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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Scha
durch die Noth getrieben; aber wenn sie auch sonst
nichts verdrießliches haben, so ermüden sie zu sehr,
als daß man ihnen beständig obliegen könnte, und
haben dabey den Nachtheil, daß man sie meist ein-
sam, oder doch in gar zu sehr eingeschränkter Gesell-
schaft verrichten muß. Jmmer anhaltend würden
sie den Menschen ungesellig machen, und außerdem
noch seinen ganzen Gesichtskreis gar zu eng einschrän-
ken. Darum ist es nothwendig, daß sie mit ange-
nehmen Zeitvertreib abwechseln, und daß dieser die
Menschen in größerer Anzahl zusammenbringe, als
die Arbeit gewöhnlicher Weise verstattet.

Was ist also natürlicher, nüzlicher, wolthätiger,
als daß die, deren Beruf es ist, für das Beste der
Gesellschaft zu sorgen, auch auf Mittel denken, der-
selben angenehmen und zugleich nüzlichen Zeitver-
treib, der sie in größere Gesellschaften zusammen-
bringe, zu verschaffen? Ueberläßt man dieses dem
Zufalle, so werden allerhand schädliche Folgen daher
entstehen. Die Muße wird einige auf verderblichen
Zeitvertreib führen, andere werden sich von gewinn-
süchtigen Menschen, entweder zu abgeschmakten, un-
vernünftigen, oder zu unsittlichen Schauspiehlen ver-
leiten lassen, welche die schlimmesten Folgen haben.
Also gebe man einem fleißigen und arbeitsamen Volke
wol überlegte und nüzliche Schauspiehle.

Jn großen Städten, wo insgemein die Anzahl
der ganz, oder halb müßigen Menschen sehr beträcht-
lich ist, scheinen zweyerley Schauspiehle nöthig: ein
tägliches für eine geringere Anzahl Menschen, und
ein etwas selteneres für die Menge, deren dringen-
dere Arbeit nur bisweilen einen Ruhetag zuläßt.
Einige überall eingeführte Feste und Feyertage, öf-
fentliche Spaziergänge und andere durch Gewohn-
heit eingeführte Zusammenkünfte, thun schon etwas
zu gesellschaftlicher Vereinigung, und zum Zeitver-
treib. Aber es ist weder hinlänglich, noch nüzlich
genug. Besondere Veranstaltungen, wodurch die
Einwohner eines Orts veranlasset würden, in grös-
sern Gesellschaften zusammen zu kommen, und da
einen wahrhaftig nüzlichen, und jedem angenehmen
Zeitvertreib zu genießen, scheinen allerdings der Ue-
berlegung eines Gesezgebers würdig zu seyn.

Seltsame Träumereyen! wird ohne Zweifel man-
cher hiebey denken. Man soll also in jeder Stadt
und in jedem Dorfe Schauspiehler unterhalten?
Was für ungereimte Dinge nicht ein müßiger Kopf,
[Spaltenumbruch]

Scha
ausheket! Nur etwas Geduld, wir wollen die Sa-
chen ganz vernünftig überlegen. Noch ist hier vom
Schauspiehl überhaupt, und nicht von Comödien
die Rede. Jch kenne ein Land, wo bald jedes Dorf
den Sommer über wöchentlich mehr als eine Art
eines öffentlichen Schauspiehles genießt, die ich selbst
sehr ofte mit großem Vergnügen angesehen habe;
theils die Gewohnheit, theils würklich überlegte
Veranstaltungen des Gesezgebers haben mancherley
Leibesübungen und Spiehle eingeführt, denen ein
ganzes Dorf mit Lust zusieht, und wobey Fröhlich-
keit nicht ohne guten Anstand herrscht. Jch glaube
mich nicht zu betrügen, wenn ich solchen Arten von
Schauspiehlen einen sehr vortheilhaften Einfluß auf
die Gemüther zuschreibe. Auch darin nicht, daß
ohne belästigenden Aufwand, und mit einiger Ueber-
legung und Klugheit, solche Schauspiele allmählig
etwas mehr Form und Nuzbarkeit erhalten könnten.
Also ist eben nicht alles, was von allgemein einzu-
führenden Schauspiehlen gesagt wird, bloßes Hirn-
gespinnst eines in Träumerey versunkenen Kopfes.
Wenigstens nicht für die Länder, die das Glük ge-
nießen, unter einer nicht ganz brutalen Regierung
zu stehen.

