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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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eigenen Vortrag, hervorleuchtet. Was man über-
all zuerst an ihm wahrnihmt, ist gerade das, was
auch an unserm deutschen Pindar, ich meine Klop-
stoken, zuerst ausfält, nämlich der hohe feyerliche
Ton, wodurch selbst solche Sachen, die wir allen-
falls auch könnten gedacht haben, eine ungewöhnli-
che Feyerlichkeit und Größe bekommen, und unsrer
Aufmerksamkeit eine starke Spannung geben. Wir
empfinden gleich anfangs, daß wir einen begeisterten
Sänger hören, der uns zwingt Phantasie und Em-
pfindung weit höher, als gewöhnlich, zu stimmen.
Jndem er uns mit Gegenständen unterhält, die für
uns fremd, und nicht sehr interessant sind, treffen
wir auf Stellen, wo wir den Sänger als einen Mann
kennen lernen, der über Charaktere, über Sitten
und sittliche Gegenstände tief nachgedacht hat, und
sehr merkwürdige Originalgedanken anbringt, wo
wir blos die Einbildungskraft beschäftigten; als ei-
nen Mann von dem feinesten sittlichen Gefühl und
von der reichesten und zugleich angenehmesten Phan-
tasie. Jeder Gegenstand, auf den er seine Aufmerk-
samkeit gerichtet hat, erscheinet seiner weit ausge-
dähnten, aber auch tiefdringenden Vorstellungskraft
weit größer, weit reicher, weit wichtiger, als kein
andrer Mensch ihn würde gesehen haben; und denn
unterhält er uns auf eine ganz ungewöhnliche und
interessante Weise darüber. Gar oft aber wendet
er den Flug seiner Betrachtungen so schnell, und
springt so weit von der Bahn ab, daß wir ihm kaum
folgen können.

Aber ich unterstehe mich nicht, mich in eine Ent-
wiklung des Charakters dieses sonderbaren Dichters
einzulassen, die weit stärkere Kenner desselben nicht
ohne Furchtsamkeit unternehmen würden. Wer ihn
noch nicht kennt, der wird in den Versuchen über
die Literatur und Moral des Hrn. Clodius (*) noch
verschiedene andere richtige Bemerkungen hierüber,
mit Vergnügen lesen. Vielleicht wird der berühmte
Hr. Hofrath Heyne in Göttingen, der uns kürzlich
eine schöne Ausgabe dieses Dichters, mit wichtigen
Bemerkungen gegeben hat, in dem zweyten Theile
uns den Charakter desselben ausführlich schildern.

Plagal.
(Musik.)

Dieses Beywort giebt man gewissen Kirchentonar-
ten, die man ansieht, als wenn sie andern Haupt-
tonarten, welche Authentische genennt werden (*)
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Pla
untergeordnet, oder von demselben abhänglich wä-
ren. Diese Abhänglichkeit ist aber etwas völlig
willkührliches, und hat weiter nichts auf sich, als
die Mode, oder Gewohnheit gewisse Tonstüke so ein-
zurichten, daß wenn eine Parthie oder Stimme, ei-
nen oder mehr Säze in einer gewissen Tonart vor-
getragen hat, eine andere Stimme hierauf ähnliche
Säze in einer andern Tonart, deren Tonica die Quinte
der vorhergehenden ist, vortragen. Wann z. B.
nach der heutigen Art zu sprechen, eine Stimme in
C dur angefangen hätte, so mußte eine andere in
g dur antworten. Und in Rüksicht auf diese Bezie-
hung wurd die erste Stimm authentisch, die andere
plagalisch genennt. Also kann eine Tonart, die
in einem Stük authentisch ist, in einem andern Stük
plagalisch seyn. (*)

Plan.
(Schöne Künste.)

