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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]

Pat
Sterbechor sehr pathetisch; und man sagt, daß
auch in der Alcestis des R. Gluks viel Pathos sey.
Auch der Tanz wär des Pathetischen fähig; es wird
aber dabey völlig vernachläßiget, und man sieht
nicht sehr selten Ballete, die nach ihrem Jnhalt pa-
thetisch seyn sollten, in der Ausführung aber blos
ungereimt sind. Unter allen bekannten Tanzmelo-
dien ist auch würklich keine, die den eigentlichen Cha-
rakter des Pathetischen hätte. Jn Gemählden hat
das Pathetische in der Historie, auch in der hohen
Landschaft statt. Aber es erfodert einen großen
Meister. Raphael, Hannib. Carrache und Poußin
sind darin die besten.

Es scheinet, daß das Pathetische die Nahrung
großer Seelen sey. Künstler von einem angeneh-
men, fröhlichen sanftzärtlichen Charakter, oder solche
bey denen eine blumenreiche Phantasie und ein leb-
hafter Wiz herrschend ist, mögen sich sehr selten, bis
zum Pathetischen erheben. Auch von Liebhabern
der Künste, die diesen Charakter, oder dieses Genie
haben, wird es nicht vorzüglich geachtet. Darum
wird es auch in Frankreich weniger als in England
und in Deutschland geschäzt. Bey anderm Stoff
kann der Künstler seinem Wiz, seinen Geschmak, und
ein empfindsames zärtliches Herz zeigen; aber hier
sehen wir die Stärke seiner Seele, und die Größe
seiner Empfindungen. Wer diese nicht besizt, dessen
Bestreben das Pathos zu erreichen ist vergeblich;
seine Bemühung macht ihn nur schwülstig oder über-
trieben. Dieses sehen wir an einigen deutschen
Trauerspiehlen eines guten Dichters, dem die Na-
tur eine angenehme nicht finstere Phantasie, ein em-
psindsames und zärtliches, nicht ein strenges und
großes Herz gegeben hat. Jch merke dieses nicht
aus Tadelsucht an; denn ich liebe den Dichter
und schäze seine Werke, von angenehmern Jnhalt,
hoch; dieses Beyspiel soll blos andern zur War-
nung dienen.

Auch muß man sich vor dem Wahn hüten, daß
blos äußerliche fürchterliche Veranstaltungen das
wahre Pathos bewürken. Es muß in den Empfin-
dungen und Entschließungen der Personen liegen,
und beym Schanspiel auf eine mäßige, bescheidene
Weise durch das Aeußerliche unterstüzt werden. Jn
Lessings Emilia Galott., ist viel pathetisches, ohne
schweeres Wortgepräng, und ohne viel schwarze,
fürchterliche Veranstaltungen für das Aug.

[Spaltenumbruch]
Pau

Das Pathetische bekommt seinen Werth von der
Stärke und der Dauer solcher Eindrüke, die sich
auf die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens be-
ziehen. Denn vorübergehende Leidenschaften und
gemeines Jnteresse pathetisch zu behandeln, würde
mehr ins Comische, als ins Ernsthafte fallen: also
hat es nur da statt, wo es um das Leben, oder
um die ganze Glükseligkeit einer Hauptperson, gan-
zer Familien, oder gar ganzer Völker zu thun, oder
wo der Gegenstand seiner Natur nach ganz erhaben
ist. Jn dem es also die wichtigsten Kräfte der
Seele reizet, und sie an großen Gegenständen in
Würksamkeit sezet, wird das Herz dadurch gestärkt,
und sein Empfindungsvermögen erweitert. Darum
kann keine Nation in Absicht auf den Flor der schö-
nen Künste sich mit andern in den Streit um den
Vorzug einlassen, bis sie beträchtliche Werke von
pathetischem Jnhalt aufzuweisen hat.

Pause.
(Musik.)

Bedeutet eine Ruhe, das ist, ein kürzeres oder län-
geres Stillschweigen, das währender Aufführung
des Tonstüks an einigen Stellen zu beobachten ist.
So wenig die Rede in einem anhaltenden oder stä-
ten Fluß der Stimme geht, so wenig kann dieses
im Gesange geschehen. Sowol die Nothwendigkeit
Athem zu holen, als die Deutlichkeit des Ausdruks
erfodert unumgänglich verschiedene kleine Unterbre-
chungen, oder Ruhestellen. Die Zeichen wodurch
diese Ruhestellen in der Musik angedeutet worden,
und wodurch zugleich ihre Dauer ausgedrükt wird,
werden Pausen genennt.

