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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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vor jedermanns Augen stehenden Tischen großer Män-
ner neben Cicero, Horaz, Rousseau oder Haller,
einen Plaz zu verschaffen. Zu dieser Ehre wirst du
gelangen, wenn du, nicht die blendenden Reizungen
einer schlüpfrigen Venus, sondern die höhern Reize
einer Liebe und Hochachtung zugleich einflößenden
Person, dir zum Muster der Schönheit vorsezen wirst.

Schraffirung.
(Zeichnende Künste.)

Jn Zeichnungen, Kupferstichen und Gemählden
nennt man die nebeneinandergesezten, sich auch bis-
weilen durchkreuzenden Striche, wodurch die Schat-
ten ausgedrukt werden, Schraffirungen.

Weil die Schatten gemeiniglich von der dunkel-
sten Stelle gegen das Hellere nach und nach schwä-
cher werden; so werden bey den Schraffirungen die
Striche auch so gemacht, daß sie vom Dunkelsten
gegen das Helle allmählig feiner werden und zulezt
in die feinesten Spizen auslaufen. Starke Schat-
ten werden durch breitere, und schwache durch
schmälere oder feinere Striche ausgedrükt.

Die Schraffirung ist einfach, wenn auf einer
Stelle die Striche parallel neben einander laufen;
doppelt wenn sie sich durchkreuzen. Jm ersten Falle
erscheinet das Weiße oder Helle zwischen zwey Stri-
chen, auch wie ein weißer Strich, der vom Dun-
keln gegen das Helle immer breiter wird; im andern
Fall aber wird der helle Grund zwischen den Schraf-
firungen in kleine, gerade, oder verschobene rauten-
förmige Viereke eingetheilt. Die leztere Art hat et-
was angenehmeres und weicheres, als die erstere,
die deswegen auch nur zu Schattirung harter
Körper von matter Oberfläche, als Holz, Stein
und Erde, gebraucht wird.

Es giebt auch eine Schraffirung, da das Weiße
zwischen den Strichen noch mit ganz kleinen abge-
sezten Strichen, zu Verstärkung des Schattens,
ausgefüllt wird.

Eine gute Schraffirung erfodert nicht nur freye,
dreiste Striche, wie sich mancher junge Zeichner
oder Kupferstecher einzubilden scheinet; sondern
überhaupt eine sehr sorgfältige Behandlung, die die
Frucht eines genauen Nachdenkens und feinen Ge-
fühles ist.

Erstlich kommt viel darauf an, wie die Striche
laufen, ob sie aufwärts, oder unterwärts, ob sie
viel oder wenig gebogen seyen, weil dieses sehr viel
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beyträgt, die höhere, oder flächere Ründung, und
die wahre Gestalt der Körper auf die natürlichste
Weise darzustellen. Die besten Meister sehen alle-
mal darauf, daß ihre Schraffirungen so laufen, wie
die Ansicht des Theiles, der damit schattirt wird,
und die abwechselnden Krümmungen es zum natür-
lichsten Ausdruk erfodern, bald in einförmigen Bo-
gen, bald wellenförmig oder sich schlengelnd. So
wie z. B. bey einem in Falten liegenden Gewande,
die Faden des Gewebes in ihren verschiedenen Krüm-
mungen laufen, so ändert auch ein Zeichner die Wen-
dungen seiner Schraffirungen ab, selbst da, wo ei-
gentlich kein Faden zu merken ist, wie in der Haut
des menschlichen Körpers, wo man sich doch allemal
etwas, dem Faden des Gewandes ähnliches vorzu-
stellen pflegt.

Zweytens kommt das Harte und Weiche der
Schatten, das von der Wahrheit oder Richtigkeit
derselben ganz verschieden ist, größtentheils auf das
engere oder weitere Schraffiren, auf die Stärke und
Schwäche der Striche an. Nichts ist härter und
unangenehmer, als etwas kernhafte, dabey kurz
abgesezte Schraffirungen. Ganz feine und sehr
enge einfache Schraffirung, hat etwas weichliches,
daher sehen in einigen Kupferstichen von Albrecht
Dürer,
der, wie alle Kupferstecher der ersten Zeit,
so fein zu schraffiren pflegte, alle Gegenstände so
aus, als wenn sie mit feinem Seidenpapier überzo-
gen wären. Ganz feine und zarte Striche zwischen
starken und eng an einanderstehenden, verursachen
etwas glänzendes, das für den Ausdruk der feine-
sten Haut der Gesichter doch zu glänzend ist. Die
Stärke der Striche muß sich nicht nach der Stär-
ke, oder Dunkelheit der Schatten, sondern nach
der Größe der Masse, die der Schatten ausmacht,
richten.

