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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Ord
so hat das materielle, oder das, was jeder Stein an
sich hat, keinen Antheil an dieser Würkung. So haben
einzele Schläge auf eine Trummel, oder auf einen
Ambos nichts, das uns lokte; aber so bald wir
Ordnung darin bemerken, besonders, wenn sie me-
trisch, oder rhythmisch werden, so bekommen sie
ästhetische Kraft.

Ganz anders ist es mit solchen Dingen beschaffen,
die schon einzeln, jedes für sich, eine Kraft haben, wie
in der Rede, wo jedes Wort etwas bedeutet, oder
in einem Gemählde, wo jede Figur für sich schon
etwas hat, das den Geist oder das Herz beschäfti-
get. Wenn in dergleichen Gegenstände Ordnung
gelegt wird, so kann daraus eine Würkung entste-
hen, wozu nicht blos die Ordnung, sondern auch
das Materielle der geordneten Dinge das ihrige
beyträgt.

Jn dem wir also hier die Ordnung und ihre Wür-
kung betrachten, geschiehet es blos in so fern sie
rein, und von aller materiellen Kraft der geordne-
ten Sachen abgesondert ist, das ist, wir betrachten
die reine Form der Dinge, ohne Rüksicht auf die
Materie; kurz Ordnung, nicht Anordnung; denn
dieses leztere Wort scheinet allemal die Ordnung
auszudrüken, die in Rüksicht auf das Materielle
der Sachen bestimmt wird. Hier ist sie also gar
nichts, als der Erfolg der Regel des Nebeneinander-
stehenden, oder Aufeinander folgenden. Bestimmt
eine einzige einfache Regel die Folge der Dinge, so
bewürket sie das, was insgemein Regelmäßigkeit,
genennt wird, wie wenn Soldaten in Reyhen und
Glieder stehen; wird aber die Folge durch mehrere
Regeln bestimmt, so daß in der Folge der Dinge
mancherley Bedingungen müssen erfüllt werden,
so wird der Erfolg davon schon für etwas höheres,
als bloße Regelmäßigkeit gehalten; es kann Sym-
metrie, Eurythmie und Schönheit daraus entstehen.

Die Ordnung würkt Aufmerksamkeit auf den Ge-
genstand, Gefallen an demselben, macht ihn faßlich
und prägt ihn die Vorstellungskraft ein: das Unor-
dentliche wird unbemerkt, und wenn man es auch
betrachtet, so behält man es nicht in der Einbildungs-
kraft; weil es keine faßliche Form hat. Aber die
Würkung der Ordnung auf die Einbildungskraft
kann sich bis auf einen hohen Grad des Wolgefal-
lens und Vergnügens erstreken; wenn sie viel Man-
nigfaltigkeit genau in Eines verbindet, so bewürkt
sie eine Art des Schönen, welches sehr gefällt.
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Ord
Man sieht sehr schöne mosaisch gepflasterte, oder von
Holz eingelegte bunte Fußboden, da blos die Ord-
nung, in welcher kleine verschiedentlich gefärbte Drey-
und Vierecke gesezt sind, eine sehr angenehme Mannig-
faltigkeit von Formen und Verbindungen bewürket.
So gar kann durch blos reine Ordnung schon etwas
von sittlicher und leidenschaftlicher Kraft in den Ge-
genstand gelegt werden. Sie kann etwas phantasti-
sches; aber auch etwas wol überlegtes, etwas sehr
einfaches und gefälliges; aber auch etwas verwikel-
tes und lebhaftes haben. Das Spiehl der Trom-
mel, wo ein Stük vom andern sich blos durch die
Ordnung der aufeinanderfolgenden Schläge unter-
scheidet, kann allerley leidenschaftlichen Ausdruk an-
nehmen. So mannigfaltig ist die Würkung der
Ordnung.

Der Künstler kann also vielfachen Gebrauch von
der Ordnung machen. Jn einigen Werken ist
sie das einzige Aesihetische, wodurch sie zu Wer-
ken des Geschmaks werden. So gehören viel
Werke der Baukunst nur darum unter die Werke
der schönen Künste, weil die verschiedenen Theile
des Gebäudes, die nicht das Genie, oder der Ge-
schmak des Künstlers erfunden, sondern die Noth-
wendigkeit angegeben hat, ordentlich neben einan-
der gesezt worden. Auch einige Gärten haben von
dem Charakter der Werke des Geschmaks nichts,
als die Ordnung. Jn der Musik hat man auch
kleine ganz angenehme Melodien, die außer einer
sehr gefälligen Ordnung der Töne nichts Aesthetisches
haben. So geben die Dichter bisweilen einem epi-
schen Vers, dessen Jnhalt nichts ästhetisches hat,
durch Ordnung der Sylben einen schönen Klang,
wodurch er die epische Würde bekommt. Derglei-
chen kommen beym Homer nicht selten vor. Schon
der niedrigste Grad der Ordnung, oder die bloße
Regelmäßigkeit ist bisweilen hinreichend, ein Werk
in den Rang der Werke des Geschmaks zu erheben.
Wenn man die Werke der Kunst in eine Rangord-
nung sezen wollte, so würden dergleichen Werke, die
blos durch Ordnung gefallen, weil ihr Stoff nichts
von ästhetischen Werth hat, die niedrigste Classe
machen.

