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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 88.
monen nur als die Aktionen der Macht des Bösen in ihrem
durch Gesetze geregelten Verhältniss zur Macht des Guten
betrachtet, so ist jede Willkühr und Zufälligkeit ausge-
schlossen, und desswegen hat die Abweichung der Conse-
quenz, dass nach seiner Theorie eigentlich immer die Schlimm-
sten besessen sein sollten, Olshausen sichtbare Mühe ver-
ursacht. Von dem scheinbaren Kampf zweier Mächte in
den Dämonischen ausgehend, ergreift er zunächst den Aus-
weg, dass nicht bei denjenigen, welche sich ganz dem Bö-
sen ergeben, und somit eine innere Einheit ihres Wesens
behalten, sondern nur bei denen, in welchen noch ein in-
neres Widerstreben gegen die Sünde vorhanden sei, der
Zustand des Besessenseins eintrete 32). So aber, zum rein
moralischen Phänomen gemacht, müsste dieser Zustand
weit häufiger vorkommen, es müsste jeder heftige innere
Kampf in dieser Form sich äussern, und namentlich dieje-
nigen, welche sich später dem Bösen ganz ergeben, ihren
Durchgang durch eine Periode des Kampfs, also des Be-
sessenseins, nehmen. Daher fügt auch Olshausen noch ein
physisches Moment hinzu, dass nämlich das Böse im Men-
schen vorwiegend seinen leiblichen Organismus, insbeson-
dere das Nervensystem geschwächt haben müsse, wenn er
für den dämonischen Zustand empfänglich sein solle. Al-
lein wer sieht nicht, zumal solche Zerrüttungen des Ner-
vensystems auch ohne sittliche Verschuldung eintreten kön-
nen, dass auf diese Weise der Zustand, welchen man der
dämonischen Macht als eigenthümlicher Ursache vindiciren
wollte, zum grossen Theil auf natürliche Gründe zurück-
geführt, und somit dem eigenen Zwecke widersprochen
wird? Daher wendet sich Olshausen von dieser Seite auch
bald wieder weg, und verweilt bei der Vergleichung des
daimonizomenos mit dem poneros, statt dass er ihn mit dem
Epileptischen und Wahnsinnigen zusammenstellen sollte,

32) S. 294.
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Neuntes Kapitel. §. 88.
monen nur als die Aktionen der Macht des Bösen in ihrem
durch Gesetze geregelten Verhältniſs zur Macht des Guten
betrachtet, so ist jede Willkühr und Zufälligkeit ausge-
schlossen, und deſswegen hat die Abweichung der Conse-
quenz, daſs nach seiner Theorie eigentlich immer die Schlimm-
sten besessen sein sollten, Olshausen sichtbare Mühe ver-
ursacht. Von dem scheinbaren Kampf zweier Mächte in
den Dämonischen ausgehend, ergreift er zunächst den Aus-
weg, daſs nicht bei denjenigen, welche sich ganz dem Bö-
sen ergeben, und somit eine innere Einheit ihres Wesens
behalten, sondern nur bei denen, in welchen noch ein in-
neres Widerstreben gegen die Sünde vorhanden sei, der
Zustand des Besessenseins eintrete 32). So aber, zum rein
moralischen Phänomen gemacht, müſste dieser Zustand
weit häufiger vorkommen, es müſste jeder heftige innere
Kampf in dieser Form sich äussern, und namentlich dieje-
nigen, welche sich später dem Bösen ganz ergeben, ihren
Durchgang durch eine Periode des Kampfs, also des Be-
sessenseins, nehmen. Daher fügt auch Olshausen noch ein
physisches Moment hinzu, daſs nämlich das Böse im Men-
schen vorwiegend seinen leiblichen Organismus, insbeson-
dere das Nervensystem geschwächt haben müsse, wenn er
für den dämonischen Zustand empfänglich sein solle. Al-
lein wer sieht nicht, zumal solche Zerrüttungen des Ner-
vensystems auch ohne sittliche Verschuldung eintreten kön-
nen, daſs auf diese Weise der Zustand, welchen man der
dämonischen Macht als eigenthümlicher Ursache vindiciren
wollte, zum groſsen Theil auf natürliche Gründe zurück-
geführt, und somit dem eigenen Zwecke widersprochen
wird? Daher wendet sich Olshausen von dieser Seite auch
bald wieder weg, und verweilt bei der Vergleichung des
δαιμονιζόμενος mit dem πονηρὸς, statt daſs er ihn mit dem
Epileptischen und Wahnsinnigen zusammenstellen sollte,

32) S. 294.
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[19/0038] Neuntes Kapitel. §. 88. monen nur als die Aktionen der Macht des Bösen in ihrem durch Gesetze geregelten Verhältniſs zur Macht des Guten betrachtet, so ist jede Willkühr und Zufälligkeit ausge- schlossen, und deſswegen hat die Abweichung der Conse- quenz, daſs nach seiner Theorie eigentlich immer die Schlimm- sten besessen sein sollten, Olshausen sichtbare Mühe ver- ursacht. Von dem scheinbaren Kampf zweier Mächte in den Dämonischen ausgehend, ergreift er zunächst den Aus- weg, daſs nicht bei denjenigen, welche sich ganz dem Bö- sen ergeben, und somit eine innere Einheit ihres Wesens behalten, sondern nur bei denen, in welchen noch ein in- neres Widerstreben gegen die Sünde vorhanden sei, der Zustand des Besessenseins eintrete 32). So aber, zum rein moralischen Phänomen gemacht, müſste dieser Zustand weit häufiger vorkommen, es müſste jeder heftige innere Kampf in dieser Form sich äussern, und namentlich dieje- nigen, welche sich später dem Bösen ganz ergeben, ihren Durchgang durch eine Periode des Kampfs, also des Be- sessenseins, nehmen. Daher fügt auch Olshausen noch ein physisches Moment hinzu, daſs nämlich das Böse im Men- schen vorwiegend seinen leiblichen Organismus, insbeson- dere das Nervensystem geschwächt haben müsse, wenn er für den dämonischen Zustand empfänglich sein solle. Al- lein wer sieht nicht, zumal solche Zerrüttungen des Ner- vensystems auch ohne sittliche Verschuldung eintreten kön- nen, daſs auf diese Weise der Zustand, welchen man der dämonischen Macht als eigenthümlicher Ursache vindiciren wollte, zum groſsen Theil auf natürliche Gründe zurück- geführt, und somit dem eigenen Zwecke widersprochen wird? Daher wendet sich Olshausen von dieser Seite auch bald wieder weg, und verweilt bei der Vergleichung des δαιμονιζόμενος mit dem πονηρὸς, statt daſs er ihn mit dem Epileptischen und Wahnsinnigen zusammenstellen sollte, 32) S. 294. 2 *

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/38>, abgerufen am 23.04.2024.