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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Scha
eines Gleichnisses, als einer wahren Allegorie; sie
drükt den Gedanken nur deutlicher, aber nicht nach-
drüklicher aus, als Worte.

Von der eigentlichen Beschaffenheit solcher Alle-
gorien, wie sie hier nöthig sind, haben wir bereits
anderswo gesprochen (*), und überlassen, um nicht
gar zu weitläuftig zu seyn, die nähere Betrach-
tung dieser Sach einem andern Liebhaber der schö-
nen Künste.

Die Kunst der Schaumünzen ist, wie die zeich-
nenden Künste überhaupt von den Griechen beynahe
auf den höchsten Punkt der Vollkommenheit getrie-
ben worden. Doch haben auch die Neuern etwas
hinzugethan, und Werke gemacht, die mit den Al-
ten um den Vorzug streiten. Aber hiervon sprechen
wir in einem andern Artikel. (*)

Wir haben aber hier noch einiges anzumerken.
Die großen Schaumünzen die einen erhöheten und
aus Gliedern, die den Gliedern der Baukunst ähn-
lich sind, bestehenden Rand haben, werden insge-
mein Medaillen genennt, die kleinern aber, deren
Rand wie in den größern gangbaren Münzsorten,
kraus ist, bekommen insgemein den Namen Jet-
tons,
welches ohngefehr so viel bedeutet, als Zahl-
oder Rechenpfennig. Es ist ein Vorurtheil zu glau-
ben, daß eine Person mehr durch eine Medaille, als
durch ein Jetton geehrt werde. Man könnte mit
mehrerm Rechte das Gegentheil behaupten; denn
die Ehre scheinet um so viel größer, je weiter eine
Schaumünz ausgebreitet wird. Dieses aber geschieht
durch Jettone besser; weil mehrere Menschen, des
geringern Preises halber, sie kaufen, als große
Medaillen. Eben so scheinet es, daß kupferne Me-
daillen, weil sie dem Einschmelzen weniger, als sil-
berne und goldene unterworfen sind, einen Vorzug
vor diesen haben.

Die vodere Seite, die insgemein das Brustbild
oder den Kopf einer Person vorstellt, wird ofte mit
dem französischen Wort Avers bezeichnet, die hin-
tere, die den Gedanken darüber ausdrükt, heißt
denn der Revers, und wenn auf dieser noch unten
ein kleiner abgesonderter Raum ist, so bekommt er
den Namen Exergue.

Schauspiehl.

Daß die Menschen einen starken Hang nach allen
Gattungen der Schauspiehle haben, ist zu bekannt,
als daß es nöthig wäre, es hier zu zeigen. Mit
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Scha
großer Begierd und Lebhaftigkeit versammelt sich
die Menge überall, wo sie etwas besonderes und
ausserordentliches zu sehen, oder zu hören glaubet,
ob sie gleich kein anderes Jnteresse dabey hat, als
die Neugierde zu befriedigen, oder eine Zeitlang
sich in einem etwas lebhaften leidenschaftlichen Zu-
stand zu fühlen.

Es war sehr natürlich, daß die schönen Künste
sich dieses natürlichen Hanges der Menschen bedien-
ten, ihnen künstlich veranstaltete Schauspiehle zu
geben. Die frommen Eyferer und die finstern Mo-
ralisten, die alle zum Zeitvertreib veranstaltete
Schauspiehle verwerfen, bedenken nicht, was für
wichtige Gelegenheiten dem Menschen nüzlich zu
seyn, sie den schönen Künsten zu benehmen suchen.
Würden sie die Sachen genauer überlegen, so wür-
den sie finden, daß es besser sey, anstatt die Schau-
spiehle zu hindern, auf Mittel zu denken, sie, ohne
ihnen von ihrer Annehmlichkeit etwas zu benehmen,
recht nüzlich zu machen.

So bald die Menschen durch das gesellschaftliche
Leben ihren Gesichtskreis erweitert, und ihre innere
Würksamkeit vermehrt haben, wird ihnen der ge-
dankenlose Zustand, da weder der Geist noch die
Empfindung durch äußere Gegenstände gereizt und
in einige Wärme gesezt werden, unerträglich. Nur
der noch halb wilde Mensch, der sich wenig über
das Thier empor gehoben hat, kann einen solchen
Zustand der Gedankenlosigkeit ertragen: stellt er sich
aber bey dem schon etwas mehr gebildeten Menschen
oft ein, so verliehret dieser dadurch seine Würksam-
keit und die Wärme des Geistes und Herzens, die
ihn eigentlich zu einem weit über die Thiere erhabe-
nen Wesen machen.