Eine gar zu leicht in die Sinnen fallende Ord-
nung aber schicket sich nicht für Werke, deren Stoff
nichts vorzügliches hat; sie werden matt, weil man
auf einen Blik das wenige ästhetische, was sie ha-
ben, entdeket: darum ist nichts matter, als ein Ge-

dicht
N n n n n 3

[Spaltenumbruch]

Ord
ſo hat das materielle, oder das, was jeder Stein an
ſich hat, keinen Antheil an dieſer Wuͤrkung. So haben
einzele Schlaͤge auf eine Trummel, oder auf einen
Ambos nichts, das uns lokte; aber ſo bald wir
Ordnung darin bemerken, beſonders, wenn ſie me-
triſch, oder rhythmiſch werden, ſo bekommen ſie
aͤſthetiſche Kraft.

Ganz anders iſt es mit ſolchen Dingen beſchaffen,
die ſchon einzeln, jedes fuͤr ſich, eine Kraft haben, wie
in der Rede, wo jedes Wort etwas bedeutet, oder
in einem Gemaͤhlde, wo jede Figur fuͤr ſich ſchon
etwas hat, das den Geiſt oder das Herz beſchaͤfti-
get. Wenn in dergleichen Gegenſtaͤnde Ordnung
gelegt wird, ſo kann daraus eine Wuͤrkung entſte-
hen, wozu nicht blos die Ordnung, ſondern auch
das Materielle der geordneten Dinge das ihrige
beytraͤgt.

Jn dem wir alſo hier die Ordnung und ihre Wuͤr-
kung betrachten, geſchiehet es blos in ſo fern ſie
rein, und von aller materiellen Kraft der geordne-
ten Sachen abgeſondert iſt, das iſt, wir betrachten
die reine Form der Dinge, ohne Ruͤkſicht auf die
Materie; kurz Ordnung, nicht Anordnung; denn
dieſes leztere Wort ſcheinet allemal die Ordnung
auszudruͤken, die in Ruͤkſicht auf das Materielle
der Sachen beſtimmt wird. Hier iſt ſie alſo gar
nichts, als der Erfolg der Regel des Nebeneinander-
ſtehenden, oder Aufeinander folgenden. Beſtimmt
eine einzige einfache Regel die Folge der Dinge, ſo
bewuͤrket ſie das, was insgemein Regelmaͤßigkeit,
genennt wird, wie wenn Soldaten in Reyhen und
Glieder ſtehen; wird aber die Folge durch mehrere
Regeln beſtimmt, ſo daß in der Folge der Dinge
mancherley Bedingungen muͤſſen erfuͤllt werden,
ſo wird der Erfolg davon ſchon fuͤr etwas hoͤheres,
als bloße Regelmaͤßigkeit gehalten; es kann Sym-
metrie, Eurythmie und Schoͤnheit daraus entſtehen.

Die Ordnung wuͤrkt Aufmerkſamkeit auf den Ge-
genſtand, Gefallen an demſelben, macht ihn faßlich
und praͤgt ihn die Vorſtellungskraft ein: das Unor-
dentliche wird unbemerkt, und wenn man es auch
betrachtet, ſo behaͤlt man es nicht in der Einbildungs-
kraft; weil es keine faßliche Form hat. Aber die
Wuͤrkung der Ordnung auf die Einbildungskraft
kann ſich bis auf einen hohen Grad des Wolgefal-
lens und Vergnuͤgens erſtreken; wenn ſie viel Man-
nigfaltigkeit genau in Eines verbindet, ſo bewuͤrkt
ſie eine Art des Schoͤnen, welches ſehr gefaͤllt.
[Spaltenumbruch]