Der doppelte Ursprung der Pause, muß den Ton-
sezer leiten, sie an den gehörigen Stellen anzubrin-
gen, und ihre Dauer zu bestimmen. Nämlich in
Singestüken muß er erstlich auf das Athemholen
des Sängers Achtung geben, und also die Pausen
dahin sezen, wo der Athem natürlicher Weise ausge-
hen muß, zweytens aber muß er fürnehmlich auf
den Ausdruk und Nachdruk der Rede sehen. Wo
die Aufhaltung in der Rede nothwendig wird, da
muß sie auch im Gesange angebracht werden. Zwar
werden die Pausen nicht allemal schlechterdings da-
bey nothwendig. Eine längere Note, oder eine Ca-
denz, kann oft dasselbige verrichten; aber die Pau-
sen müssen sich nothwendig danach richten. Denn
wie es ungereimt wäre, da, wo ein vollkommener

Sinn
R r r r r 2

[Spaltenumbruch]

Pat
Sterbechor ſehr pathetiſch; und man ſagt, daß
auch in der Alceſtis des R. Gluks viel Pathos ſey.
Auch der Tanz waͤr des Pathetiſchen faͤhig; es wird
aber dabey voͤllig vernachlaͤßiget, und man ſieht
nicht ſehr ſelten Ballete, die nach ihrem Jnhalt pa-
thetiſch ſeyn ſollten, in der Ausfuͤhrung aber blos
ungereimt ſind. Unter allen bekannten Tanzmelo-
dien iſt auch wuͤrklich keine, die den eigentlichen Cha-
rakter des Pathetiſchen haͤtte. Jn Gemaͤhlden hat
das Pathetiſche in der Hiſtorie, auch in der hohen
Landſchaft ſtatt. Aber es erfodert einen großen
Meiſter. Raphael, Hannib. Carrache und Poußin
ſind darin die beſten.

Es ſcheinet, daß das Pathetiſche die Nahrung
großer Seelen ſey. Kuͤnſtler von einem angeneh-
men, froͤhlichen ſanftzaͤrtlichen Charakter, oder ſolche
bey denen eine blumenreiche Phantaſie und ein leb-
hafter Wiz herrſchend iſt, moͤgen ſich ſehr ſelten, bis
zum Pathetiſchen erheben. Auch von Liebhabern
der Kuͤnſte, die dieſen Charakter, oder dieſes Genie
haben, wird es nicht vorzuͤglich geachtet. Darum
wird es auch in Frankreich weniger als in England
und in Deutſchland geſchaͤzt. Bey anderm Stoff
kann der Kuͤnſtler ſeinem Wiz, ſeinen Geſchmak, und
ein empfindſames zaͤrtliches Herz zeigen; aber hier
ſehen wir die Staͤrke ſeiner Seele, und die Groͤße
ſeiner Empfindungen. Wer dieſe nicht beſizt, deſſen
Beſtreben das Pathos zu erreichen iſt vergeblich;
ſeine Bemuͤhung macht ihn nur ſchwuͤlſtig oder uͤber-
trieben. Dieſes ſehen wir an einigen deutſchen
Trauerſpiehlen eines guten Dichters, dem die Na-
tur eine angenehme nicht finſtere Phantaſie, ein em-
pſindſames und zaͤrtliches, nicht ein ſtrenges und
großes Herz gegeben hat. Jch merke dieſes nicht
aus Tadelſucht an; denn ich liebe den Dichter
und ſchaͤze ſeine Werke, von angenehmern Jnhalt,
hoch; dieſes Beyſpiel ſoll blos andern zur War-
nung dienen.

Auch muß man ſich vor dem Wahn huͤten, daß
blos aͤußerliche fuͤrchterliche Veranſtaltungen das
wahre Pathos bewuͤrken. Es muß in den Empfin-
dungen und Entſchließungen der Perſonen liegen,
und beym Schanſpiel auf eine maͤßige, beſcheidene
Weiſe durch das Aeußerliche unterſtuͤzt werden. Jn
Leſſings Emilia Galott., iſt viel pathetiſches, ohne
ſchweeres Wortgepraͤng, und ohne viel ſchwarze,
fuͤrchterliche Veranſtaltungen fuͤr das Aug.

