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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Plan gemacht; der allemal anzeiget, was für Haupt-
theile zu einem Werk erfodert werden, und in wel-
cher Ordnung sie stehen müssen. Wenn dieses ge-
funden worden, so kommt es hernach darauf an, je-
den Theil so zu machen, wie er nach dem Plan seyn
soll, und denn alle in der festgesezten Ordnung zu
verbinden.

Also ist bey jedem Werke von bestimmtem End-
zwek die Erfindung des Plans die Hauptsach, ohne
welche das Werk seinen Zwek nicht erreichen kann.
Jndessen zeiget der Plan nur, was zum Werke nö-
thig sey, und es ist gar wol möglich, daß er sehr
wol erfunden ist, und doch gar nicht, oder schlecht
ausgeführt wird; weil es dem Erfinder desselben,
an der nöthigen Wissenschaft und Kunst fehlet, das
was nöthig wäre, würklich darzustellen. Sowol in
mechanischen, als in schönen Künsten ist es möglich,
daß ein der Kunst unerfahrner die Haupttheile des
Planes zu erfinden, oder anzugeben weiß, es kann
auch seyn, daß er die Anordnung derselben zu be-
stimmen im Stand, und bey dem allen doch völlig
untüchtig ist, diesen Plan auszuführen. So könnte
der gemeineste Handwerksmann, der ein Haus will
bauen lassen, gar wol Ueberlegung genug haben zu
bestimmen, aus wie viel und aus was für Stüken
das Haus bestehen sollte; denn er weiß, was er
braucht; vielleicht aber würde er sie sehr ungeschikt
anordnen. Und wenn er auch überhaupt noch eine
gute Anordnung in Absicht auf die Bequämlichkeit
anzugeben vermöchte; so könnte es leicht seyn, daß
diese Anordnung dem Ganzen eine sehr unschikliche
Form geben würde.

Hieraus läßt sich abnehmen, daß gewisse zum Plan
gehörige Dinge außer der Kunst liegen, und durch
richtige Beurtheilung auch von einem der Kunst völ-
lig unerfahrnen, könnten bestimmt werden; hinge-
gen andere nur von Kenntniß und Erfahrung in
der Kunst, abhangen. Wir müssen aber diese Be-
trachtungen, besonders auf die Werke der schönen
Kunst anwenden.

Zuerst scheinet dieses eine Untersuchung zu verdie-
nen, ob jedes Werk des Geschmaks nothwendig nach
einem Plan müsse gemacht seyn. Der Plan wird
durch die Absicht bestimmt, und je genauer diese be-
stimmt ist, je näher wird es auch der Plan. Nun
giebt es Werke der Kunst, die keinen andern Zwek
haben, als daß sie sollen angenehm in die Sinnen
sallen, deren einziger Werth in der Form besteht.
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Pla
Eine Sonnate und viel andre kleine Tonstüke, eine
Vase, die blos zur Ergözung des Auges irgend wo-
hin gesezt wird, und viel dergleichen Dinge, haben
nichts materielles, das eine bestimmte Würkung thun
sollte. Hier hat also kein andrer Plan statt, als
der auf Schönheit abziehlet. Die Absicht ist erreicht,
wenn ein solches Werk angenehm in die Sinnen
fällt; sie sind im engesten Verstand Werke des Ge-
schmaks, und blos des Geschmaks, an deren Ver-
fertigung das Nachdenken und die Ueberlegung, in
so fern sie außer dem Geschmak liegen, keinen An-
theil haben.