Ord
Man ſieht ſehr ſchoͤne moſaiſch gepflaſterte, oder von
Holz eingelegte bunte Fußboden, da blos die Ord-
nung, in welcher kleine verſchiedentlich gefaͤrbte Drey-
und Vierecke geſezt ſind, eine ſehr angenehme Mannig-
faltigkeit von Formen und Verbindungen bewuͤrket.
So gar kann durch blos reine Ordnung ſchon etwas
von ſittlicher und leidenſchaftlicher Kraft in den Ge-
genſtand gelegt werden. Sie kann etwas phantaſti-
ſches; aber auch etwas wol uͤberlegtes, etwas ſehr
einfaches und gefaͤlliges; aber auch etwas verwikel-
tes und lebhaftes haben. Das Spiehl der Trom-
mel, wo ein Stuͤk vom andern ſich blos durch die
Ordnung der aufeinanderfolgenden Schlaͤge unter-
ſcheidet, kann allerley leidenſchaftlichen Ausdruk an-
nehmen. So mannigfaltig iſt die Wuͤrkung der
Ordnung.

Der Kuͤnſtler kann alſo vielfachen Gebrauch von
der Ordnung machen. Jn einigen Werken iſt
ſie das einzige Aeſihetiſche, wodurch ſie zu Wer-
ken des Geſchmaks werden. So gehoͤren viel
Werke der Baukunſt nur darum unter die Werke
der ſchoͤnen Kuͤnſte, weil die verſchiedenen Theile
des Gebaͤudes, die nicht das Genie, oder der Ge-
ſchmak des Kuͤnſtlers erfunden, ſondern die Noth-
wendigkeit angegeben hat, ordentlich neben einan-
der geſezt worden. Auch einige Gaͤrten haben von
dem Charakter der Werke des Geſchmaks nichts,
als die Ordnung. Jn der Muſik hat man auch
kleine ganz angenehme Melodien, die außer einer
ſehr gefaͤlligen Ordnung der Toͤne nichts Aeſthetiſches
haben. So geben die Dichter bisweilen einem epi-
ſchen Vers, deſſen Jnhalt nichts aͤſthetiſches hat,
durch Ordnung der Sylben einen ſchoͤnen Klang,
wodurch er die epiſche Wuͤrde bekommt. Derglei-
chen kommen beym Homer nicht ſelten vor. Schon
der niedrigſte Grad der Ordnung, oder die bloße
Regelmaͤßigkeit iſt bisweilen hinreichend, ein Werk
in den Rang der Werke des Geſchmaks zu erheben.
Wenn man die Werke der Kunſt in eine Rangord-
nung ſezen wollte, ſo wuͤrden dergleichen Werke, die
blos durch Ordnung gefallen, weil ihr Stoff nichts
von aͤſthetiſchen Werth hat, die niedrigſte Claſſe
machen.

Eine gar zu leicht in die Sinnen fallende Ord-
nung aber ſchicket ſich nicht fuͤr Werke, deren Stoff
nichts vorzuͤgliches hat; ſie werden matt, weil man
auf einen Blik das wenige aͤſthetiſche, was ſie ha-
ben, entdeket: darum iſt nichts matter, als ein Ge-

