nun
war es auch bei der bodenlosen Willkühr jüdischer
Exegese den Jüngern und Verfassern der N. T.lichen
Schriften ein Leichtes, im A. T. Vorbilder und Weissa-
gungen auf die Wiederbelebung ihres Messias aufzufinden.

13) s. de Wette, z. d. St.

Dritter Abschnitt.
Volk und Staat Israël; endlich die Hauptstelle, Ps. 16.,
kann nur auf einen Frommen gedeutet werden, welcher
durch Jehova's Hülfe einer Todesgefahr zu entrinnen hofft,
und zwar nicht in der Art, daſs er, wie Jesus, aus dem
Grabe wieder hervorgehen, sondern gar nicht wirklich
in dasselbe versezt werden würde, versteht sich, dieſs nur
vor der Hand, und mit dem Vorbehalt, seiner Zeit aller-
dings der Natur den Tribut zu entrichten 13), was auf
Jesum wiederum nicht passen würde. Hätte also ein über-
natürliches Princip in Jesu, ein prophetischer Geist, ihn
in diesen A. T.lichen Geschichten und Stellen eine Voran-
deutung seiner Auferstehung finden lassen: so könnte, da
in keiner derselben eine solche Beziehung wirklich liegt,
der Geist in ihm nicht der Geist der Wahrheit, sondern
er müſste ein Lügengeist gewesen sein, das übernatürliche
Princip in ihm nicht ein göttliches, sondern ein dämoni-
sehes. Bleibt, um dieser Consequenz zu entgehen, dem
für verständige Auslegung des A. T.s zugänglichen Supra-
naturalisten nichts übrig, als das Vorherwissen Jesu von
seiner Auferstehung als ein natürlich-menschliches zu be-
haupten: so war die Auferstehung, als Wunder betrach-
tet, ein Geheimniſs des göttlichen Rathschlusses, in wel-
ches einzudringen dem menschlichen Verstand vor dem Er-
folg unmöglich war; als natürlicher Erfolg angesehen aber
war sie der unberechenbarste Zufall, wenn man nicht ei-
nen von Jesu und seinen Verbündeten planmäſsig herbei-
geführten Scheintod annehmen will.

Also nach dem Erfolg erst ist so Voraussicht wie
Voraussage der Auferstehung Jesu beigelegt, und nun
war es auch bei der bodenlosen Willkühr jüdischer
Exegese den Jüngern und Verfassern der N. T.lichen
Schriften ein Leichtes, im A. T. Vorbilder und Weissa-
gungen auf die Wiederbelebung ihres Messias aufzufinden.

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[340/0359] Dritter Abschnitt. Volk und Staat Israël; endlich die Hauptstelle, Ps. 16., kann nur auf einen Frommen gedeutet werden, welcher durch Jehova's Hülfe einer Todesgefahr zu entrinnen hofft, und zwar nicht in der Art, daſs er, wie Jesus, aus dem Grabe wieder hervorgehen, sondern gar nicht wirklich in dasselbe versezt werden würde, versteht sich, dieſs nur vor der Hand, und mit dem Vorbehalt, seiner Zeit aller- dings der Natur den Tribut zu entrichten 13), was auf Jesum wiederum nicht passen würde. Hätte also ein über- natürliches Princip in Jesu, ein prophetischer Geist, ihn in diesen A. T.lichen Geschichten und Stellen eine Voran- deutung seiner Auferstehung finden lassen: so könnte, da in keiner derselben eine solche Beziehung wirklich liegt, der Geist in ihm nicht der Geist der Wahrheit, sondern er müſste ein Lügengeist gewesen sein, das übernatürliche Princip in ihm nicht ein göttliches, sondern ein dämoni- sehes. Bleibt, um dieser Consequenz zu entgehen, dem für verständige Auslegung des A. T.s zugänglichen Supra- naturalisten nichts übrig, als das Vorherwissen Jesu von seiner Auferstehung als ein natürlich-menschliches zu be- haupten: so war die Auferstehung, als Wunder betrach- tet, ein Geheimniſs des göttlichen Rathschlusses, in wel- ches einzudringen dem menschlichen Verstand vor dem Er- folg unmöglich war; als natürlicher Erfolg angesehen aber war sie der unberechenbarste Zufall, wenn man nicht ei- nen von Jesu und seinen Verbündeten planmäſsig herbei- geführten Scheintod annehmen will. Also nach dem Erfolg erst ist so Voraussicht wie Voraussage der Auferstehung Jesu beigelegt, und nun war es auch bei der bodenlosen Willkühr jüdischer Exegese den Jüngern und Verfassern der N. T.lichen Schriften ein Leichtes, im A. T. Vorbilder und Weissa- gungen auf die Wiederbelebung ihres Messias aufzufinden. 13) s. de Wette, z. d. St.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/359>, abgerufen am 28.03.2024.