Aber ich verirre mich zu weit aus meiner Bahn,
da hier eigentlich nur von den scenischen Schauspieh-
len die Rede seyn sollte. Jndessen scheinet es doch
nöthig, um das, was von dieser besondern Gat-
tung zu sagen ist, einleuchtender zu machen, von
der Nothwendigkeit und der Würkung des Schau-
spiehles überhaupt zu sprechen. Von der Nothwen-
digkeit haben wir gesprochen; aber die Würkung
des Schauspiehles ist noch näher zu betrachten.

Es ist gewiß, daß der Mensch in keinerley Umstän-
den lebhafterer Eindrüke und Empfindungen fähig
ist, als bey dem öffentlichen Schauspiehl. Der
Geist ist nicht nur da in völliger Freyheit, und durch
Wegräumung aller andern Vorstellungen bereit, je-
den Eindruk, den man ihm geben wird, anzuneh-
men, sondern erwartet dieses mit Lebhaftigkeit, und
man freuet sich zum voraus darauf. Ein großer
und höchstwichtiger Vortheil, den sich bey andern
Gelegenheiten, wo die Menschen aus Pflicht oder
Zwang zusammenkommen, ein Redner mit großer
Müh und Kunst kaum verschaffen kann. Hier ist
jeder schon zum voraus auf das, was er hören und
sehen wird, begierig, und zum stärksten Eindruk
vorbereitet.

Denn
L l l l l l 2

[Spaltenumbruch]

Scha
durch die Noth getrieben; aber wenn ſie auch ſonſt
nichts verdrießliches haben, ſo ermuͤden ſie zu ſehr,
als daß man ihnen beſtaͤndig obliegen koͤnnte, und
haben dabey den Nachtheil, daß man ſie meiſt ein-
ſam, oder doch in gar zu ſehr eingeſchraͤnkter Geſell-
ſchaft verrichten muß. Jmmer anhaltend wuͤrden
ſie den Menſchen ungeſellig machen, und außerdem
noch ſeinen ganzen Geſichtskreis gar zu eng einſchraͤn-
ken. Darum iſt es nothwendig, daß ſie mit ange-
nehmen Zeitvertreib abwechſeln, und daß dieſer die
Menſchen in groͤßerer Anzahl zuſammenbringe, als
die Arbeit gewoͤhnlicher Weiſe verſtattet.

Was iſt alſo natuͤrlicher, nuͤzlicher, wolthaͤtiger,
als daß die, deren Beruf es iſt, fuͤr das Beſte der
Geſellſchaft zu ſorgen, auch auf Mittel denken, der-
ſelben angenehmen und zugleich nuͤzlichen Zeitver-
treib, der ſie in groͤßere Geſellſchaften zuſammen-
bringe, zu verſchaffen? Ueberlaͤßt man dieſes dem
Zufalle, ſo werden allerhand ſchaͤdliche Folgen daher
entſtehen. Die Muße wird einige auf verderblichen
Zeitvertreib fuͤhren, andere werden ſich von gewinn-
ſuͤchtigen Menſchen, entweder zu abgeſchmakten, un-
vernuͤnftigen, oder zu unſittlichen Schauſpiehlen ver-
leiten laſſen, welche die ſchlimmeſten Folgen haben.
Alſo gebe man einem fleißigen und arbeitſamen Volke
wol uͤberlegte und nuͤzliche Schauſpiehle.

