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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Par
längst sehr richtig angemerkt, daß der leichtsinnige
Geschmak an Parodien, unter anderm auch dieses
verursachet habe, daß gewisse, recht sehr gute Scenen
des Corneille die öffentliche Vorstellung deswegen
nicht mehr vertragen.

Da der größte Theil der müßigen Menschen weit
mehr zum Leichtsinn, als zum Ernste geneigt ist,
so könnten durch Parodien die wichtigsten Gedichte
und die erhabensten Schriften über wahrhaftig große
Gegenstände, allmählig so lächerlich gemacht werden,
daß die ganze schönere Welt sich derselben schämte.
Man siehet gegenwärtig auch würklich nicht geringe
Proben davon.

Deswegen wollen wir doch nicht alle Parodien
schlechthin verwerfen. Sie sind wenigstens zur Hem-
mung gewisser erhabener Ausschweifungen und des ge-
lehrten, politischen und gottesdienstlichen übertriebenen
Fanatismus, ein gutes Mittel. Man kann kaum sa-
gen, ob es schädlicher sey über das Edle und Große
mit einer fantastischen Einbildungskraft hinaus zu-
schweifen, oder mit einem unbezähmten Leichtsin die
Schranken der Mäßigung im Lustigen zu überschrei-
ten. Beydes ist verderblich, wenn es bey einem
Volk allgemein wird. Dieses ist nur durch die
strenge Satyre und jenes durch das Lächerliche zu
hemmen. Auch in der Gelehrsamkeit und in dem
Geschmak giebt es einen pedantischen Fanatismus,
gegen den die Parodie ein bewährtes Mittel ist.
Davon haben wir an dem Chef d'oeuvre d'un Inconnu
ein Beyspiehl. Aber ohne sie zu so guten Absichten
anzuwenden, sie blos zum Lustigmachen brauchen,
ist ein höchstverderblicher Mißbrauch. Zum Glük
hat der Leichtsin der Parodie unsern Parnaß noch nicht
angestekt, obgleich hier und da sich Spuhren dieser
Pest gezeiget haben. Und da sich die Anzahl grün-
dlicher Kunstrichter in Deutschland noch immer ver-
mehrt, so ist zu hoffen, daß sie sich bey Zeiten mit
dem gehörigen Nachdruk dem Mißbrauch wieder-
sezen würden, so bald das Einreißen desselben zu
befürchten seyn möchte.

Partitur.
(Musik.)

Ein geschriebenes Tonstük, in dem alle dazu gehörige
Stimmen, jede auf ihrem besonderen System, mit
ihrem Schlüssel bezeichnet, unter einander stehen.
Die Partitur wird einem ausgeschriebenen Stük ent-
gegengesezt, in welchem jede Stimme, blos zum Ge-
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Pass
brauch derer, die sie vorzutragen haben, besonders,
und allein gesezt ist. Die Partitur wird so geschrie-
ben, daß von unten auf die Liniensysteme in der
Ordnung übereinanderfolgen, in welcher sie in dem
allgemeinen System der Töne stehen. Der Deut-
lichkeit halber müssen die Stimmen so geschrieben
seyn, daß nicht nur ganze Takte, sondern auch die
Haupttheile derselben durch alle Stimmen senkelrecht
aufeinandertreffen. Wenn das Tonstük so geschrie-
ben ist, so läßt sich darin alles mit einem Blik über-
sehen, und ein Kenner kann, ohne es gehört zu ha-
ben, von seinem Werth urtheilen, welches bey einem
ausgeschriebenen Stük sehr mühesam wäre. Bey
der Aufführung des Stüks muß der Capellmeister,
Concertmeister, oder wer sonst an seiner Stelle der
Aufführung vorsteht, die Partitur vor sich haben,
damit er sogleich jeden Fehler, in welcher Stimme
er begangen wird, bemerken, und so viel möglich
dem weitern Einreißen desselben zuvorkommen könne.
Bloße Liebhaber oder ausführende Virtuosen, die
Tonstüke zum Aufführen besizen, müssen sie ausge-
schrieben; Tonsezer aber, die sie zum Studiren brau-
chen, in Partitur haben.

Passacaille.
(Musik. Tanz.)

