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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
nen zu sein, was ganz Worte eines Scheidenden sind, ge-
geben hatte: so kann er nicht später noch einmal, wie die
Apostelgeschichte im Eingang meldet, bei Jerusalem ihnen
die lezten Aufträge ertheilt, und Abschied von ihnen ge-
nommen haben. Nach dem Schluss des Lukasevangeliums
fällt dieser Abschied im Gegentheil viel früher, als er nach
Matthäus zu denken wäre, und der Schluss des Markus-
evangeliums legt dem noch am Tag der Auferstehung zu
Jerusalem von seinen Jüngern Scheidenden zum Theil die-
selben Worte in den Mund, welche nach Matthäus in Ga-
liläa, und jedenfalls später als am Auferstehungstag, ge-
sprochen sind. Darauf, dass die zwei Bücher des Ei-
nen Lukas in Bezug auf den Zeitraum, während dessen
Jesus nach seiner Auferstehung noch erschien, so weit von
einander abgehen, dass das eine diesen Zeitraum als ein-
tägig, das andere als vierzigtägig bestimmt, kann erst tie-
fer unten nähere Rücksicht genommen werden.

Wenn so die verschiedenen evangelischen Referenten
der Erscheinungen Jesu nach seiner Auferstehung nur in
wenigen derselben zusammenstimmen; wenn die Lokalbe-
zeichnung des einen die von den übrigen berichteten Er-
scheinungen ausschliesst; die Zeitbestimmung eines andern
für die Erzählungen der übrigen keine Frist lässt; die Zäh-
lung eines Dritten ohne alle Rücksicht auf die andern an-
gelegt ist; endlich unter mehreren von verschiedenen Re-
ferenten berichteten Erscheinungen jede die lezte sein will,
und doch mit den übrigen nichts gemein hat: so müsste
man absichtlich blind sein wollen, wenn man nicht aner-
kennen würde, dass keiner der Berichterstatter das, was
der andere berichtet, kannte und voraussezte, dass je-
der die Sache wieder anders gehört hatte, dass somit
über die Erscheinungen des auferstandenen Jesus frühzei-
tig nur schwankende und vielfach variirte Gerüchte im Um-
lauf waren 17).

17) Vgl. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 254 ff.

Dritter Abschnitt.
nen zu sein, was ganz Worte eines Scheidenden sind, ge-
geben hatte: so kann er nicht später noch einmal, wie die
Apostelgeschichte im Eingang meldet, bei Jerusalem ihnen
die lezten Aufträge ertheilt, und Abschied von ihnen ge-
nommen haben. Nach dem Schluſs des Lukasevangeliums
fällt dieser Abschied im Gegentheil viel früher, als er nach
Matthäus zu denken wäre, und der Schluſs des Markus-
evangeliums legt dem noch am Tag der Auferstehung zu
Jerusalem von seinen Jüngern Scheidenden zum Theil die-
selben Worte in den Mund, welche nach Matthäus in Ga-
liläa, und jedenfalls später als am Auferstehungstag, ge-
sprochen sind. Darauf, daſs die zwei Bücher des Ei-
nen Lukas in Bezug auf den Zeitraum, während dessen
Jesus nach seiner Auferstehung noch erschien, so weit von
einander abgehen, daſs das eine diesen Zeitraum als ein-
tägig, das andere als vierzigtägig bestimmt, kann erst tie-
fer unten nähere Rücksicht genommen werden.

Wenn so die verschiedenen evangelischen Referenten
der Erscheinungen Jesu nach seiner Auferstehung nur in
wenigen derselben zusammenstimmen; wenn die Lokalbe-
zeichnung des einen die von den übrigen berichteten Er-
scheinungen ausschlieſst; die Zeitbestimmung eines andern
für die Erzählungen der übrigen keine Frist läſst; die Zäh-
lung eines Dritten ohne alle Rücksicht auf die andern an-
gelegt ist; endlich unter mehreren von verschiedenen Re-
ferenten berichteten Erscheinungen jede die lezte sein will,
und doch mit den übrigen nichts gemein hat: so müſste
man absichtlich blind sein wollen, wenn man nicht aner-
kennen würde, daſs keiner der Berichterstatter das, was
der andere berichtet, kannte und voraussezte, daſs je-
der die Sache wieder anders gehört hatte, daſs somit
über die Erscheinungen des auferstandenen Jesus frühzei-
tig nur schwankende und vielfach variirte Gerüchte im Um-
lauf waren 17).

17) Vgl. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 254 ff.
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[628/0647] Dritter Abschnitt. nen zu sein, was ganz Worte eines Scheidenden sind, ge- geben hatte: so kann er nicht später noch einmal, wie die Apostelgeschichte im Eingang meldet, bei Jerusalem ihnen die lezten Aufträge ertheilt, und Abschied von ihnen ge- nommen haben. Nach dem Schluſs des Lukasevangeliums fällt dieser Abschied im Gegentheil viel früher, als er nach Matthäus zu denken wäre, und der Schluſs des Markus- evangeliums legt dem noch am Tag der Auferstehung zu Jerusalem von seinen Jüngern Scheidenden zum Theil die- selben Worte in den Mund, welche nach Matthäus in Ga- liläa, und jedenfalls später als am Auferstehungstag, ge- sprochen sind. Darauf, daſs die zwei Bücher des Ei- nen Lukas in Bezug auf den Zeitraum, während dessen Jesus nach seiner Auferstehung noch erschien, so weit von einander abgehen, daſs das eine diesen Zeitraum als ein- tägig, das andere als vierzigtägig bestimmt, kann erst tie- fer unten nähere Rücksicht genommen werden. Wenn so die verschiedenen evangelischen Referenten der Erscheinungen Jesu nach seiner Auferstehung nur in wenigen derselben zusammenstimmen; wenn die Lokalbe- zeichnung des einen die von den übrigen berichteten Er- scheinungen ausschlieſst; die Zeitbestimmung eines andern für die Erzählungen der übrigen keine Frist läſst; die Zäh- lung eines Dritten ohne alle Rücksicht auf die andern an- gelegt ist; endlich unter mehreren von verschiedenen Re- ferenten berichteten Erscheinungen jede die lezte sein will, und doch mit den übrigen nichts gemein hat: so müſste man absichtlich blind sein wollen, wenn man nicht aner- kennen würde, daſs keiner der Berichterstatter das, was der andere berichtet, kannte und voraussezte, daſs je- der die Sache wieder anders gehört hatte, daſs somit über die Erscheinungen des auferstandenen Jesus frühzei- tig nur schwankende und vielfach variirte Gerüchte im Um- lauf waren 17). 17) Vgl. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 254 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/647>, abgerufen am 25.04.2024.