[Spaltenumbruch]
Pau

Das Pathetiſche bekommt ſeinen Werth von der
Staͤrke und der Dauer ſolcher Eindruͤke, die ſich
auf die wichtigſten Angelegenheiten des Lebens be-
ziehen. Denn voruͤbergehende Leidenſchaften und
gemeines Jntereſſe pathetiſch zu behandeln, wuͤrde
mehr ins Comiſche, als ins Ernſthafte fallen: alſo
hat es nur da ſtatt, wo es um das Leben, oder
um die ganze Gluͤkſeligkeit einer Hauptperſon, gan-
zer Familien, oder gar ganzer Voͤlker zu thun, oder
wo der Gegenſtand ſeiner Natur nach ganz erhaben
iſt. Jn dem es alſo die wichtigſten Kraͤfte der
Seele reizet, und ſie an großen Gegenſtaͤnden in
Wuͤrkſamkeit ſezet, wird das Herz dadurch geſtaͤrkt,
und ſein Empfindungsvermoͤgen erweitert. Darum
kann keine Nation in Abſicht auf den Flor der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte ſich mit andern in den Streit um den
Vorzug einlaſſen, bis ſie betraͤchtliche Werke von
pathetiſchem Jnhalt aufzuweiſen hat.

Pauſe.
(Muſik.)

Bedeutet eine Ruhe, das iſt, ein kuͤrzeres oder laͤn-
geres Stillſchweigen, das waͤhrender Auffuͤhrung
des Tonſtuͤks an einigen Stellen zu beobachten iſt.
So wenig die Rede in einem anhaltenden oder ſtaͤ-
ten Fluß der Stimme geht, ſo wenig kann dieſes
im Geſange geſchehen. Sowol die Nothwendigkeit
Athem zu holen, als die Deutlichkeit des Ausdruks
erfodert unumgaͤnglich verſchiedene kleine Unterbre-
chungen, oder Ruheſtellen. Die Zeichen wodurch
dieſe Ruheſtellen in der Muſik angedeutet worden,
und wodurch zugleich ihre Dauer ausgedruͤkt wird,
werden Pauſen genennt.

Der doppelte Urſprung der Pauſe, muß den Ton-
ſezer leiten, ſie an den gehoͤrigen Stellen anzubrin-
gen, und ihre Dauer zu beſtimmen. Naͤmlich in
Singeſtuͤken muß er erſtlich auf das Athemholen
des Saͤngers Achtung geben, und alſo die Pauſen
dahin ſezen, wo der Athem natuͤrlicher Weiſe ausge-
hen muß, zweytens aber muß er fuͤrnehmlich auf
den Ausdruk und Nachdruk der Rede ſehen. Wo
die Aufhaltung in der Rede nothwendig wird, da
muß ſie auch im Geſange angebracht werden. Zwar
werden die Pauſen nicht allemal ſchlechterdings da-
bey nothwendig. Eine laͤngere Note, oder eine Ca-
denz, kann oft daſſelbige verrichten; aber die Pau-
ſen muͤſſen ſich nothwendig danach richten. Denn
wie es ungereimt waͤre, da, wo ein vollkommener