dicht
N n n n n 3
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[855[837]/0272] Ord Ord ſo hat das materielle, oder das, was jeder Stein an ſich hat, keinen Antheil an dieſer Wuͤrkung. So haben einzele Schlaͤge auf eine Trummel, oder auf einen Ambos nichts, das uns lokte; aber ſo bald wir Ordnung darin bemerken, beſonders, wenn ſie me- triſch, oder rhythmiſch werden, ſo bekommen ſie aͤſthetiſche Kraft. Ganz anders iſt es mit ſolchen Dingen beſchaffen, die ſchon einzeln, jedes fuͤr ſich, eine Kraft haben, wie in der Rede, wo jedes Wort etwas bedeutet, oder in einem Gemaͤhlde, wo jede Figur fuͤr ſich ſchon etwas hat, das den Geiſt oder das Herz beſchaͤfti- get. Wenn in dergleichen Gegenſtaͤnde Ordnung gelegt wird, ſo kann daraus eine Wuͤrkung entſte- hen, wozu nicht blos die Ordnung, ſondern auch das Materielle der geordneten Dinge das ihrige beytraͤgt. Jn dem wir alſo hier die Ordnung und ihre Wuͤr- kung betrachten, geſchiehet es blos in ſo fern ſie rein, und von aller materiellen Kraft der geordne- ten Sachen abgeſondert iſt, das iſt, wir betrachten die reine Form der Dinge, ohne Ruͤkſicht auf die Materie; kurz Ordnung, nicht Anordnung; denn dieſes leztere Wort ſcheinet allemal die Ordnung auszudruͤken, die in Ruͤkſicht auf das Materielle der Sachen beſtimmt wird. Hier iſt ſie alſo gar nichts, als der Erfolg der Regel des Nebeneinander- ſtehenden, oder Aufeinander folgenden. Beſtimmt eine einzige einfache Regel die Folge der Dinge, ſo bewuͤrket ſie das, was insgemein Regelmaͤßigkeit, genennt wird, wie wenn Soldaten in Reyhen und Glieder ſtehen; wird aber die Folge durch mehrere Regeln beſtimmt, ſo daß in der Folge der Dinge mancherley Bedingungen muͤſſen erfuͤllt werden, ſo wird der Erfolg davon ſchon fuͤr etwas hoͤheres, als bloße Regelmaͤßigkeit gehalten; es kann Sym- metrie, Eurythmie und Schoͤnheit daraus entſtehen. Die Ordnung wuͤrkt Aufmerkſamkeit auf den Ge- genſtand, Gefallen an demſelben, macht ihn faßlich und praͤgt ihn die Vorſtellungskraft ein: das Unor- dentliche wird unbemerkt, und wenn man es auch betrachtet, ſo behaͤlt man es nicht in der Einbildungs- kraft; weil es keine faßliche Form hat. Aber die Wuͤrkung der Ordnung auf die Einbildungskraft kann ſich bis auf einen hohen Grad des Wolgefal- lens und Vergnuͤgens erſtreken; wenn ſie viel Man- nigfaltigkeit genau in Eines verbindet, ſo bewuͤrkt ſie eine Art des Schoͤnen, welches ſehr gefaͤllt. Man ſieht ſehr ſchoͤne moſaiſch gepflaſterte, oder von Holz eingelegte bunte Fußboden, da blos die Ord- nung, in welcher kleine verſchiedentlich gefaͤrbte Drey- und Vierecke geſezt ſind, eine ſehr angenehme Mannig- faltigkeit von Formen und Verbindungen bewuͤrket. So gar kann durch blos reine Ordnung ſchon etwas von ſittlicher und leidenſchaftlicher Kraft in den Ge- genſtand gelegt werden. Sie kann etwas phantaſti- ſches; aber auch etwas wol uͤberlegtes, etwas ſehr einfaches und gefaͤlliges; aber auch etwas verwikel- tes und lebhaftes haben. Das Spiehl der Trom- mel, wo ein Stuͤk vom andern ſich blos durch die Ordnung der aufeinanderfolgenden Schlaͤge unter- ſcheidet, kann allerley leidenſchaftlichen Ausdruk an- nehmen. So mannigfaltig iſt die Wuͤrkung der Ordnung. Der Kuͤnſtler kann alſo vielfachen Gebrauch von der Ordnung machen. Jn einigen Werken iſt ſie das einzige Aeſihetiſche, wodurch ſie zu Wer- ken des Geſchmaks werden. So gehoͤren viel Werke der Baukunſt nur darum unter die Werke der ſchoͤnen Kuͤnſte, weil die verſchiedenen Theile des Gebaͤudes, die nicht das Genie, oder der Ge- ſchmak des Kuͤnſtlers erfunden, ſondern die Noth- wendigkeit angegeben hat, ordentlich neben einan- der geſezt worden. Auch einige Gaͤrten haben von dem Charakter der Werke des Geſchmaks nichts, als die Ordnung. Jn der Muſik hat man auch kleine ganz angenehme Melodien, die außer einer ſehr gefaͤlligen Ordnung der Toͤne nichts Aeſthetiſches haben. So geben die Dichter bisweilen einem epi- ſchen Vers, deſſen Jnhalt nichts aͤſthetiſches hat, durch Ordnung der Sylben einen ſchoͤnen Klang, wodurch er die epiſche Wuͤrde bekommt. Derglei- chen kommen beym Homer nicht ſelten vor. Schon der niedrigſte Grad der Ordnung, oder die bloße Regelmaͤßigkeit iſt bisweilen hinreichend, ein Werk in den Rang der Werke des Geſchmaks zu erheben. Wenn man die Werke der Kunſt in eine Rangord- nung ſezen wollte, ſo wuͤrden dergleichen Werke, die blos durch Ordnung gefallen, weil ihr Stoff nichts von aͤſthetiſchen Werth hat, die niedrigſte Claſſe machen. Eine gar zu leicht in die Sinnen fallende Ord- nung aber ſchicket ſich nicht fuͤr Werke, deren Stoff nichts vorzuͤgliches hat; ſie werden matt, weil man auf einen Blik das wenige aͤſthetiſche, was ſie ha- ben, entdeket: darum iſt nichts matter, als ein Ge- dicht N n n n n 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 855[837]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/272>, abgerufen am 28.03.2024.