Jn großen Staͤdten, wo insgemein die Anzahl
der ganz, oder halb muͤßigen Menſchen ſehr betraͤcht-
lich iſt, ſcheinen zweyerley Schauſpiehle noͤthig: ein
taͤgliches fuͤr eine geringere Anzahl Menſchen, und
ein etwas ſelteneres fuͤr die Menge, deren dringen-
dere Arbeit nur bisweilen einen Ruhetag zulaͤßt.
Einige uͤberall eingefuͤhrte Feſte und Feyertage, oͤf-
fentliche Spaziergaͤnge und andere durch Gewohn-
heit eingefuͤhrte Zuſammenkuͤnfte, thun ſchon etwas
zu geſellſchaftlicher Vereinigung, und zum Zeitver-
treib. Aber es iſt weder hinlaͤnglich, noch nuͤzlich
genug. Beſondere Veranſtaltungen, wodurch die
Einwohner eines Orts veranlaſſet wuͤrden, in groͤſ-
ſern Geſellſchaften zuſammen zu kommen, und da
einen wahrhaftig nuͤzlichen, und jedem angenehmen
Zeitvertreib zu genießen, ſcheinen allerdings der Ue-
berlegung eines Geſezgebers wuͤrdig zu ſeyn.

Seltſame Traͤumereyen! wird ohne Zweifel man-
cher hiebey denken. Man ſoll alſo in jeder Stadt
und in jedem Dorfe Schauſpiehler unterhalten?
Was fuͤr ungereimte Dinge nicht ein muͤßiger Kopf,
[Spaltenumbruch]

Scha
ausheket! Nur etwas Geduld, wir wollen die Sa-
chen ganz vernuͤnftig uͤberlegen. Noch iſt hier vom
Schauſpiehl uͤberhaupt, und nicht von Comoͤdien
die Rede. Jch kenne ein Land, wo bald jedes Dorf
den Sommer uͤber woͤchentlich mehr als eine Art
eines oͤffentlichen Schauſpiehles genießt, die ich ſelbſt
ſehr ofte mit großem Vergnuͤgen angeſehen habe;
theils die Gewohnheit, theils wuͤrklich uͤberlegte
Veranſtaltungen des Geſezgebers haben mancherley
Leibesuͤbungen und Spiehle eingefuͤhrt, denen ein
ganzes Dorf mit Luſt zuſieht, und wobey Froͤhlich-
keit nicht ohne guten Anſtand herrſcht. Jch glaube
mich nicht zu betruͤgen, wenn ich ſolchen Arten von
Schauſpiehlen einen ſehr vortheilhaften Einfluß auf
die Gemuͤther zuſchreibe. Auch darin nicht, daß
ohne belaͤſtigenden Aufwand, und mit einiger Ueber-
legung und Klugheit, ſolche Schauſpiele allmaͤhlig
etwas mehr Form und Nuzbarkeit erhalten koͤnnten.
Alſo iſt eben nicht alles, was von allgemein einzu-
fuͤhrenden Schauſpiehlen geſagt wird, bloßes Hirn-
geſpinnſt eines in Traͤumerey verſunkenen Kopfes.
Wenigſtens nicht fuͤr die Laͤnder, die das Gluͤk ge-
nießen, unter einer nicht ganz brutalen Regierung
zu ſtehen.

Aber ich verirre mich zu weit aus meiner Bahn,
da hier eigentlich nur von den ſceniſchen Schauſpieh-
len die Rede ſeyn ſollte. Jndeſſen ſcheinet es doch
noͤthig, um das, was von dieſer beſondern Gat-
tung zu ſagen iſt, einleuchtender zu machen, von
der Nothwendigkeit und der Wuͤrkung des Schau-
ſpiehles uͤberhaupt zu ſprechen. Von der Nothwen-
digkeit haben wir geſprochen; aber die Wuͤrkung
des Schauſpiehles iſt noch naͤher zu betrachten.

