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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
ferner, wenn er am Morgen nach der Auferstehung erklä-
re, noch nicht zu seinem Vater aufgestiegen zu sein, aber
demnächst sich dahin zu erheben (20, 17.): so könne es
deutlichere Hinweisungen auf die Himmelfahrt nicht wohl
geben; ebenso, wenn die Apostel in den Akten so oft von
Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes sprechen (2, 33. 5, 31.
vgl. 7, 56.), und Paulus ihn als anabas uperano panton
ton ouranon (Eph. 4, 10.), Petrus als poreutheis eis ouranon
darstelle (1 Petr. 3, 22.): so könne kein Zweifel sein,
dass sie nicht alle von seiner Himmelfahrt gewusst ha-
ben 5). Alle diese Stellen jedoch, mit Ausnahme etwa der
einzigen Joh. 6, 62., welche von einem theorein anabai-
nonta ton uion tou anthropou spricht, enthalten nur überhaupt
eine Erhebung in den Himmel, ohne Andeutung, dass sie
ein äusseres, sichtbares, und zwar von den Jüngern mitan-
geschautes Faktum gewesen. Vielmehr, wenn wir 1 Kor.
15, 5 ff. finden, wie Paulus die ihm zu Theil gewordene
Erscheinung Jesu, welche lange nach der voraussezlichen
Himmelfahrt stattfand, mit den Christophanieen vor dieser
Epoche so ohne alle Unterbrechung oder Andeutung ir-
gend eines Unterschieds zusammenstellt: so muss man
zweifeln, nicht bloss, ob alle Erscheinungen, die er ausser
der seinigen aufzählt, vor die Himmelfahrt fallen 6), son-
dern, ob der Apostel überhaupt von einer Himmelfahrt
als äusserem, den irdischen Wandel des Auferstandenen
beschliessenden Faktum etwas gewusst haben könne? In
Bezug auf den Verfasser des vierten Evangeliums aber
zwingt uns bei seiner Bildersprache das theorete schwer-
lich, ihm ein Wissen um die sichtbare Himmelfahrt Jesu

5) Seiler, bei Kuinöl, a. a. O., S. 221. Olshausen, S. 591 f.
Vgl. Griesrach, locorum N. T. ad ascensionem Christi in
coelum spectantium sylloge. In s. opusc. acad. ed. Gabler,
Vol. 2, S. 484 ff.
6) Schneckenburger, über den Urspr. u. s. f. S. 19.

Dritter Abschnitt.
ferner, wenn er am Morgen nach der Auferstehung erklä-
re, noch nicht zu seinem Vater aufgestiegen zu sein, aber
demnächst sich dahin zu erheben (20, 17.): so könne es
deutlichere Hinweisungen auf die Himmelfahrt nicht wohl
geben; ebenso, wenn die Apostel in den Akten so oft von
Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes sprechen (2, 33. 5, 31.
vgl. 7, 56.), und Paulus ihn als ἀναβὰς ὑπεράνω πάντων
τῶν οὐρανῶν (Eph. 4, 10.), Petrus als πορευϑεὶς εἰς οὐρανὸν
darstelle (1 Petr. 3, 22.): so könne kein Zweifel sein,
daſs sie nicht alle von seiner Himmelfahrt gewuſst ha-
ben 5). Alle diese Stellen jedoch, mit Ausnahme etwa der
einzigen Joh. 6, 62., welche von einem ϑεωρεῖν ἀναβαί-
νοντα τὸν υἱὸν τοῦ ἀνϑρώπου spricht, enthalten nur überhaupt
eine Erhebung in den Himmel, ohne Andeutung, daſs sie
ein äusseres, sichtbares, und zwar von den Jüngern mitan-
geschautes Faktum gewesen. Vielmehr, wenn wir 1 Kor.
15, 5 ff. finden, wie Paulus die ihm zu Theil gewordene
Erscheinung Jesu, welche lange nach der voraussezlichen
Himmelfahrt stattfand, mit den Christophanieen vor dieser
Epoche so ohne alle Unterbrechung oder Andeutung ir-
gend eines Unterschieds zusammenstellt: so muſs man
zweifeln, nicht bloſs, ob alle Erscheinungen, die er ausser
der seinigen aufzählt, vor die Himmelfahrt fallen 6), son-
dern, ob der Apostel überhaupt von einer Himmelfahrt
als äusserem, den irdischen Wandel des Auferstandenen
beschlieſsenden Faktum etwas gewuſst haben könne? In
Bezug auf den Verfasser des vierten Evangeliums aber
zwingt uns bei seiner Bildersprache das ϑεωρῆτε schwer-
lich, ihm ein Wissen um die sichtbare Himmelfahrt Jesu

5) Seiler, bei Kuinöl, a. a. O., S. 221. Olshausen, S. 591 f.
Vgl. Griesrach, locorum N. T. ad ascensionem Christi in
coelum spectantium sylloge. In s. opusc. acad. ed. Gabler,
Vol. 2, S. 484 ff.
6) Schneckenburger, über den Urspr. u. s. f. S. 19.
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[678/0697] Dritter Abschnitt. ferner, wenn er am Morgen nach der Auferstehung erklä- re, noch nicht zu seinem Vater aufgestiegen zu sein, aber demnächst sich dahin zu erheben (20, 17.): so könne es deutlichere Hinweisungen auf die Himmelfahrt nicht wohl geben; ebenso, wenn die Apostel in den Akten so oft von Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes sprechen (2, 33. 5, 31. vgl. 7, 56.), und Paulus ihn als ἀναβὰς ὑπεράνω πάντων τῶν οὐρανῶν (Eph. 4, 10.), Petrus als πορευϑεὶς εἰς οὐρανὸν darstelle (1 Petr. 3, 22.): so könne kein Zweifel sein, daſs sie nicht alle von seiner Himmelfahrt gewuſst ha- ben 5). Alle diese Stellen jedoch, mit Ausnahme etwa der einzigen Joh. 6, 62., welche von einem ϑεωρεῖν ἀναβαί- νοντα τὸν υἱὸν τοῦ ἀνϑρώπου spricht, enthalten nur überhaupt eine Erhebung in den Himmel, ohne Andeutung, daſs sie ein äusseres, sichtbares, und zwar von den Jüngern mitan- geschautes Faktum gewesen. Vielmehr, wenn wir 1 Kor. 15, 5 ff. finden, wie Paulus die ihm zu Theil gewordene Erscheinung Jesu, welche lange nach der voraussezlichen Himmelfahrt stattfand, mit den Christophanieen vor dieser Epoche so ohne alle Unterbrechung oder Andeutung ir- gend eines Unterschieds zusammenstellt: so muſs man zweifeln, nicht bloſs, ob alle Erscheinungen, die er ausser der seinigen aufzählt, vor die Himmelfahrt fallen 6), son- dern, ob der Apostel überhaupt von einer Himmelfahrt als äusserem, den irdischen Wandel des Auferstandenen beschlieſsenden Faktum etwas gewuſst haben könne? In Bezug auf den Verfasser des vierten Evangeliums aber zwingt uns bei seiner Bildersprache das ϑεωρῆτε schwer- lich, ihm ein Wissen um die sichtbare Himmelfahrt Jesu 5) Seiler, bei Kuinöl, a. a. O., S. 221. Olshausen, S. 591 f. Vgl. Griesrach, locorum N. T. ad ascensionem Christi in coelum spectantium sylloge. In s. opusc. acad. ed. Gabler, Vol. 2, S. 484 ff. 6) Schneckenburger, über den Urspr. u. s. f. S. 19.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/697>, abgerufen am 28.03.2024.