Jedes Werk, das einen bestimmten Endzwek hat,
muß, wenn es vollkommen seyn soll, in seiner Ma-
terie und in seiner Form, so beschaffen seyn, wie die
Erreichung des Endzweks es erfodert. Jndem der
Urheber eines solchen Werks den Endzwek desselben,
die Würkung, die es thun soll, vor Augen hat, über-
leget er, durch welche Mittel der Endzwek zu erhal-
ten sey. Wann er die Mittel entdeket hat, so sucht
er auch die beste Anordnung, nach welcher eines auf
das andere folgen müsse. Durch diese Ueberlegung
bestimmt er die Haupttheile seines Werks, nach ih-
rer materiellen Beschaffenheit, und die Ordnung, in
der sie auf einander folgen müssen. Dieses wird der
Plan des Werks genennt. Wenn z. B. der End-
zwek eines Redners ist, uns von der Wahrheit einer
Sach zu überzeugen; so überlegt er, was für Vor-
stellungen dazu gehören, diese Ueberzeugung zu be-
würken. Dadurch erfindet er die verschiedenen Säze
und Vorstellungen, von denen in seinem gegenwär-
tigen Falle die Ueberzeugung abhängt, das ist er er-
findet einen Vernunftschluß, aus dessen deutlichem
Vortrag die Ueberzeugung erfolgen muß. Nun
überlegt er auch nach den Umständen die beste Form
dieses Schlusses, und findet endlich, es sey zu Errei-
chung seiner Absicht nöthig, daß die Hauptsäze A, B,
C,
u. s. w. deutlich entwikelt werden, und daß sie
in der Ordnung A, B, C u. s. w. oder C, B. A auf
einander folgen müssen. Jzt ist der Plan der Rede
eutworfen. Auf ähnliche Weise wird jeder andre

Plan
(*) Erstes
Stük S.
49 u. s. f.
(*) S.
Authen-
tisch.
(*) Tonar-
ten der Al-
ten.

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eigenen Vortrag, hervorleuchtet. Was man uͤber-
all zuerſt an ihm wahrnihmt, iſt gerade das, was
auch an unſerm deutſchen Pindar, ich meine Klop-
ſtoken, zuerſt auſfaͤlt, naͤmlich der hohe feyerliche
Ton, wodurch ſelbſt ſolche Sachen, die wir allen-
falls auch koͤnnten gedacht haben, eine ungewoͤhnli-
che Feyerlichkeit und Groͤße bekommen, und unſrer
Aufmerkſamkeit eine ſtarke Spannung geben. Wir
empfinden gleich anfangs, daß wir einen begeiſterten
Saͤnger hoͤren, der uns zwingt Phantaſie und Em-
pfindung weit hoͤher, als gewoͤhnlich, zu ſtimmen.
Jndem er uns mit Gegenſtaͤnden unterhaͤlt, die fuͤr
uns fremd, und nicht ſehr intereſſant ſind, treffen
wir auf Stellen, wo wir den Saͤnger als einen Mann
kennen lernen, der uͤber Charaktere, uͤber Sitten
und ſittliche Gegenſtaͤnde tief nachgedacht hat, und
ſehr merkwuͤrdige Originalgedanken anbringt, wo
wir blos die Einbildungskraft beſchaͤftigten; als ei-
nen Mann von dem feineſten ſittlichen Gefuͤhl und
von der reicheſten und zugleich angenehmeſten Phan-
taſie. Jeder Gegenſtand, auf den er ſeine Aufmerk-
ſamkeit gerichtet hat, erſcheinet ſeiner weit ausge-
daͤhnten, aber auch tiefdringenden Vorſtellungskraft
weit groͤßer, weit reicher, weit wichtiger, als kein
andrer Menſch ihn wuͤrde geſehen haben; und denn
unterhaͤlt er uns auf eine ganz ungewoͤhnliche und
intereſſante Weiſe daruͤber. Gar oft aber wendet
er den Flug ſeiner Betrachtungen ſo ſchnell, und
ſpringt ſo weit von der Bahn ab, daß wir ihm kaum
folgen koͤnnen.