Wir zeigen hier blos einige Hauptpunkte an,
ohne uns weiter darüber einzulassen, weil es ohne
merkliche Schweerfälligkeit nicht möglich ist, derglei-
chen Dinge ausführlich zu beschreiben. Der größte
Theil der Kunst des Kupferstechens kommt auf den
guten Geschmak der Schraffirungen an, weil die
Harmonie des Ganzen meistens davon abhängt.
Daher es für die Aufnahm der Kunst zu wünschen
wäre, daß ein Meister derselben diese Materie be-
handelte. Für junge Künstler wär es nöthig, daß
man neu herausgekommene Kupferstiche in eigenen
Wochen- oder Monat-Schriften mit der genauen

Critik

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Schr
vor jedermanns Augen ſtehenden Tiſchen großer Maͤn-
ner neben Cicero, Horaz, Rouſſeau oder Haller,
einen Plaz zu verſchaffen. Zu dieſer Ehre wirſt du
gelangen, wenn du, nicht die blendenden Reizungen
einer ſchluͤpfrigen Venus, ſondern die hoͤhern Reize
einer Liebe und Hochachtung zugleich einfloͤßenden
Perſon, dir zum Muſter der Schoͤnheit vorſezen wirſt.

Schraffirung.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Jn Zeichnungen, Kupferſtichen und Gemaͤhlden
nennt man die nebeneinandergeſezten, ſich auch bis-
weilen durchkreuzenden Striche, wodurch die Schat-
ten ausgedrukt werden, Schraffirungen.

Weil die Schatten gemeiniglich von der dunkel-
ſten Stelle gegen das Hellere nach und nach ſchwaͤ-
cher werden; ſo werden bey den Schraffirungen die
Striche auch ſo gemacht, daß ſie vom Dunkelſten
gegen das Helle allmaͤhlig feiner werden und zulezt
in die feineſten Spizen auslaufen. Starke Schat-
ten werden durch breitere, und ſchwache durch
ſchmaͤlere oder feinere Striche ausgedruͤkt.

Die Schraffirung iſt einfach, wenn auf einer
Stelle die Striche parallel neben einander laufen;
doppelt wenn ſie ſich durchkreuzen. Jm erſten Falle
erſcheinet das Weiße oder Helle zwiſchen zwey Stri-
chen, auch wie ein weißer Strich, der vom Dun-
keln gegen das Helle immer breiter wird; im andern
Fall aber wird der helle Grund zwiſchen den Schraf-
firungen in kleine, gerade, oder verſchobene rauten-
foͤrmige Viereke eingetheilt. Die leztere Art hat et-
was angenehmeres und weicheres, als die erſtere,
die deswegen auch nur zu Schattirung harter
Koͤrper von matter Oberflaͤche, als Holz, Stein
und Erde, gebraucht wird.

Es giebt auch eine Schraffirung, da das Weiße
zwiſchen den Strichen noch mit ganz kleinen abge-
ſezten Strichen, zu Verſtaͤrkung des Schattens,
ausgefuͤllt wird.

Eine gute Schraffirung erfodert nicht nur freye,
dreiſte Striche, wie ſich mancher junge Zeichner
oder Kupferſtecher einzubilden ſcheinet; ſondern
uͤberhaupt eine ſehr ſorgfaͤltige Behandlung, die die
Frucht eines genauen Nachdenkens und feinen Ge-
fuͤhles iſt.

Erſtlich kommt viel darauf an, wie die Striche
laufen, ob ſie aufwaͤrts, oder unterwaͤrts, ob ſie
viel oder wenig gebogen ſeyen, weil dieſes ſehr viel
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beytraͤgt, die hoͤhere, oder flaͤchere Ruͤndung, und
die wahre Geſtalt der Koͤrper auf die natuͤrlichſte
Weiſe darzuſtellen. Die beſten Meiſter ſehen alle-
mal darauf, daß ihre Schraffirungen ſo laufen, wie
die Anſicht des Theiles, der damit ſchattirt wird,
und die abwechſelnden Kruͤmmungen es zum natuͤr-
lichſten Ausdruk erfodern, bald in einfoͤrmigen Bo-
gen, bald wellenfoͤrmig oder ſich ſchlengelnd. So
wie z. B. bey einem in Falten liegenden Gewande,
die Faden des Gewebes in ihren verſchiedenen Kruͤm-
mungen laufen, ſo aͤndert auch ein Zeichner die Wen-
dungen ſeiner Schraffirungen ab, ſelbſt da, wo ei-
gentlich kein Faden zu merken iſt, wie in der Haut
des menſchlichen Koͤrpers, wo man ſich doch allemal
etwas, dem Faden des Gewandes aͤhnliches vorzu-
ſtellen pflegt.