Wie groß und weitläuftig ein solches Werk auch
sey, so ist bey dessen Plan allein auf Schönheit zu
sehen, alle Theile müssen ein wolgeordnetes Ganzes
machen. Jn den Theilen muß Mannigfaltigkeit
und gutes Verhältnis anzutreffen seyn; die kleinesten
Theile müssen genau verbunden, und in größere
Hauptglieder angeschlossen; alles muß wol gruppirt,
und nach dem besten metrischen Ebenmaaße abgepaßt
seyn. Jeder Fehler gegen diesen Plan ist in solchen
Werken ein wesentlicher Fehler; weil er durch nichts
ersezt wird. So müssen in der Musik alle Stüke,
die keine Schilderungen der Empfindung enthalten,
mit weit mehr Sorgfalt nach allen Regeln der Har-
monie und Melodie gearbeitet seyn, als Arien, oder
Gesänge, welche die Sprache der Leidenschaften aus-
drüken; der Tanz der nichts Pantomimisches hat, muß
in jeder kleinen Bewegung weit strenger, als das
pantomimische Ballet, nach allen Regeln der Kunst
eingerichtet seyn. Jn Gemählden von wichtigem
Jnhalt, übersiehet man kleinere Fehler gegen die
vollkommene Haltung, Harmonie und gegen das
Colorit; aber in kleinen Stüken, deren Jnhalt nichts
interessantes hat, muß alles vollkommen seyn.

Ganz anders verhält es sich mit Werken, deren
Jnhalt schon für sich merkwürdig, oder wichtig ist.
Der Plan der Schönheit, der in jenen Werken das
einzige Wesentliche der ganzen Sach ist, kann hier
als eine Nebensach angesehen werden. Doch kann
man ihn auch nicht, wie selbst gute Kunstrichter
seit einiger Zeit unter uns scheinen behaupten zu wol-
len, ganz aus den Augen sezen; wo nicht ein Werk
völlig aufhören soll ein Werk der schönen Kunst zu
seyn. Es fängt izt beynahe an unter den deutschen
Kunstrichtern Mode zu werden, von den eigentlichen
Kunstregeln mit Verachtung zu sprechen, und eben
diese Kunstrichter sind sehr nahe daran den Wör-

tern

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Pla
Plan gemacht; der allemal anzeiget, was fuͤr Haupt-
theile zu einem Werk erfodert werden, und in wel-
cher Ordnung ſie ſtehen muͤſſen. Wenn dieſes ge-
funden worden, ſo kommt es hernach darauf an, je-
den Theil ſo zu machen, wie er nach dem Plan ſeyn
ſoll, und denn alle in der feſtgeſezten Ordnung zu
verbinden.

Alſo iſt bey jedem Werke von beſtimmtem End-
zwek die Erfindung des Plans die Hauptſach, ohne
welche das Werk ſeinen Zwek nicht erreichen kann.
Jndeſſen zeiget der Plan nur, was zum Werke noͤ-
thig ſey, und es iſt gar wol moͤglich, daß er ſehr
wol erfunden iſt, und doch gar nicht, oder ſchlecht
ausgefuͤhrt wird; weil es dem Erfinder deſſelben,
an der noͤthigen Wiſſenſchaft und Kunſt fehlet, das
was noͤthig waͤre, wuͤrklich darzuſtellen. Sowol in
mechaniſchen, als in ſchoͤnen Kuͤnſten iſt es moͤglich,
daß ein der Kunſt unerfahrner die Haupttheile des
Planes zu erfinden, oder anzugeben weiß, es kann
auch ſeyn, daß er die Anordnung derſelben zu be-
ſtimmen im Stand, und bey dem allen doch voͤllig
untuͤchtig iſt, dieſen Plan auszufuͤhren. So koͤnnte
der gemeineſte Handwerksmann, der ein Haus will
bauen laſſen, gar wol Ueberlegung genug haben zu
beſtimmen, aus wie viel und aus was fuͤr Stuͤken
das Haus beſtehen ſollte; denn er weiß, was er
braucht; vielleicht aber wuͤrde er ſie ſehr ungeſchikt
anordnen. Und wenn er auch uͤberhaupt noch eine
gute Anordnung in Abſicht auf die Bequaͤmlichkeit
anzugeben vermoͤchte; ſo koͤnnte es leicht ſeyn, daß
dieſe Anordnung dem Ganzen eine ſehr unſchikliche
Form geben wuͤrde.

Hieraus laͤßt ſich abnehmen, daß gewiſſe zum Plan
gehoͤrige Dinge außer der Kunſt liegen, und durch
richtige Beurtheilung auch von einem der Kunſt voͤl-
lig unerfahrnen, koͤnnten beſtimmt werden; hinge-
gen andere nur von Kenntniß und Erfahrung in
der Kunſt, abhangen. Wir muͤſſen aber dieſe Be-
trachtungen, beſonders auf die Werke der ſchoͤnen
Kunſt anwenden.