Aber ich unterſtehe mich nicht, mich in eine Ent-
wiklung des Charakters dieſes ſonderbaren Dichters
einzulaſſen, die weit ſtaͤrkere Kenner deſſelben nicht
ohne Furchtſamkeit unternehmen wuͤrden. Wer ihn
noch nicht kennt, der wird in den Verſuchen uͤber
die Literatur und Moral des Hrn. Clodius (*) noch
verſchiedene andere richtige Bemerkungen hieruͤber,
mit Vergnuͤgen leſen. Vielleicht wird der beruͤhmte
Hr. Hofrath Heyne in Goͤttingen, der uns kuͤrzlich
eine ſchoͤne Ausgabe dieſes Dichters, mit wichtigen
Bemerkungen gegeben hat, in dem zweyten Theile
uns den Charakter deſſelben ausfuͤhrlich ſchildern.

Plagal.
(Muſik.)

Dieſes Beywort giebt man gewiſſen Kirchentonar-
ten, die man anſieht, als wenn ſie andern Haupt-
tonarten, welche Authentiſche genennt werden (*)
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Pla
untergeordnet, oder von demſelben abhaͤnglich waͤ-
ren. Dieſe Abhaͤnglichkeit iſt aber etwas voͤllig
willkuͤhrliches, und hat weiter nichts auf ſich, als
die Mode, oder Gewohnheit gewiſſe Tonſtuͤke ſo ein-
zurichten, daß wenn eine Parthie oder Stimme, ei-
nen oder mehr Saͤze in einer gewiſſen Tonart vor-
getragen hat, eine andere Stimme hierauf aͤhnliche
Saͤze in einer andern Tonart, deren Tonica die Quinte
der vorhergehenden iſt, vortragen. Wann z. B.
nach der heutigen Art zu ſprechen, eine Stimme in
C dur angefangen haͤtte, ſo mußte eine andere in
g dur antworten. Und in Ruͤkſicht auf dieſe Bezie-
hung wurd die erſte Stimm authentiſch, die andere
plagaliſch genennt. Alſo kann eine Tonart, die
in einem Stuͤk authentiſch iſt, in einem andern Stuͤk
plagaliſch ſeyn. (*)

Plan.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Jedes Werk, das einen beſtimmten Endzwek hat,
muß, wenn es vollkommen ſeyn ſoll, in ſeiner Ma-
terie und in ſeiner Form, ſo beſchaffen ſeyn, wie die
Erreichung des Endzweks es erfodert. Jndem der
Urheber eines ſolchen Werks den Endzwek deſſelben,
die Wuͤrkung, die es thun ſoll, vor Augen hat, uͤber-
leget er, durch welche Mittel der Endzwek zu erhal-
ten ſey. Wann er die Mittel entdeket hat, ſo ſucht
er auch die beſte Anordnung, nach welcher eines auf
das andere folgen muͤſſe. Durch dieſe Ueberlegung
beſtimmt er die Haupttheile ſeines Werks, nach ih-
rer materiellen Beſchaffenheit, und die Ordnung, in
der ſie auf einander folgen muͤſſen. Dieſes wird der
Plan des Werks genennt. Wenn z. B. der End-
zwek eines Redners iſt, uns von der Wahrheit einer
Sach zu uͤberzeugen; ſo uͤberlegt er, was fuͤr Vor-
ſtellungen dazu gehoͤren, dieſe Ueberzeugung zu be-
wuͤrken. Dadurch erfindet er die verſchiedenen Saͤze
und Vorſtellungen, von denen in ſeinem gegenwaͤr-
tigen Falle die Ueberzeugung abhaͤngt, das iſt er er-
findet einen Vernunftſchluß, aus deſſen deutlichem
Vortrag die Ueberzeugung erfolgen muß. Nun
uͤberlegt er auch nach den Umſtaͤnden die beſte Form
dieſes Schluſſes, und findet endlich, es ſey zu Errei-
chung ſeiner Abſicht noͤthig, daß die Hauptſaͤze A, B,
C,
u. ſ. w. deutlich entwikelt werden, und daß ſie
in der Ordnung A, B, C u. ſ. w. oder C, B. A auf
einander folgen muͤſſen. Jzt iſt der Plan der Rede
eutworfen. Auf aͤhnliche Weiſe wird jeder andre

Plan
(*) Erſtes
Stuͤk S.
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(*) S.
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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 904[886]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/322>, abgerufen am 18.04.2024.