Ein Tonstük zum Tanzen, zu ernsthaft angenehmen,
und so genannten halben Charakteren. Der Takt
ist 3/4 und das Stük fängt mit dem dritten Viertel an.
Es besteht aus einem Saz von acht Takten, die Be-
wegung ist sehr mäßig. Das Stük wird nach Art
der Chaconne so gemacht, daß über dieselben Grund-
harmonien die Melodie vielfältig verändert wird;
es verträgt Noten von jeder Geltung. Man findet
auch solche, die mit dem Niederschlag anfangen,
und in Händels Suiten ist eine von vier Takten
in geradem Takt. Jn Frankreich sind die Paßacail-
len in den Opern Armide und Jsse sehr berühmt.

Passagen.
(Musik.)

Vom italiänischen Passo und Passagio: sind Zier-
rathen der Melodien, da auf eine Sylbe des Ge-
sanges mehrere Töne hintereinander folgen, oder
eine Hauptnote, die eine Sylbe vorstellt, durch so-
genannte Diminution, oder Verkleinerung in meh-
rere verwandelt wird. Jn beyden Fällen aber müs-
sen alle Töne der Passage, die Stelle eines einzigen

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Par
laͤngſt ſehr richtig angemerkt, daß der leichtſinnige
Geſchmak an Parodien, unter anderm auch dieſes
verurſachet habe, daß gewiſſe, recht ſehr gute Scenen
des Corneille die oͤffentliche Vorſtellung deswegen
nicht mehr vertragen.

Da der groͤßte Theil der muͤßigen Menſchen weit
mehr zum Leichtſinn, als zum Ernſte geneigt iſt,
ſo koͤnnten durch Parodien die wichtigſten Gedichte
und die erhabenſten Schriften uͤber wahrhaftig große
Gegenſtaͤnde, allmaͤhlig ſo laͤcherlich gemacht werden,
daß die ganze ſchoͤnere Welt ſich derſelben ſchaͤmte.
Man ſiehet gegenwaͤrtig auch wuͤrklich nicht geringe
Proben davon.

Deswegen wollen wir doch nicht alle Parodien
ſchlechthin verwerfen. Sie ſind wenigſtens zur Hem-
mung gewiſſer erhabener Ausſchweifungen und des ge-
lehrten, politiſchen und gottesdienſtlichen uͤbertriebenen
Fanatismus, ein gutes Mittel. Man kann kaum ſa-
gen, ob es ſchaͤdlicher ſey uͤber das Edle und Große
mit einer fantaſtiſchen Einbildungskraft hinaus zu-
ſchweifen, oder mit einem unbezaͤhmten Leichtſin die
Schranken der Maͤßigung im Luſtigen zu uͤberſchrei-
ten. Beydes iſt verderblich, wenn es bey einem
Volk allgemein wird. Dieſes iſt nur durch die
ſtrenge Satyre und jenes durch das Laͤcherliche zu
hemmen. Auch in der Gelehrſamkeit und in dem
Geſchmak giebt es einen pedantiſchen Fanatismus,
gegen den die Parodie ein bewaͤhrtes Mittel iſt.
Davon haben wir an dem Chef d’œuvre d’un Inconnu
ein Beyſpiehl. Aber ohne ſie zu ſo guten Abſichten
anzuwenden, ſie blos zum Luſtigmachen brauchen,
iſt ein hoͤchſtverderblicher Mißbrauch. Zum Gluͤk
hat der Leichtſin der Parodie unſern Parnaß noch nicht
angeſtekt, obgleich hier und da ſich Spuhren dieſer
Peſt gezeiget haben. Und da ſich die Anzahl gruͤn-
dlicher Kunſtrichter in Deutſchland noch immer ver-
mehrt, ſo iſt zu hoffen, daß ſie ſich bey Zeiten mit
dem gehoͤrigen Nachdruk dem Mißbrauch wieder-
ſezen wuͤrden, ſo bald das Einreißen deſſelben zu
befuͤrchten ſeyn moͤchte.

Partitur.
(Muſik.)