Zuerſt ſcheinet dieſes eine Unterſuchung zu verdie-
nen, ob jedes Werk des Geſchmaks nothwendig nach
einem Plan muͤſſe gemacht ſeyn. Der Plan wird
durch die Abſicht beſtimmt, und je genauer dieſe be-
ſtimmt iſt, je naͤher wird es auch der Plan. Nun
giebt es Werke der Kunſt, die keinen andern Zwek
haben, als daß ſie ſollen angenehm in die Sinnen
ſallen, deren einziger Werth in der Form beſteht.
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Pla
Eine Sonnate und viel andre kleine Tonſtuͤke, eine
Vaſe, die blos zur Ergoͤzung des Auges irgend wo-
hin geſezt wird, und viel dergleichen Dinge, haben
nichts materielles, das eine beſtimmte Wuͤrkung thun
ſollte. Hier hat alſo kein andrer Plan ſtatt, als
der auf Schoͤnheit abziehlet. Die Abſicht iſt erreicht,
wenn ein ſolches Werk angenehm in die Sinnen
faͤllt; ſie ſind im engeſten Verſtand Werke des Ge-
ſchmaks, und blos des Geſchmaks, an deren Ver-
fertigung das Nachdenken und die Ueberlegung, in
ſo fern ſie außer dem Geſchmak liegen, keinen An-
theil haben.

Wie groß und weitlaͤuftig ein ſolches Werk auch
ſey, ſo iſt bey deſſen Plan allein auf Schoͤnheit zu
ſehen, alle Theile muͤſſen ein wolgeordnetes Ganzes
machen. Jn den Theilen muß Mannigfaltigkeit
und gutes Verhaͤltnis anzutreffen ſeyn; die kleineſten
Theile muͤſſen genau verbunden, und in groͤßere
Hauptglieder angeſchloſſen; alles muß wol gruppirt,
und nach dem beſten metriſchen Ebenmaaße abgepaßt
ſeyn. Jeder Fehler gegen dieſen Plan iſt in ſolchen
Werken ein weſentlicher Fehler; weil er durch nichts
erſezt wird. So muͤſſen in der Muſik alle Stuͤke,
die keine Schilderungen der Empfindung enthalten,
mit weit mehr Sorgfalt nach allen Regeln der Har-
monie und Melodie gearbeitet ſeyn, als Arien, oder
Geſaͤnge, welche die Sprache der Leidenſchaften aus-
druͤken; der Tanz der nichts Pantomimiſches hat, muß
in jeder kleinen Bewegung weit ſtrenger, als das
pantomimiſche Ballet, nach allen Regeln der Kunſt
eingerichtet ſeyn. Jn Gemaͤhlden von wichtigem
Jnhalt, uͤberſiehet man kleinere Fehler gegen die
vollkommene Haltung, Harmonie und gegen das
Colorit; aber in kleinen Stuͤken, deren Jnhalt nichts
intereſſantes hat, muß alles vollkommen ſeyn.

Ganz anders verhaͤlt es ſich mit Werken, deren
Jnhalt ſchon fuͤr ſich merkwuͤrdig, oder wichtig iſt.
Der Plan der Schoͤnheit, der in jenen Werken das
einzige Weſentliche der ganzen Sach iſt, kann hier
als eine Nebenſach angeſehen werden. Doch kann
man ihn auch nicht, wie ſelbſt gute Kunſtrichter
ſeit einiger Zeit unter uns ſcheinen behaupten zu wol-
len, ganz aus den Augen ſezen; wo nicht ein Werk
voͤllig aufhoͤren ſoll ein Werk der ſchoͤnen Kunſt zu
ſeyn. Es faͤngt izt beynahe an unter den deutſchen
Kunſtrichtern Mode zu werden, von den eigentlichen
Kunſtregeln mit Verachtung zu ſprechen, und eben
dieſe Kunſtrichter ſind ſehr nahe daran den Woͤr-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 905[887]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/323>, abgerufen am 28.03.2024.