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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sel

so daß izt die Septime ein Vorhalt der Sexte wäre,
und nun durch nochmahlige Verwechslung, dieser
Vorhalt in dem Baß zu liegen käme,

[Abbildung]

so ist klar, daß hier die erste Baßnote die None des
eigentlichen wahren Grundtones ist, die deswegen
durch heruntertreten resolviren muß, wodurch sie zur
Octave des nächsten Grundtones wird. Die Se-
cunde aber ist die Terz dieses Grundtones. (*)

Der Accord darin die übermäßige Secunde vor-
kommt, entsteht aus der dritten Verwechslung des
verminderten Septimenaccordes, und hat die zufäl-
lige None des Grundtones zum Baßton. Dieser
Accord kann aber auch ein vorhaltender Accord des
Dreyklanges bey einr unterbrochenen Cadenz seyn,
nämlich die Secunde vor der Terz, die Quarte vor
der Quinte oder Terz, und die Sexte vor der Quinte;
alsdenn ist der Baßton der wahre Grundton dieses
Accordes. Beyde Fälle kommen in folgendem Bey-
spiehle vor:

[Abbildung]

Grundbaß:
Da der Secundenaccord von allen Verwechslungen
des Septimenaccordes die härteste an Harmonie,
und durch die Dissonanz im Baß gleichsam etwas
männliches hat, so diener er vorzüglich zum Ausdruk
starker und heftiger Leidenschaften. Bey Ausbrü-
chen der Wuth, der Verzweifelung etc. wird er oft
mit der übermäßigen Quarte ohne alle Vorberei-
tung frey angeschlagen.

Selbstgespräch.
(Dramatische Dichtkunst.)

Ein Auftritt wo nur eine Person erscheint, welche
laut mit sich selbst spricht. Deswegen dieses Ge-
[Spaltenumbruch]

Sel
spräch auch durch das griechische Wort Monologe
bezeichnet wird. Man findet sehr wenig dramati-
sche Stüke, wo nicht dergleichen Auftritte vorkom-
men. Man hat aber wol bemerkt, daß sie meisten-
theils wieder die Wahrscheinlichkeit seyn, indem es
überaus selten ist, daß ein Mensch mit sich selbst
laut spreche. Jndessen erfodert es bisweilen die
Nothwendigkeit, daß der Dichter den Zuschauer
von gewissen geheimen Gedanken und Anschlägen
der Personen unterrichte, welches er auf keinerley
Weise thun kann, wenn er sie nicht laut mit sich sel-
ber sprechen läßt. Ofte macht es auch dem Zu-
schauer ein besonderes Vergnügen, einen Menschen
zu sehen, der, weil er sich allein glaubt, den gan-
zen Grund seines Herzens ausschüttet, und seine
geheimeste Gedanken an den Tag bringt.

Es ist also unstreitig, daß das Selbstgespräch der
dramatischen Dichtkunst nicht müsse untersagt wer-
den, weil es nothwendig, und weil es angenehm
ist. Aber der Dichter muß sich hüten die Wahrschein-
lichkeit nicht allzusehr zu beleidigen, sonst geht das
Vergnügen verlohren. Die Alten hatten in ihren
Sitten etwas, das ihnen den Gebrauch des Selbst-
gespräches natürlich machte. Es war würklich ge-
wöhnlich bey ihnen, daß Personen in wichtigen in-
sonderheit traurigen Angelegenheiten des Herzens ihre
Gedanken der Luft und den Sternen laut vortrugen.

Um diese Auftritte so natürlich zu machen, als
möglich ist, muß sowol der Dichter, als der Schau-
spieler das Seinige dazu beytragen. Der erstere muß
sie niemal anbringen, als wo es so viel möglich na-
türlich, oder unumgänglich nothwendig ist. Natür-
licher Weise spricht der Mensch laut mit sich selbst
in starken Affekten, da er sich selbst vergißt, oder
da, wo er in sehr wichtigen Angelegenheiten keinen
Menschen hat, dem er sich anvertrauen könnte. Es
ist eine sehr natürliche Neigung aller Menschen, daß
sie gerne von dem reden, was ihr Herz ganz ein-
nihmt. Sie suchen, auch so gar gegen ihr Jnteresse
Gelegenheit, davon zu sprechen, und auch da, wo
dieses würklich gefährlich wird, können sie sich nicht
enthalten, wenigstens von weiten etwas davon merken
zu lassen. Jn dergleichen Umständen kann der Dichter
ohne Bedenken sie allein reden lassen. Wenn er da-
bey noch die Vorsichtigkeit gebraucht, dem Zuschauer
die beschriebene Gemüthsverfassung der handelnden
Person deutlich zu erkennen zu geben, so wird kein
Mensch sich am Selbstgespräch stoßen.

Ferner
(*) S.
Septimen-
accord.
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Sel

ſo daß izt die Septime ein Vorhalt der Sexte waͤre,
und nun durch nochmahlige Verwechslung, dieſer
Vorhalt in dem Baß zu liegen kaͤme,

[Abbildung]

ſo iſt klar, daß hier die erſte Baßnote die None des
eigentlichen wahren Grundtones iſt, die deswegen
durch heruntertreten reſolviren muß, wodurch ſie zur
Octave des naͤchſten Grundtones wird. Die Se-
cunde aber iſt die Terz dieſes Grundtones. (*)