Sinn
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[885[867]/0302] Pat Pau Sterbechor ſehr pathetiſch; und man ſagt, daß auch in der Alceſtis des R. Gluks viel Pathos ſey. Auch der Tanz waͤr des Pathetiſchen faͤhig; es wird aber dabey voͤllig vernachlaͤßiget, und man ſieht nicht ſehr ſelten Ballete, die nach ihrem Jnhalt pa- thetiſch ſeyn ſollten, in der Ausfuͤhrung aber blos ungereimt ſind. Unter allen bekannten Tanzmelo- dien iſt auch wuͤrklich keine, die den eigentlichen Cha- rakter des Pathetiſchen haͤtte. Jn Gemaͤhlden hat das Pathetiſche in der Hiſtorie, auch in der hohen Landſchaft ſtatt. Aber es erfodert einen großen Meiſter. Raphael, Hannib. Carrache und Poußin ſind darin die beſten. Es ſcheinet, daß das Pathetiſche die Nahrung großer Seelen ſey. Kuͤnſtler von einem angeneh- men, froͤhlichen ſanftzaͤrtlichen Charakter, oder ſolche bey denen eine blumenreiche Phantaſie und ein leb- hafter Wiz herrſchend iſt, moͤgen ſich ſehr ſelten, bis zum Pathetiſchen erheben. Auch von Liebhabern der Kuͤnſte, die dieſen Charakter, oder dieſes Genie haben, wird es nicht vorzuͤglich geachtet. Darum wird es auch in Frankreich weniger als in England und in Deutſchland geſchaͤzt. Bey anderm Stoff kann der Kuͤnſtler ſeinem Wiz, ſeinen Geſchmak, und ein empfindſames zaͤrtliches Herz zeigen; aber hier ſehen wir die Staͤrke ſeiner Seele, und die Groͤße ſeiner Empfindungen. Wer dieſe nicht beſizt, deſſen Beſtreben das Pathos zu erreichen iſt vergeblich; ſeine Bemuͤhung macht ihn nur ſchwuͤlſtig oder uͤber- trieben. Dieſes ſehen wir an einigen deutſchen Trauerſpiehlen eines guten Dichters, dem die Na- tur eine angenehme nicht finſtere Phantaſie, ein em- pſindſames und zaͤrtliches, nicht ein ſtrenges und großes Herz gegeben hat. Jch merke dieſes nicht aus Tadelſucht an; denn ich liebe den Dichter und ſchaͤze ſeine Werke, von angenehmern Jnhalt, hoch; dieſes Beyſpiel ſoll blos andern zur War- nung dienen. Auch muß man ſich vor dem Wahn huͤten, daß blos aͤußerliche fuͤrchterliche Veranſtaltungen das wahre Pathos bewuͤrken. Es muß in den Empfin- dungen und Entſchließungen der Perſonen liegen, und beym Schanſpiel auf eine maͤßige, beſcheidene Weiſe durch das Aeußerliche unterſtuͤzt werden. Jn Leſſings Emilia Galott., iſt viel pathetiſches, ohne ſchweeres Wortgepraͤng, und ohne viel ſchwarze, fuͤrchterliche Veranſtaltungen fuͤr das Aug. Das Pathetiſche bekommt ſeinen Werth von der Staͤrke und der Dauer ſolcher Eindruͤke, die ſich auf die wichtigſten Angelegenheiten des Lebens be- ziehen. Denn voruͤbergehende Leidenſchaften und gemeines Jntereſſe pathetiſch zu behandeln, wuͤrde mehr ins Comiſche, als ins Ernſthafte fallen: alſo hat es nur da ſtatt, wo es um das Leben, oder um die ganze Gluͤkſeligkeit einer Hauptperſon, gan- zer Familien, oder gar ganzer Voͤlker zu thun, oder wo der Gegenſtand ſeiner Natur nach ganz erhaben iſt. Jn dem es alſo die wichtigſten Kraͤfte der Seele reizet, und ſie an großen Gegenſtaͤnden in Wuͤrkſamkeit ſezet, wird das Herz dadurch geſtaͤrkt, und ſein Empfindungsvermoͤgen erweitert. Darum kann keine Nation in Abſicht auf den Flor der ſchoͤ- nen Kuͤnſte ſich mit andern in den Streit um den Vorzug einlaſſen, bis ſie betraͤchtliche Werke von pathetiſchem Jnhalt aufzuweiſen hat. Pauſe. (Muſik.) Bedeutet eine Ruhe, das iſt, ein kuͤrzeres oder laͤn- geres Stillſchweigen, das waͤhrender Auffuͤhrung des Tonſtuͤks an einigen Stellen zu beobachten iſt. So wenig die Rede in einem anhaltenden oder ſtaͤ- ten Fluß der Stimme geht, ſo wenig kann dieſes im Geſange geſchehen. Sowol die Nothwendigkeit Athem zu holen, als die Deutlichkeit des Ausdruks erfodert unumgaͤnglich verſchiedene kleine Unterbre- chungen, oder Ruheſtellen. Die Zeichen wodurch dieſe Ruheſtellen in der Muſik angedeutet worden, und wodurch zugleich ihre Dauer ausgedruͤkt wird, werden Pauſen genennt. Der doppelte Urſprung der Pauſe, muß den Ton- ſezer leiten, ſie an den gehoͤrigen Stellen anzubrin- gen, und ihre Dauer zu beſtimmen. Naͤmlich in Singeſtuͤken muß er erſtlich auf das Athemholen des Saͤngers Achtung geben, und alſo die Pauſen dahin ſezen, wo der Athem natuͤrlicher Weiſe ausge- hen muß, zweytens aber muß er fuͤrnehmlich auf den Ausdruk und Nachdruk der Rede ſehen. Wo die Aufhaltung in der Rede nothwendig wird, da muß ſie auch im Geſange angebracht werden. Zwar werden die Pauſen nicht allemal ſchlechterdings da- bey nothwendig. Eine laͤngere Note, oder eine Ca- denz, kann oft daſſelbige verrichten; aber die Pau- ſen muͤſſen ſich nothwendig danach richten. Denn wie es ungereimt waͤre, da, wo ein vollkommener Sinn R r r r r 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 885[867]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/302>, abgerufen am 29.03.2024.