Also hat der Mensch kein wichtigeres Jnteresse,
als die beständige Unterhaltung und Verstärkung sei-
ner innern Würksamkeit. Dadurch wird er immer
verständiger, immer empfindsamer, vermehrt die
Masse seiner Vorstellungen und damit auch die Fer-
tigkeit sie zu ordnen und Nuzen daraus zu ziehen.
Was einzelen Menschen begegnet, die, wenn sie in
einem einsamen Cabinet, in Ruhe und Müßiggang
erzogen worden, träg, unthätig, dumm, ungesel-
lig werden, das würde auch einem ganzen Volke
wiederfahren, das in thierischer Unthätigkeit lebte.
Nun sind zu beständiger Unterhaltung der innern
Würksamkeit nur zwey Mittel vorhanden; Geschäfte
und Zeitvertreib. Zu Geschäften wird der Mensch

durch
(*) S.
Allegorie in
zeichnenden
Künsten.
(*) Stein-
schneider,
Stempel-
chneider.

[Spaltenumbruch]

Scha
eines Gleichniſſes, als einer wahren Allegorie; ſie
druͤkt den Gedanken nur deutlicher, aber nicht nach-
druͤklicher aus, als Worte.

Von der eigentlichen Beſchaffenheit ſolcher Alle-
gorien, wie ſie hier noͤthig ſind, haben wir bereits
anderswo geſprochen (*), und uͤberlaſſen, um nicht
gar zu weitlaͤuftig zu ſeyn, die naͤhere Betrach-
tung dieſer Sach einem andern Liebhaber der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte.

Die Kunſt der Schaumuͤnzen iſt, wie die zeich-
nenden Kuͤnſte uͤberhaupt von den Griechen beynahe
auf den hoͤchſten Punkt der Vollkommenheit getrie-
ben worden. Doch haben auch die Neuern etwas
hinzugethan, und Werke gemacht, die mit den Al-
ten um den Vorzug ſtreiten. Aber hiervon ſprechen
wir in einem andern Artikel. (*)

Wir haben aber hier noch einiges anzumerken.
Die großen Schaumuͤnzen die einen erhoͤheten und
aus Gliedern, die den Gliedern der Baukunſt aͤhn-
lich ſind, beſtehenden Rand haben, werden insge-
mein Medaillen genennt, die kleinern aber, deren
Rand wie in den groͤßern gangbaren Muͤnzſorten,
kraus iſt, bekommen insgemein den Namen Jet-
tons,
welches ohngefehr ſo viel bedeutet, als Zahl-
oder Rechenpfennig. Es iſt ein Vorurtheil zu glau-
ben, daß eine Perſon mehr durch eine Medaille, als
durch ein Jetton geehrt werde. Man koͤnnte mit
mehrerm Rechte das Gegentheil behaupten; denn
die Ehre ſcheinet um ſo viel groͤßer, je weiter eine
Schaumuͤnz ausgebreitet wird. Dieſes aber geſchieht
durch Jettone beſſer; weil mehrere Menſchen, des
geringern Preiſes halber, ſie kaufen, als große
Medaillen. Eben ſo ſcheinet es, daß kupferne Me-
daillen, weil ſie dem Einſchmelzen weniger, als ſil-
berne und goldene unterworfen ſind, einen Vorzug
vor dieſen haben.

Die vodere Seite, die insgemein das Bruſtbild
oder den Kopf einer Perſon vorſtellt, wird ofte mit
dem franzoͤſiſchen Wort Avers bezeichnet, die hin-
tere, die den Gedanken daruͤber ausdruͤkt, heißt
denn der Revers, und wenn auf dieſer noch unten
ein kleiner abgeſonderter Raum iſt, ſo bekommt er
den Namen Exergue.

Schauſpiehl.

Daß die Menſchen einen ſtarken Hang nach allen
Gattungen der Schauſpiehle haben, iſt zu bekannt,
als daß es noͤthig waͤre, es hier zu zeigen. Mit
[Spaltenumbruch]

Scha
großer Begierd und Lebhaftigkeit verſammelt ſich
die Menge uͤberall, wo ſie etwas beſonderes und
auſſerordentliches zu ſehen, oder zu hoͤren glaubet,
ob ſie gleich kein anderes Jntereſſe dabey hat, als
die Neugierde zu befriedigen, oder eine Zeitlang
ſich in einem etwas lebhaften leidenſchaftlichen Zu-
ſtand zu fuͤhlen.