Zweytens kommt das Harte und Weiche der
Schatten, das von der Wahrheit oder Richtigkeit
derſelben ganz verſchieden iſt, groͤßtentheils auf das
engere oder weitere Schraffiren, auf die Staͤrke und
Schwaͤche der Striche an. Nichts iſt haͤrter und
unangenehmer, als etwas kernhafte, dabey kurz
abgeſezte Schraffirungen. Ganz feine und ſehr
enge einfache Schraffirung, hat etwas weichliches,
daher ſehen in einigen Kupferſtichen von Albrecht
Duͤrer,
der, wie alle Kupferſtecher der erſten Zeit,
ſo fein zu ſchraffiren pflegte, alle Gegenſtaͤnde ſo
aus, als wenn ſie mit feinem Seidenpapier uͤberzo-
gen waͤren. Ganz feine und zarte Striche zwiſchen
ſtarken und eng an einanderſtehenden, verurſachen
etwas glaͤnzendes, das fuͤr den Ausdruk der feine-
ſten Haut der Geſichter doch zu glaͤnzend iſt. Die
Staͤrke der Striche muß ſich nicht nach der Staͤr-
ke, oder Dunkelheit der Schatten, ſondern nach
der Groͤße der Maſſe, die der Schatten ausmacht,
richten.

Wir zeigen hier blos einige Hauptpunkte an,
ohne uns weiter daruͤber einzulaſſen, weil es ohne
merkliche Schweerfaͤlligkeit nicht moͤglich iſt, derglei-
chen Dinge ausfuͤhrlich zu beſchreiben. Der groͤßte
Theil der Kunſt des Kupferſtechens kommt auf den
guten Geſchmak der Schraffirungen an, weil die
Harmonie des Ganzen meiſtens davon abhaͤngt.
Daher es fuͤr die Aufnahm der Kunſt zu wuͤnſchen
waͤre, daß ein Meiſter derſelben dieſe Materie be-
handelte. Fuͤr junge Kuͤnſtler waͤr es noͤthig, daß
man neu herausgekommene Kupferſtiche in eigenen
Wochen- oder Monat-Schriften mit der genauen