Ein geſchriebenes Tonſtuͤk, in dem alle dazu gehoͤrige
Stimmen, jede auf ihrem beſonderen Syſtem, mit
ihrem Schluͤſſel bezeichnet, unter einander ſtehen.
Die Partitur wird einem ausgeſchriebenen Stuͤk ent-
gegengeſezt, in welchem jede Stimme, blos zum Ge-
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Paſſ
brauch derer, die ſie vorzutragen haben, beſonders,
und allein geſezt iſt. Die Partitur wird ſo geſchrie-
ben, daß von unten auf die Linienſyſteme in der
Ordnung uͤbereinanderfolgen, in welcher ſie in dem
allgemeinen Syſtem der Toͤne ſtehen. Der Deut-
lichkeit halber muͤſſen die Stimmen ſo geſchrieben
ſeyn, daß nicht nur ganze Takte, ſondern auch die
Haupttheile derſelben durch alle Stimmen ſenkelrecht
aufeinandertreffen. Wenn das Tonſtuͤk ſo geſchrie-
ben iſt, ſo laͤßt ſich darin alles mit einem Blik uͤber-
ſehen, und ein Kenner kann, ohne es gehoͤrt zu ha-
ben, von ſeinem Werth urtheilen, welches bey einem
ausgeſchriebenen Stuͤk ſehr muͤheſam waͤre. Bey
der Auffuͤhrung des Stuͤks muß der Capellmeiſter,
Concertmeiſter, oder wer ſonſt an ſeiner Stelle der
Auffuͤhrung vorſteht, die Partitur vor ſich haben,
damit er ſogleich jeden Fehler, in welcher Stimme
er begangen wird, bemerken, und ſo viel moͤglich
dem weitern Einreißen deſſelben zuvorkommen koͤnne.
Bloße Liebhaber oder ausfuͤhrende Virtuoſen, die
Tonſtuͤke zum Auffuͤhren beſizen, muͤſſen ſie ausge-
ſchrieben; Tonſezer aber, die ſie zum Studiren brau-
chen, in Partitur haben.

Paſſacaille.
(Muſik. Tanz.)

Ein Tonſtuͤk zum Tanzen, zu ernſthaft angenehmen,
und ſo genannten halben Charakteren. Der Takt
iſt ¾ und das Stuͤk faͤngt mit dem dritten Viertel an.
Es beſteht aus einem Saz von acht Takten, die Be-
wegung iſt ſehr maͤßig. Das Stuͤk wird nach Art
der Chaconne ſo gemacht, daß uͤber dieſelben Grund-
harmonien die Melodie vielfaͤltig veraͤndert wird;
es vertraͤgt Noten von jeder Geltung. Man findet
auch ſolche, die mit dem Niederſchlag anfangen,
und in Haͤndels Suiten iſt eine von vier Takten
in geradem Takt. Jn Frankreich ſind die Paßacail-
len in den Opern Armide und Jſſe ſehr beruͤhmt.

Paſſagen.
(Muſik.)

Vom italiaͤniſchen Paſſo und Paſſagio: ſind Zier-
rathen der Melodien, da auf eine Sylbe des Ge-
ſanges mehrere Toͤne hintereinander folgen, oder
eine Hauptnote, die eine Sylbe vorſtellt, durch ſo-
genannte Diminution, oder Verkleinerung in meh-
rere verwandelt wird. Jn beyden Faͤllen aber muͤſ-
ſen alle Toͤne der Paſſage, die Stelle eines einzigen