Es iſt gewiß, daß der Menſch in keinerley Umſtaͤn-
den lebhafterer Eindruͤke und Empfindungen faͤhig
iſt, als bey dem oͤffentlichen Schauſpiehl. Der
Geiſt iſt nicht nur da in voͤlliger Freyheit, und durch
Wegraͤumung aller andern Vorſtellungen bereit, je-
den Eindruk, den man ihm geben wird, anzuneh-
men, ſondern erwartet dieſes mit Lebhaftigkeit, und
man freuet ſich zum voraus darauf. Ein großer
und hoͤchſtwichtiger Vortheil, den ſich bey andern
Gelegenheiten, wo die Menſchen aus Pflicht oder
Zwang zuſammenkommen, ein Redner mit großer
Muͤh und Kunſt kaum verſchaffen kann. Hier iſt
jeder ſchon zum voraus auf das, was er hoͤren und
ſehen wird, begierig, und zum ſtaͤrkſten Eindruk
vorbereitet.

Denn
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[1021[1003]/0450] Scha Scha durch die Noth getrieben; aber wenn ſie auch ſonſt nichts verdrießliches haben, ſo ermuͤden ſie zu ſehr, als daß man ihnen beſtaͤndig obliegen koͤnnte, und haben dabey den Nachtheil, daß man ſie meiſt ein- ſam, oder doch in gar zu ſehr eingeſchraͤnkter Geſell- ſchaft verrichten muß. Jmmer anhaltend wuͤrden ſie den Menſchen ungeſellig machen, und außerdem noch ſeinen ganzen Geſichtskreis gar zu eng einſchraͤn- ken. Darum iſt es nothwendig, daß ſie mit ange- nehmen Zeitvertreib abwechſeln, und daß dieſer die Menſchen in groͤßerer Anzahl zuſammenbringe, als die Arbeit gewoͤhnlicher Weiſe verſtattet. Was iſt alſo natuͤrlicher, nuͤzlicher, wolthaͤtiger, als daß die, deren Beruf es iſt, fuͤr das Beſte der Geſellſchaft zu ſorgen, auch auf Mittel denken, der- ſelben angenehmen und zugleich nuͤzlichen Zeitver- treib, der ſie in groͤßere Geſellſchaften zuſammen- bringe, zu verſchaffen? Ueberlaͤßt man dieſes dem Zufalle, ſo werden allerhand ſchaͤdliche Folgen daher entſtehen. Die Muße wird einige auf verderblichen Zeitvertreib fuͤhren, andere werden ſich von gewinn- ſuͤchtigen Menſchen, entweder zu abgeſchmakten, un- vernuͤnftigen, oder zu unſittlichen Schauſpiehlen ver- leiten laſſen, welche die ſchlimmeſten Folgen haben. Alſo gebe man einem fleißigen und arbeitſamen Volke wol uͤberlegte und nuͤzliche Schauſpiehle. Jn großen Staͤdten, wo insgemein die Anzahl der ganz, oder halb muͤßigen Menſchen ſehr betraͤcht- lich iſt, ſcheinen zweyerley Schauſpiehle noͤthig: ein taͤgliches fuͤr eine geringere Anzahl Menſchen, und ein etwas ſelteneres fuͤr die Menge, deren dringen- dere Arbeit nur bisweilen einen Ruhetag zulaͤßt. Einige uͤberall eingefuͤhrte Feſte und Feyertage, oͤf- fentliche Spaziergaͤnge und andere durch Gewohn- heit eingefuͤhrte Zuſammenkuͤnfte, thun ſchon etwas zu geſellſchaftlicher Vereinigung, und zum Zeitver- treib. Aber es iſt weder hinlaͤnglich, noch nuͤzlich genug. Beſondere Veranſtaltungen, wodurch die Einwohner eines Orts veranlaſſet wuͤrden, in groͤſ- ſern Geſellſchaften zuſammen zu kommen, und