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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
anderhält, sondern sie zugleich in ihrer Identität, die Seele
als die Innerlichkeit des Leibs, den Leib als die Äusserlich-
keit der Seele begreift, weiss man schon gar nicht, wie
man sich die Wiederbelebung eines Todten nur vorstellen,
geschweige denn sie verstehen solle. Haben die Kräfte
und Thätigkeiten des Leibes einmal aufgehört, in denjenigen
regierenden Mittelpunkt zusammenzulaufen, welchen wir die
Seele nennen, deren Thätigkeit, oder vielmehr sie selbst,
in der ununterbrochenen Niederhaltung aller andern im
Körper möglichen Processe unter der höheren Einheit
des organischen Lebensprocesses, welche bei'm Menschen
zugleich die Basis des Geistigen ist, besteht: so tre-
ten in den verschiedenen Theilen des Körpers jene andern,
niedrigern Principien als herrschend auf, deren Geschäft
in seiner Fortsetzung die Verwesung ist. Haben diese ein-
mal die Herrschaft angetreten: so werden sie nicht geneigt
sein, sie an den vorigen Herrn, die Seele, zurückzugeben;
oder vielmehr ist diess desswegen unmöglich, weil, ganz
abgesehen von der Frage über die Unsterblichkeit des mensch-
lichen Geistes, mit ihrer Herrschaft und Thätigkeit, wel-
che ihre Existenz ist, die Seele als solche zu sein aufhört,
mithin bei einer Wiederbelebung, selbst wenn man sich
auf ein Wunder berufen wollte, diess geradezu in der Er-
schaffung einer neuen Seele bestehen müsste.

Nur der populärgewordene Dualismus in Bezug auf
das Verhältniss von Leib und Seele begünstigt die Mei-
nung von der Möglichkeit einer eigentlichen Wiederbele-
bung. Da wird die Seele in ihrem Verhältniss zum Kör-
per wie der Vogel vorgestellt, welcher, wenn auch eine
Weile aus dem Käfig entflogen, doch wieder eingefangen
und in denselben zurückgebracht werden kann, und an der-
gleichen Bilder hält sich ein imaginirendes Denken, um die
Vorstellung der Wiederbelebung festzuhalten. Doch selbst
auf dem Standpunkte dieses Dualismus versteckt sich die
Undenkbarkeit eines solchen Vorgangs mehr, als dass sie

Dritter Abschnitt.
anderhält, sondern sie zugleich in ihrer Identität, die Seele
als die Innerlichkeit des Leibs, den Leib als die Äusserlich-
keit der Seele begreift, weiſs man schon gar nicht, wie
man sich die Wiederbelebung eines Todten nur vorstellen,
geschweige denn sie verstehen solle. Haben die Kräfte
und Thätigkeiten des Leibes einmal aufgehört, in denjenigen
regierenden Mittelpunkt zusammenzulaufen, welchen wir die
Seele nennen, deren Thätigkeit, oder vielmehr sie selbst,
in der ununterbrochenen Niederhaltung aller andern im
Körper möglichen Processe unter der höheren Einheit
des organischen Lebensprocesses, welche bei'm Menschen
zugleich die Basis des Geistigen ist, besteht: so tre-
ten in den verschiedenen Theilen des Körpers jene andern,
niedrigern Principien als herrschend auf, deren Geschäft
in seiner Fortsetzung die Verwesung ist. Haben diese ein-
mal die Herrschaft angetreten: so werden sie nicht geneigt
sein, sie an den vorigen Herrn, die Seele, zurückzugeben;
oder vielmehr ist dieſs deſswegen unmöglich, weil, ganz
abgesehen von der Frage über die Unsterblichkeit des mensch-
lichen Geistes, mit ihrer Herrschaft und Thätigkeit, wel-
che ihre Existenz ist, die Seele als solche zu sein aufhört,
mithin bei einer Wiederbelebung, selbst wenn man sich
auf ein Wunder berufen wollte, dieſs geradezu in der Er-
schaffung einer neuen Seele bestehen müſste.

Nur der populärgewordene Dualismus in Bezug auf
das Verhältniſs von Leib und Seele begünstigt die Mei-
nung von der Möglichkeit einer eigentlichen Wiederbele-
bung. Da wird die Seele in ihrem Verhältniſs zum Kör-
per wie der Vogel vorgestellt, welcher, wenn auch eine
Weile aus dem Käfig entflogen, doch wieder eingefangen
und in denselben zurückgebracht werden kann, und an der-
gleichen Bilder hält sich ein imaginirendes Denken, um die
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auf dem Standpunkte dieses Dualismus versteckt sich die
Undenkbarkeit eines solchen Vorgangs mehr, als daſs sie

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[646/0665] Dritter Abschnitt. anderhält, sondern sie zugleich in ihrer Identität, die Seele als die Innerlichkeit des Leibs, den Leib als die Äusserlich- keit der Seele begreift, weiſs man schon gar nicht, wie man sich die Wiederbelebung eines Todten nur vorstellen, geschweige denn sie verstehen solle. Haben die Kräfte und Thätigkeiten des Leibes einmal aufgehört, in denjenigen regierenden Mittelpunkt zusammenzulaufen, welchen wir die Seele nennen, deren Thätigkeit, oder vielmehr sie selbst, in der ununterbrochenen Niederhaltung aller andern im Körper möglichen Processe unter der höheren Einheit des organischen Lebensprocesses, welche bei'm Menschen zugleich die Basis des Geistigen ist, besteht: so tre- ten in den verschiedenen Theilen des Körpers jene andern, niedrigern Principien als herrschend auf, deren Geschäft in seiner Fortsetzung die Verwesung ist. Haben diese ein- mal die Herrschaft angetreten: so werden sie nicht geneigt sein, sie an den vorigen Herrn, die Seele, zurückzugeben; oder vielmehr ist dieſs deſswegen unmöglich, weil, ganz abgesehen von der Frage über die Unsterblichkeit des mensch- lichen Geistes, mit ihrer Herrschaft und Thätigkeit, wel- che ihre Existenz ist, die Seele als solche zu sein aufhört, mithin bei einer Wiederbelebung, selbst wenn man sich auf ein Wunder berufen wollte, dieſs geradezu in der Er- schaffung einer neuen Seele bestehen müſste. Nur der populärgewordene Dualismus in Bezug auf das Verhältniſs von Leib und Seele begünstigt die Mei- nung von der Möglichkeit einer eigentlichen Wiederbele- bung. Da wird die Seele in ihrem Verhältniſs zum Kör- per wie der Vogel vorgestellt, welcher, wenn auch eine Weile aus dem Käfig entflogen, doch wieder eingefangen und in denselben zurückgebracht werden kann, und an der- gleichen Bilder hält sich ein imaginirendes Denken, um die Vorstellung der Wiederbelebung festzuhalten. Doch selbst auf dem Standpunkte dieses Dualismus versteckt sich die Undenkbarkeit eines solchen Vorgangs mehr, als daſs sie

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/665>, abgerufen am 16.04.2024.