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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Vorrede.
sten Theil hier und da geäußert hat, zu vertheidigen. Was in meiner Theorie wahr
ist, wird ohne mühesame Vertheidigung oder Rechtfertigung sich von selbst gegen
allen Tadel schützen. Der Theil meiner Theorie, der sich nicht durch seine eigene Kraft
halten kann, mag in Vergessenheit fallen. Jch halte überhaupt dafür, daß ein Werk,
das nicht aus eigenen innern Kräften gegen Zeit oder Tadel bestehen kann, seinen
Fall verdiene, und durch keine Schutzschrift vor demselben verwahrt werden könne.

Das einzige, dessen ich meine Leser zu überzeugen wünschte, ist dieses, daß ich
nichts, ohne vorhergegangene genaue Prüfung der Sachen hingeschrieben, und daß ich
an den Orten, wo ich andre tadle, nie die Absicht gehabt habe, ihnen wehe zu thun,
sondern blos die Wahrheit zu sagen, wo ich es für wichtig genug hielte, sie unter der
Gefahr, andern zu mißfallen, einzuschärfen.

Daß es mir einige Kunstrichter, oder Liebhaber, die meines Erachtens in ei-
nem gar zu hohen Ton und mit zuuneingeschränktem Lobe von gewissen Werken des
Witzes sprechen, übel nehmen, daß ich hier und da eine ganz andere Meinung dar-
über geäußert habe, ficht mich wenig an. Jch schätze zwar jedes Talent hoch; kann
aber deßwegen nicht jeden Gebrauch desselben billigen. Jch dringe durchgehends dar-
auf, daß die schönen Künste ihren Werth und ihre Würde nicht von den Werken eines
blos spielenden und scherzenden Witzes, so fein er auch seyn mag, sondern von den
ernsthafteren Werken bekommen, die auf den großen Zwek, die Besserung und Erhö-
hung der Gemüther abzielen. Diese Wahrheit wird auch der witzigste Kopf gewiß
nicht umstoßen; er müßte denn beweisen können, daß die Wolfarth einzeler Men-
schen und der Gesellschaften überhaupt nicht auf Tugend und Rechtschaffenheit, son-
dern auf Witz und lachende Phantasie zu gründen sey.




K. Kälber-

Vorrede.
ſten Theil hier und da geaͤußert hat, zu vertheidigen. Was in meiner Theorie wahr
iſt, wird ohne muͤheſame Vertheidigung oder Rechtfertigung ſich von ſelbſt gegen
allen Tadel ſchuͤtzen. Der Theil meiner Theorie, der ſich nicht durch ſeine eigene Kraft
halten kann, mag in Vergeſſenheit fallen. Jch halte uͤberhaupt dafuͤr, daß ein Werk,
das nicht aus eigenen innern Kraͤften gegen Zeit oder Tadel beſtehen kann, ſeinen
Fall verdiene, und durch keine Schutzſchrift vor demſelben verwahrt werden koͤnne.

Das einzige, deſſen ich meine Leſer zu uͤberzeugen wuͤnſchte, iſt dieſes, daß ich
nichts, ohne vorhergegangene genaue Pruͤfung der Sachen hingeſchrieben, und daß ich
an den Orten, wo ich andre tadle, nie die Abſicht gehabt habe, ihnen wehe zu thun,
ſondern blos die Wahrheit zu ſagen, wo ich es fuͤr wichtig genug hielte, ſie unter der
Gefahr, andern zu mißfallen, einzuſchaͤrfen.

Daß es mir einige Kunſtrichter, oder Liebhaber, die meines Erachtens in ei-
nem gar zu hohen Ton und mit zuuneingeſchraͤnktem Lobe von gewiſſen Werken des
Witzes ſprechen, uͤbel nehmen, daß ich hier und da eine ganz andere Meinung dar-
uͤber geaͤußert habe, ficht mich wenig an. Jch ſchaͤtze zwar jedes Talent hoch; kann
aber deßwegen nicht jeden Gebrauch deſſelben billigen. Jch dringe durchgehends dar-
auf, daß die ſchoͤnen Kuͤnſte ihren Werth und ihre Wuͤrde nicht von den Werken eines
blos ſpielenden und ſcherzenden Witzes, ſo fein er auch ſeyn mag, ſondern von den
ernſthafteren Werken bekommen, die auf den großen Zwek, die Beſſerung und Erhoͤ-
hung der Gemuͤther abzielen. Dieſe Wahrheit wird auch der witzigſte Kopf gewiß
nicht umſtoßen; er muͤßte denn beweiſen koͤnnen, daß die Wolfarth einzeler Men-
ſchen und der Geſellſchaften uͤberhaupt nicht auf Tugend und Rechtſchaffenheit, ſon-
dern auf Witz und lachende Phantaſie zu gruͤnden ſey.




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[0003] Vorrede. ſten Theil hier und da geaͤußert hat, zu vertheidigen. Was in meiner Theorie wahr iſt, wird ohne muͤheſame Vertheidigung oder Rechtfertigung ſich von ſelbſt gegen allen Tadel ſchuͤtzen. Der Theil meiner Theorie, der ſich nicht durch ſeine eigene Kraft halten kann, mag in Vergeſſenheit fallen. Jch halte uͤberhaupt dafuͤr, daß ein Werk, das nicht aus eigenen innern Kraͤften gegen Zeit oder Tadel beſtehen kann, ſeinen Fall verdiene, und durch keine Schutzſchrift vor demſelben verwahrt werden koͤnne. Das einzige, deſſen ich meine Leſer zu uͤberzeugen wuͤnſchte, iſt dieſes, daß ich nichts, ohne vorhergegangene genaue Pruͤfung der Sachen hingeſchrieben, und daß ich an den Orten, wo ich andre tadle, nie die Abſicht gehabt habe, ihnen wehe zu thun, ſondern blos die Wahrheit zu ſagen, wo ich es fuͤr wichtig genug hielte, ſie unter der Gefahr, andern zu mißfallen, einzuſchaͤrfen. Daß es mir einige Kunſtrichter, oder Liebhaber, die meines Erachtens in ei- nem gar zu hohen Ton und mit zuuneingeſchraͤnktem Lobe von gewiſſen Werken des Witzes ſprechen, uͤbel nehmen, daß ich hier und da eine ganz andere Meinung dar- uͤber geaͤußert habe, ficht mich wenig an. Jch ſchaͤtze zwar jedes Talent hoch; kann aber deßwegen nicht jeden Gebrauch deſſelben billigen. Jch dringe durchgehends dar- auf, daß die ſchoͤnen Kuͤnſte ihren Werth und ihre Wuͤrde nicht von den Werken eines blos ſpielenden und ſcherzenden Witzes, ſo fein er auch ſeyn mag, ſondern von den ernſthafteren Werken bekommen, die auf den großen Zwek, die Beſſerung und Erhoͤ- hung der Gemuͤther abzielen. Dieſe Wahrheit wird auch der witzigſte Kopf gewiß nicht umſtoßen; er muͤßte denn beweiſen koͤnnen, daß die Wolfarth einzeler Men- ſchen und der Geſellſchaften uͤberhaupt nicht auf Tugend und Rechtſchaffenheit, ſon- dern auf Witz und lachende Phantaſie zu gruͤnden ſey. K. Kaͤlber-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/3>, abgerufen am 19.04.2024.