Critik
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[1046[1028]/0475] Schr Schr vor jedermanns Augen ſtehenden Tiſchen großer Maͤn- ner neben Cicero, Horaz, Rouſſeau oder Haller, einen Plaz zu verſchaffen. Zu dieſer Ehre wirſt du gelangen, wenn du, nicht die blendenden Reizungen einer ſchluͤpfrigen Venus, ſondern die hoͤhern Reize einer Liebe und Hochachtung zugleich einfloͤßenden Perſon, dir zum Muſter der Schoͤnheit vorſezen wirſt. Schraffirung. (Zeichnende Kuͤnſte.) Jn Zeichnungen, Kupferſtichen und Gemaͤhlden nennt man die nebeneinandergeſezten, ſich auch bis- weilen durchkreuzenden Striche, wodurch die Schat- ten ausgedrukt werden, Schraffirungen. Weil die Schatten gemeiniglich von der dunkel- ſten Stelle gegen das Hellere nach und nach ſchwaͤ- cher werden; ſo werden bey den Schraffirungen die Striche auch ſo gemacht, daß ſie vom Dunkelſten gegen das Helle allmaͤhlig feiner werden und zulezt in die feineſten Spizen auslaufen. Starke Schat- ten werden durch breitere, und ſchwache durch ſchmaͤlere oder feinere Striche ausgedruͤkt. Die Schraffirung iſt einfach, wenn auf einer Stelle die Striche parallel neben einander laufen; doppelt wenn ſie ſich durchkreuzen. Jm erſten Falle erſcheinet das Weiße oder Helle zwiſchen zwey Stri- chen, auch wie ein weißer Strich, der vom Dun- keln gegen das Helle immer breiter wird; im andern Fall aber wird der helle Grund zwiſchen den Schraf- firungen in kleine, gerade, oder verſchobene rauten- foͤrmige Viereke eingetheilt. Die leztere Art hat et- was angenehmeres und weicheres, als die erſtere, die deswegen auch nur zu Schattirung harter Koͤrper von matter Oberflaͤche, als Holz, Stein und Erde, gebraucht wird. Es giebt auch eine Schraffirung, da das Weiße zwiſchen den Strichen noch mit ganz kleinen abge- ſezten Strichen, zu Verſtaͤrkung des Schattens, ausgefuͤllt wird. Eine gute Schraffirung erfodert nicht nur freye, dreiſte Striche, wie ſich mancher junge Zeichner oder Kupferſtecher einzubilden ſcheinet; ſondern uͤberhaupt eine ſehr ſorgfaͤltige Behandlung, die die Frucht eines genauen Nachdenkens und feinen Ge- fuͤhles iſt. Erſtlich kommt viel darauf an, wie die Striche laufen, ob ſie aufwaͤrts, oder unterwaͤrts, ob ſie viel oder wenig gebogen ſeyen, weil dieſes ſehr viel beytraͤgt, die hoͤhere, oder flaͤchere Ruͤndung, und die wahre Geſtalt der Koͤrper auf die natuͤrlichſte Weiſe darzuſtellen. Die beſten Meiſter ſehen alle- mal darauf, daß ihre Schraffirungen ſo laufen, wie die Anſicht des Theiles, der damit ſchattirt wird, und die abwechſelnden Kruͤmmungen es zum natuͤr- lichſten Ausdruk erfodern, bald in einfoͤrmigen Bo- gen, bald wellenfoͤrmig oder ſich ſchlengelnd. So wie z. B. bey einem in Falten liegenden Gewande, die Faden des Gewebes in ihren verſchiedenen Kruͤm- mungen laufen, ſo aͤndert auch ein Zeichner die Wen- dungen ſeiner Schraffirungen ab, ſelbſt da, wo ei- gentlich kein Faden zu merken iſt, wie in der Haut des menſchlichen Koͤrpers, wo man ſich doch allemal etwas, dem Faden des Gewandes aͤhnliches vorzu- ſtellen pflegt. Zweytens kommt das Harte und Weiche der Schatten, das von der Wahrheit oder Richtigkeit derſelben ganz verſchieden iſt, groͤßtentheils auf das engere oder weitere Schraffiren, auf die Staͤrke und Schwaͤche der Striche an. Nichts iſt haͤrter und unangenehmer, als etwas kernhafte, dabey kurz abgeſezte Schraffirungen. Ganz feine und ſehr enge einfache Schraffirung, hat etwas weichliches, daher ſehen in einigen Kupferſtichen von Albrecht Duͤrer, der, wie alle Kupferſtecher der erſten Zeit, ſo fein zu ſchraffiren pflegte, alle Gegenſtaͤnde ſo aus, als wenn ſie mit feinem Seidenpapier uͤberzo- gen waͤren. Ganz feine und zarte Striche zwiſchen ſtarken und eng an einanderſtehenden, verurſachen etwas glaͤnzendes, das fuͤr den Ausdruk der feine- ſten Haut der Geſichter doch zu glaͤnzend iſt. Die Staͤrke der Striche muß ſich nicht nach der Staͤr- ke, oder Dunkelheit der Schatten, ſondern nach der Groͤße der Maſſe, die der Schatten ausmacht, richten. Wir zeigen hier blos einige Hauptpunkte an, ohne uns weiter daruͤber einzulaſſen, weil es ohne merkliche Schweerfaͤlligkeit nicht moͤglich iſt, derglei- chen Dinge ausfuͤhrlich zu beſchreiben. Der groͤßte Theil der Kunſt des Kupferſtechens kommt auf den guten Geſchmak der Schraffirungen an, weil die Harmonie des Ganzen meiſtens davon abhaͤngt. Daher es fuͤr die Aufnahm der Kunſt zu wuͤnſchen waͤre, daß ein Meiſter derſelben dieſe Materie be- handelte. Fuͤr junge Kuͤnſtler waͤr es noͤthig, daß man neu herausgekommene Kupferſtiche in eigenen Wochen- oder Monat-Schriften mit der genauen Critik

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1046[1028]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/475>, abgerufen am 24.04.2024.