Es war ſehr natuͤrlich, daß die ſchoͤnen Kuͤnſte
ſich dieſes natuͤrlichen Hanges der Menſchen bedien-
ten, ihnen kuͤnſtlich veranſtaltete Schauſpiehle zu
geben. Die frommen Eyferer und die finſtern Mo-
raliſten, die alle zum Zeitvertreib veranſtaltete
Schauſpiehle verwerfen, bedenken nicht, was fuͤr
wichtige Gelegenheiten dem Menſchen nuͤzlich zu
ſeyn, ſie den ſchoͤnen Kuͤnſten zu benehmen ſuchen.
Wuͤrden ſie die Sachen genauer uͤberlegen, ſo wuͤr-
den ſie finden, daß es beſſer ſey, anſtatt die Schau-
ſpiehle zu hindern, auf Mittel zu denken, ſie, ohne
ihnen von ihrer Annehmlichkeit etwas zu benehmen,
recht nuͤzlich zu machen.

So bald die Menſchen durch das geſellſchaftliche
Leben ihren Geſichtskreis erweitert, und ihre innere
Wuͤrkſamkeit vermehrt haben, wird ihnen der ge-
dankenloſe Zuſtand, da weder der Geiſt noch die
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der noch halb wilde Menſch, der ſich wenig uͤber
das Thier empor gehoben hat, kann einen ſolchen
Zuſtand der Gedankenloſigkeit ertragen: ſtellt er ſich
aber bey dem ſchon etwas mehr gebildeten Menſchen
oft ein, ſo verliehret dieſer dadurch ſeine Wuͤrkſam-
keit und die Waͤrme des Geiſtes und Herzens, die
ihn eigentlich zu einem weit uͤber die Thiere erhabe-
nen Weſen machen.

Alſo hat der Menſch kein wichtigeres Jntereſſe,
als die beſtaͤndige Unterhaltung und Verſtaͤrkung ſei-
ner innern Wuͤrkſamkeit. Dadurch wird er immer
verſtaͤndiger, immer empfindſamer, vermehrt die
Maſſe ſeiner Vorſtellungen und damit auch die Fer-
tigkeit ſie zu ordnen und Nuzen daraus zu ziehen.
Was einzelen Menſchen begegnet, die, wenn ſie in
einem einſamen Cabinet, in Ruhe und Muͤßiggang
erzogen worden, traͤg, unthaͤtig, dumm, ungeſel-
lig werden, das wuͤrde auch einem ganzen Volke
wiederfahren, das in thieriſcher Unthaͤtigkeit lebte.
Nun ſind zu beſtaͤndiger Unterhaltung der innern
Wuͤrkſamkeit nur zwey Mittel vorhanden; Geſchaͤfte
und Zeitvertreib. Zu Geſchaͤften wird der Menſch