da einen wahrhaftig nuͤzlichen, und jedem angenehmen Zeitvertreib zu genießen, ſcheinen allerdings der Ue- berlegung eines Geſezgebers wuͤrdig zu ſeyn. Seltſame Traͤumereyen! wird ohne Zweifel man- cher hiebey denken. Man ſoll alſo in jeder Stadt und in jedem Dorfe Schauſpiehler unterhalten? Was fuͤr ungereimte Dinge nicht ein muͤßiger Kopf, ausheket! Nur etwas Geduld, wir wollen die Sa- chen ganz vernuͤnftig uͤberlegen. Noch iſt hier vom Schauſpiehl uͤberhaupt, und nicht von Comoͤdien die Rede. Jch kenne ein Land, wo bald jedes Dorf den Sommer uͤber woͤchentlich mehr als eine Art eines oͤffentlichen Schauſpiehles genießt, die ich ſelbſt ſehr ofte mit großem Vergnuͤgen angeſehen habe; theils die Gewohnheit, theils wuͤrklich uͤberlegte Veranſtaltungen des Geſezgebers haben mancherley Leibesuͤbungen und Spiehle eingefuͤhrt, denen ein ganzes Dorf mit Luſt zuſieht, und wobey Froͤhlich- keit nicht ohne guten Anſtand herrſcht. Jch glaube mich nicht zu betruͤgen, wenn ich ſolchen Arten von Schauſpiehlen einen ſehr vortheilhaften Einfluß auf die Gemuͤther zuſchreibe. Auch darin nicht, daß ohne belaͤſtigenden Aufwand, und mit einiger Ueber- legung und Klugheit, ſolche Schauſpiele allmaͤhlig etwas mehr Form und Nuzbarkeit erhalten koͤnnten. Alſo iſt eben nicht alles, was von allgemein einzu- fuͤhrenden Schauſpiehlen geſagt wird, bloßes Hirn- geſpinnſt eines in Traͤumerey verſunkenen Kopfes. Wenigſtens nicht fuͤr die Laͤnder, die das Gluͤk ge- nießen, unter einer nicht ganz brutalen Regierung zu ſtehen. Aber ich verirre mich zu weit aus meiner Bahn, da hier eigentlich nur von den ſceniſchen Schauſpieh- len die Rede ſeyn ſollte. Jndeſſen ſcheinet es doch noͤthig, um das, was von dieſer beſondern Gat- tung zu ſagen iſt, einleuchtender zu machen, von der Nothwendigkeit und der Wuͤrkung des Schau- ſpiehles uͤberhaupt zu ſprechen. Von der Nothwen- digkeit haben wir geſprochen; aber die Wuͤrkung des Schauſpiehles iſt noch naͤher zu betrachten. Es iſt gewiß, daß der Menſch in keinerley Umſtaͤn- den lebhafterer Eindruͤke und Empfindungen faͤhig iſt, als bey dem oͤffentlichen Schauſpiehl. Der Geiſt iſt nicht nur da in voͤlliger Freyheit, und durch Wegraͤumung aller andern Vorſtellungen bereit, je- den Eindruk, den man ihm geben wird, anzuneh- men, ſondern erwartet dieſes mit Lebhaftigkeit, und man freuet ſich zum voraus darauf. Ein großer und hoͤchſtwichtiger Vortheil, den ſich bey andern Gelegenheiten, wo die Menſchen aus Pflicht oder Zwang zuſammenkommen, ein Redner mit großer Muͤh und Kunſt kaum verſchaffen kann. Hier iſt jeder ſchon zum voraus auf das, was er hoͤren und ſehen wird, begierig, und zum ſtaͤrkſten Eindruk vorbereitet. Denn L l l l l l 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1021[1003]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/450>, abgerufen am 25.04.2024.