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[879[861]/0296] Par Paſſ laͤngſt ſehr richtig angemerkt, daß der leichtſinnige Geſchmak an Parodien, unter anderm auch dieſes verurſachet habe, daß gewiſſe, recht ſehr gute Scenen des Corneille die oͤffentliche Vorſtellung deswegen nicht mehr vertragen. Da der groͤßte Theil der muͤßigen Menſchen weit mehr zum Leichtſinn, als zum Ernſte geneigt iſt, ſo koͤnnten durch Parodien die wichtigſten Gedichte und die erhabenſten Schriften uͤber wahrhaftig große Gegenſtaͤnde, allmaͤhlig ſo laͤcherlich gemacht werden, daß die ganze ſchoͤnere Welt ſich derſelben ſchaͤmte. Man ſiehet gegenwaͤrtig auch wuͤrklich nicht geringe Proben davon. Deswegen wollen wir doch nicht alle Parodien ſchlechthin verwerfen. Sie ſind wenigſtens zur Hem- mung gewiſſer erhabener Ausſchweifungen und des ge- lehrten, politiſchen und gottesdienſtlichen uͤbertriebenen Fanatismus, ein gutes Mittel. Man kann kaum ſa- gen, ob es ſchaͤdlicher ſey uͤber das Edle und Große mit einer fantaſtiſchen Einbildungskraft hinaus zu- ſchweifen, oder mit einem unbezaͤhmten Leichtſin die Schranken der Maͤßigung im Luſtigen zu uͤberſchrei- ten. Beydes iſt verderblich, wenn es bey einem Volk allgemein wird. Dieſes iſt nur durch die ſtrenge Satyre und jenes durch das Laͤcherliche zu hemmen. Auch in der Gelehrſamkeit und in dem Geſchmak giebt es einen pedantiſchen Fanatismus, gegen den die Parodie ein bewaͤhrtes Mittel iſt. Davon haben wir an dem Chef d’œuvre d’un Inconnu ein Beyſpiehl. Aber ohne ſie zu ſo guten Abſichten anzuwenden, ſie blos zum Luſtigmachen brauchen, iſt ein hoͤchſtverderblicher Mißbrauch. Zum Gluͤk hat der Leichtſin der Parodie unſern Parnaß noch nicht angeſtekt, obgleich hier und da ſich Spuhren dieſer Peſt gezeiget haben. Und da ſich die Anzahl gruͤn- dlicher Kunſtrichter in Deutſchland noch immer ver- mehrt, ſo iſt zu hoffen, daß ſie ſich bey Zeiten mit dem gehoͤrigen Nachdruk dem Mißbrauch wieder- ſezen wuͤrden, ſo bald das Einreißen deſſelben zu befuͤrchten ſeyn moͤchte. Partitur. (Muſik.) Ein geſchriebenes Tonſtuͤk, in dem alle dazu gehoͤrige Stimmen, jede auf ihrem beſonderen Syſtem, mit ihrem Schluͤſſel bezeichnet, unter einander ſtehen. Die Partitur wird einem ausgeſchriebenen Stuͤk ent- gegengeſezt, in welchem jede Stimme, blos zum Ge- brauch derer, die ſie vorzutragen haben, beſonders, und allein geſezt iſt. Die Partitur wird ſo geſchrie- ben, daß von unten auf die Linienſyſteme in der Ordnung uͤbereinanderfolgen, in welcher ſie in dem allgemeinen Syſtem der Toͤne ſtehen. Der Deut- lichkeit halber muͤſſen die Stimmen ſo geſchrieben ſeyn, daß nicht nur ganze Takte, ſondern auch die Haupttheile derſelben durch alle Stimmen ſenkelrecht aufeinandertreffen. Wenn das Tonſtuͤk ſo geſchrie- ben iſt, ſo laͤßt ſich darin alles mit einem Blik uͤber- ſehen, und ein Kenner kann, ohne es gehoͤrt zu ha- ben, von ſeinem Werth urtheilen, welches bey einem ausgeſchriebenen Stuͤk ſehr muͤheſam waͤre. Bey der Auffuͤhrung des Stuͤks muß der Capellmeiſter, Concertmeiſter, oder wer ſonſt an ſeiner Stelle der Auffuͤhrung vorſteht, die Partitur vor ſich haben, damit er ſogleich jeden Fehler, in welcher Stimme er begangen wird, bemerken, und ſo viel moͤglich dem weitern Einreißen deſſelben zuvorkommen koͤnne. Bloße Liebhaber oder ausfuͤhrende Virtuoſen, die Tonſtuͤke zum Auffuͤhren beſizen, muͤſſen ſie ausge- ſchrieben; Tonſezer aber, die ſie zum Studiren brau- chen, in Partitur haben. Paſſacaille. (Muſik. Tanz.) Ein Tonſtuͤk zum Tanzen, zu ernſthaft angenehmen, und ſo genannten halben Charakteren. Der Takt iſt ¾ und das Stuͤk faͤngt mit dem dritten Viertel an. Es beſteht aus einem Saz von acht Takten, die Be- wegung iſt ſehr maͤßig. Das Stuͤk wird nach Art der Chaconne ſo gemacht, daß uͤber dieſelben Grund- harmonien die Melodie vielfaͤltig veraͤndert wird; es vertraͤgt Noten von jeder Geltung. Man findet auch ſolche, die mit dem Niederſchlag anfangen, und in Haͤndels Suiten iſt eine von vier Takten in geradem Takt. Jn Frankreich ſind die Paßacail- len in den Opern Armide und Jſſe ſehr beruͤhmt. Paſſagen. (Muſik.) Vom italiaͤniſchen Paſſo und Paſſagio: ſind Zier- rathen der Melodien, da auf eine Sylbe des Ge- ſanges mehrere Toͤne hintereinander folgen, oder eine Hauptnote, die eine Sylbe vorſtellt, durch ſo- genannte Diminution, oder Verkleinerung in meh- rere verwandelt wird. Jn beyden Faͤllen aber muͤſ- ſen alle Toͤne der Paſſage, die Stelle eines einzigen ver- Q q q q q 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 879[861]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/296>, abgerufen am 19.04.2024.