durch
(*) S.
Allegorie in
zeichnenden
Kuͤnſten.
(*) Stein-
ſchneider,
Stempel-
chneider.
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[1020[1002]/0449] Scha Scha eines Gleichniſſes, als einer wahren Allegorie; ſie druͤkt den Gedanken nur deutlicher, aber nicht nach- druͤklicher aus, als Worte. Von der eigentlichen Beſchaffenheit ſolcher Alle- gorien, wie ſie hier noͤthig ſind, haben wir bereits anderswo geſprochen (*), und uͤberlaſſen, um nicht gar zu weitlaͤuftig zu ſeyn, die naͤhere Betrach- tung dieſer Sach einem andern Liebhaber der ſchoͤ- nen Kuͤnſte. Die Kunſt der Schaumuͤnzen iſt, wie die zeich- nenden Kuͤnſte uͤberhaupt von den Griechen beynahe auf den hoͤchſten Punkt der Vollkommenheit getrie- ben worden. Doch haben auch die Neuern etwas hinzugethan, und Werke gemacht, die mit den Al- ten um den Vorzug ſtreiten. Aber hiervon ſprechen wir in einem andern Artikel. (*) Wir haben aber hier noch einiges anzumerken. Die großen Schaumuͤnzen die einen erhoͤheten und aus Gliedern, die den Gliedern der Baukunſt aͤhn- lich ſind, beſtehenden Rand haben, werden insge- mein Medaillen genennt, die kleinern aber, deren Rand wie in den groͤßern gangbaren Muͤnzſorten, kraus iſt, bekommen insgemein den Namen Jet- tons, welches ohngefehr ſo viel bedeutet, als Zahl- oder Rechenpfennig. Es iſt ein Vorurtheil zu glau- ben, daß eine Perſon mehr durch eine Medaille, als durch ein Jetton geehrt werde. Man koͤnnte mit mehrerm Rechte das Gegentheil behaupten; denn die Ehre ſcheinet um ſo viel groͤßer, je weiter eine Schaumuͤnz ausgebreitet wird. Dieſes aber geſchieht durch Jettone beſſer; weil mehrere Menſchen, des geringern Preiſes halber, ſie kaufen, als große Medaillen. Eben ſo ſcheinet es, daß kupferne Me- daillen, weil ſie dem Einſchmelzen weniger, als ſil- berne und goldene unterworfen ſind, einen Vorzug vor dieſen haben. Die vodere Seite, die insgemein das Bruſtbild oder den Kopf einer Perſon vorſtellt, wird ofte mit dem franzoͤſiſchen Wort Avers bezeichnet, die hin- tere, die den Gedanken daruͤber ausdruͤkt, heißt denn der Revers, und wenn auf dieſer noch unten ein kleiner abgeſonderter Raum iſt, ſo bekommt er den Namen Exergue. Schauſpiehl. Daß die Menſchen einen ſtarken Hang nach allen Gattungen der Schauſpiehle haben, iſt zu bekannt, als daß es noͤthig waͤre, es hier zu zeigen. Mit großer Begierd und Lebhaftigkeit verſammelt ſich die Menge uͤberall, wo ſie etwas beſonderes und auſſerordentliches zu ſehen, oder zu hoͤren glaubet, ob ſie gleich kein anderes Jntereſſe dabey hat, als die Neugierde zu befriedigen, oder eine Zeitlang ſich in einem etwas lebhaften leidenſchaftlichen Zu- ſtand zu fuͤhlen. Es war ſehr natuͤrlich, daß die ſchoͤnen Kuͤnſte ſich dieſes natuͤrlichen Hanges der Menſchen bedien- ten, ihnen kuͤnſtlich veranſtaltete Schauſpiehle zu geben. Die frommen Eyferer und die finſtern Mo- raliſten, die alle zum Zeitvertreib veranſtaltete Schauſpiehle verwerfen, bedenken nicht, was fuͤr wichtige Gelegenheiten dem Menſchen nuͤzlich zu ſeyn, ſie den ſchoͤnen Kuͤnſten zu benehmen ſuchen. Wuͤrden ſie die Sachen genauer uͤberlegen, ſo wuͤr- den ſie finden, daß es beſſer ſey, anſtatt die Schau- ſpiehle zu hindern, auf Mittel zu denken, ſie, ohne ihnen von ihrer Annehmlichkeit etwas zu benehmen, recht nuͤzlich zu machen. So bald die Menſchen durch das geſellſchaftliche Leben ihren Geſichtskreis erweitert, und ihre innere Wuͤrkſamkeit vermehrt haben, wird ihnen der ge- dankenloſe Zuſtand, da weder der Geiſt noch die Empfindung durch aͤußere Gegenſtaͤnde gereizt und in einige Waͤrme geſezt werden, unertraͤglich. Nur der noch halb wilde Menſch, der ſich wenig uͤber das Thier empor gehoben hat, kann einen ſolchen Zuſtand der Gedankenloſigkeit ertragen: ſtellt er ſich aber bey dem ſchon etwas mehr gebildeten Menſchen oft ein, ſo verliehret dieſer dadurch ſeine Wuͤrkſam- keit und die Waͤrme des Geiſtes und Herzens, die ihn eigentlich zu einem weit uͤber die Thiere erhabe- nen Weſen machen. Alſo hat der Menſch kein wichtigeres Jntereſſe, als die beſtaͤndige Unterhaltung und Verſtaͤrkung ſei- ner innern Wuͤrkſamkeit. Dadurch wird er immer verſtaͤndiger, immer empfindſamer, vermehrt die Maſſe ſeiner Vorſtellungen und damit auch die Fer- tigkeit ſie zu ordnen und Nuzen daraus zu ziehen. Was einzelen Menſchen begegnet, die, wenn ſie in einem einſamen Cabinet, in Ruhe und Muͤßiggang erzogen worden, traͤg, unthaͤtig, dumm, ungeſel- lig werden, das wuͤrde auch einem ganzen Volke wiederfahren, das in thieriſcher Unthaͤtigkeit lebte. Nun ſind zu beſtaͤndiger Unterhaltung der innern Wuͤrkſamkeit nur zwey Mittel vorhanden; Geſchaͤfte und Zeitvertreib. Zu Geſchaͤften wird der Menſch durch (*) S. Allegorie in zeichnenden Kuͤnſten. (*) Stein- ſchneider, Stempel- chneider.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1020[1002]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/449>, abgerufen am 19.04.2024.