Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Kapitel. §. 121.
auch diesen Zug mit Schleiermacher als einen poetischen,
welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder bes-
ser als einen mythischen, dessen Entstehung sich leicht
aus dem Trieb erklären lässt, das Vorspiel des Leidens
Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da-
durch zu vervollständigen, dass nicht bloss das psychische
Moment jenes Leidens in der Bekümmerniss, sondern auch
das physische in dem Blutschweiss sollte vorgebildet ge-
wesen sein.

Dieser Eigenthümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei-
nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl,
der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen.
Können wir hier an der ersteren keinen besondern An-
stoss nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden-
des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergehen, ein
so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen,
ganz der Stimmung angemessen gefunden, in welcher Je-
sus damals war 29), und ebenso in der Wiederholung des
Gebets eine sachgemässe Steigerung, eine immer vollstän-
digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie-
sen 30). Allein dass die beiden Referenten die Gänge Je-
su zählen, von ek deuterou und ek tritou sprechen, zeigt
schon, dass ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel
gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge-
bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus-
druck zu geben weiss, beim dritten aber Jesum nur ton
auton logon wiederholen lässt, was Markus schon bei'm
zweiten Male thut: so wird vollends deutlich, dass sie in
Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit
gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach Olshausen soll Mat-
thäus mit seinen drei Akten dieses Kampfs schon desshalb
gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit-

29) Paulus, a. a. O. S. 549.
30) Theile, in Winer's und Engelhardt's krit. Journal, 2, S. 353.

Drittes Kapitel. §. 121.
auch diesen Zug mit Schleiermacher als einen poëtischen,
welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder bes-
ser als einen mythischen, dessen Entstehung sich leicht
aus dem Trieb erklären läſst, das Vorspiel des Leidens
Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da-
durch zu vervollständigen, daſs nicht bloſs das psychische
Moment jenes Leidens in der Bekümmerniſs, sondern auch
das physische in dem Blutschweiſs sollte vorgebildet ge-
wesen sein.

Dieser Eigenthümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei-
nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl,
der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen.
Können wir hier an der ersteren keinen besondern An-
stoſs nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden-
des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergehen, ein
so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen,
ganz der Stimmung angemessen gefunden, in welcher Je-
sus damals war 29), und ebenso in der Wiederholung des
Gebets eine sachgemäſse Steigerung, eine immer vollstän-
digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie-
sen 30). Allein daſs die beiden Referenten die Gänge Je-
su zählen, von ἐκ δευτέρου und ἐκ τρίτου sprechen, zeigt
schon, daſs ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel
gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge-
bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus-
druck zu geben weiſs, beim dritten aber Jesum nur τὸν
αὐτὸν λόγον wiederholen läſst, was Markus schon bei'm
zweiten Male thut: so wird vollends deutlich, daſs sie in
Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit
gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach Olshausen soll Mat-
thäus mit seinen drei Akten dieses Kampfs schon deſshalb
gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit-

29) Paulus, a. a. O. S. 549.
30) Theile, in Winer's und Engelhardt's krit. Journal, 2, S. 353.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0472" n="453"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Kapitel</hi>. §. 121.</fw><lb/>
auch diesen Zug mit <hi rendition="#k">Schleiermacher</hi> als einen poëtischen,<lb/>
welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder bes-<lb/>
ser als einen mythischen, dessen Entstehung sich leicht<lb/>
aus dem Trieb erklären lä&#x017F;st, das Vorspiel des Leidens<lb/>
Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da-<lb/>
durch zu vervollständigen, da&#x017F;s nicht blo&#x017F;s das psychische<lb/>
Moment jenes Leidens in der Bekümmerni&#x017F;s, sondern auch<lb/>
das physische in dem Blutschwei&#x017F;s sollte vorgebildet ge-<lb/>
wesen sein.</p><lb/>
          <p>Dieser Eigenthümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei-<lb/>
nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl,<lb/>
der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen.<lb/>
Können wir hier an der ersteren keinen besondern An-<lb/>
sto&#x017F;s nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden-<lb/>
des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergehen, ein<lb/>
so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen,<lb/>
ganz der Stimmung angemessen gefunden, in welcher Je-<lb/>
sus damals war <note place="foot" n="29)"><hi rendition="#k">Paulus</hi>, a. a. O. S. 549.</note>, und ebenso in der Wiederholung des<lb/>
Gebets eine sachgemä&#x017F;se Steigerung, eine immer vollstän-<lb/>
digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie-<lb/>
sen <note place="foot" n="30)"><hi rendition="#k">Theile</hi>, in <hi rendition="#k">Winer</hi>'s und <hi rendition="#k">Engelhardt</hi>'s krit. Journal, 2, S. 353.</note>. Allein da&#x017F;s die beiden Referenten die Gänge Je-<lb/>
su zählen, von <foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03BA; &#x03B4;&#x03B5;&#x03C5;&#x03C4;&#x03AD;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C5;</foreign> und <foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03BA; &#x03C4;&#x03C1;&#x03AF;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;</foreign> sprechen, zeigt<lb/>
schon, da&#x017F;s ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel<lb/>
gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge-<lb/>
bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus-<lb/>
druck zu geben wei&#x017F;s, beim dritten aber Jesum nur <foreign xml:lang="ell">&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD;<lb/>
&#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD; &#x03BB;&#x03CC;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD;</foreign> wiederholen lä&#x017F;st, was Markus schon bei'm<lb/>
zweiten Male thut: so wird vollends deutlich, da&#x017F;s sie in<lb/>
Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit<lb/>
gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach <hi rendition="#k">Olshausen</hi> soll Mat-<lb/>
thäus mit seinen drei Akten dieses Kampfs schon de&#x017F;shalb<lb/>
gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0472] Drittes Kapitel. §. 121. auch diesen Zug mit Schleiermacher als einen poëtischen, welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder bes- ser als einen mythischen, dessen Entstehung sich leicht aus dem Trieb erklären läſst, das Vorspiel des Leidens Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da- durch zu vervollständigen, daſs nicht bloſs das psychische Moment jenes Leidens in der Bekümmerniſs, sondern auch das physische in dem Blutschweiſs sollte vorgebildet ge- wesen sein. Dieser Eigenthümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei- nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl, der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen. Können wir hier an der ersteren keinen besondern An- stoſs nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden- des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergehen, ein so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen, ganz der Stimmung angemessen gefunden, in welcher Je- sus damals war 29), und ebenso in der Wiederholung des Gebets eine sachgemäſse Steigerung, eine immer vollstän- digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie- sen 30). Allein daſs die beiden Referenten die Gänge Je- su zählen, von ἐκ δευτέρου und ἐκ τρίτου sprechen, zeigt schon, daſs ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge- bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus- druck zu geben weiſs, beim dritten aber Jesum nur τὸν αὐτὸν λόγον wiederholen läſst, was Markus schon bei'm zweiten Male thut: so wird vollends deutlich, daſs sie in Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach Olshausen soll Mat- thäus mit seinen drei Akten dieses Kampfs schon deſshalb gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit- 29) Paulus, a. a. O. S. 549. 30) Theile, in Winer's und Engelhardt's krit. Journal, 2, S. 353.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/472
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/472>, abgerufen am 28.03.2024.