Der Accord darin die uͤbermaͤßige Secunde vor-
kommt, entſteht aus der dritten Verwechslung des
verminderten Septimenaccordes, und hat die zufaͤl-
lige None des Grundtones zum Baßton. Dieſer
Accord kann aber auch ein vorhaltender Accord des
Dreyklanges bey einr unterbrochenen Cadenz ſeyn,
naͤmlich die Secunde vor der Terz, die Quarte vor
der Quinte oder Terz, und die Sexte vor der Quinte;
alsdenn iſt der Baßton der wahre Grundton dieſes
Accordes. Beyde Faͤlle kommen in folgendem Bey-
ſpiehle vor:

[Abbildung]

Grundbaß:
Da der Secundenaccord von allen Verwechslungen
des Septimenaccordes die haͤrteſte an Harmonie,
und durch die Diſſonanz im Baß gleichſam etwas
maͤnnliches hat, ſo diener er vorzuͤglich zum Ausdruk
ſtarker und heftiger Leidenſchaften. Bey Ausbruͤ-
chen der Wuth, der Verzweifelung ꝛc. wird er oft
mit der uͤbermaͤßigen Quarte ohne alle Vorberei-
tung frey angeſchlagen.

Selbſtgeſpraͤch.
(Dramatiſche Dichtkunſt.)

Ein Auftritt wo nur eine Perſon erſcheint, welche
laut mit ſich ſelbſt ſpricht. Deswegen dieſes Ge-
[Spaltenumbruch]

Sel
ſpraͤch auch durch das griechiſche Wort Monologe
bezeichnet wird. Man findet ſehr wenig dramati-
ſche Stuͤke, wo nicht dergleichen Auftritte vorkom-
men. Man hat aber wol bemerkt, daß ſie meiſten-
theils wieder die Wahrſcheinlichkeit ſeyn, indem es
uͤberaus ſelten iſt, daß ein Menſch mit ſich ſelbſt
laut ſpreche. Jndeſſen erfodert es bisweilen die
Nothwendigkeit, daß der Dichter den Zuſchauer
von gewiſſen geheimen Gedanken und Anſchlaͤgen
der Perſonen unterrichte, welches er auf keinerley
Weiſe thun kann, wenn er ſie nicht laut mit ſich ſel-
ber ſprechen laͤßt. Ofte macht es auch dem Zu-
ſchauer ein beſonderes Vergnuͤgen, einen Menſchen
zu ſehen, der, weil er ſich allein glaubt, den gan-
zen Grund ſeines Herzens ausſchuͤttet, und ſeine
geheimeſte Gedanken an den Tag bringt.

Es iſt alſo unſtreitig, daß das Selbſtgeſpraͤch der
dramatiſchen Dichtkunſt nicht muͤſſe unterſagt wer-
den, weil es nothwendig, und weil es angenehm
iſt. Aber der Dichter muß ſich huͤten die Wahrſchein-
lichkeit nicht allzuſehr zu beleidigen, ſonſt geht das
Vergnuͤgen verlohren. Die Alten hatten in ihren
Sitten etwas, das ihnen den Gebrauch des Selbſt-
geſpraͤches natuͤrlich machte. Es war wuͤrklich ge-
woͤhnlich bey ihnen, daß Perſonen in wichtigen in-
ſonderheit traurigen Angelegenheiten des Herzens ihre
Gedanken der Luft und den Sternen laut vortrugen.

Um dieſe Auftritte ſo natuͤrlich zu machen, als
moͤglich iſt, muß ſowol der Dichter, als der Schau-
ſpieler das Seinige dazu beytragen. Der erſtere muß
ſie niemal anbringen, als wo es ſo viel moͤglich na-
tuͤrlich, oder unumgaͤnglich nothwendig iſt. Natuͤr-
licher Weiſe ſpricht der Menſch laut mit ſich ſelbſt
in ſtarken Affekten, da er ſich ſelbſt vergißt, oder
da, wo er in ſehr wichtigen Angelegenheiten keinen
Menſchen hat, dem er ſich anvertrauen koͤnnte. Es
iſt eine ſehr natuͤrliche Neigung aller Menſchen, daß
ſie gerne von dem reden, was ihr Herz ganz ein-
nihmt. Sie ſuchen, auch ſo gar gegen ihr Jntereſſe
Gelegenheit, davon zu ſprechen, und auch da, wo
dieſes wuͤrklich gefaͤhrlich wird, koͤnnen ſie ſich nicht
enthalten, wenigſtens von weiten etwas davon merken
zu laſſen. Jn dergleichen Umſtaͤnden kann der Dichter
ohne Bedenken ſie allein reden laſſen. Wenn er da-
bey noch die Vorſichtigkeit gebraucht, dem Zuſchauer
die beſchriebene Gemuͤthsverfaſſung der handelnden
Perſon deutlich zu erkennen zu geben, ſo wird kein
Menſch ſich am Selbſtgeſpraͤch ſtoßen.

Ferner
(*) S.
Septimen-
accord.
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[1062[1044]/0491] Sel Sel ſo daß izt die Septime ein Vorhalt der Sexte waͤre, und nun durch nochmahlige Verwechslung, dieſer Vorhalt in dem Baß zu liegen kaͤme, [Abbildung] ſo iſt klar, daß hier die erſte Baßnote die None des eigentlichen wahren Grundtones iſt, die deswegen durch heruntertreten reſolviren muß, wodurch ſie zur Octave des naͤchſten Grundtones wird. Die Se- cunde aber iſt die Terz dieſes Grundtones. (*) Der Accord darin die uͤbermaͤßige Secunde vor- kommt, entſteht aus der dritten Verwechslung des verminderten Septimenaccordes, und hat die zufaͤl- lige None des Grundtones zum Baßton. Dieſer Accord kann aber auch ein vorhaltender Accord des Dreyklanges bey einr unterbrochenen Cadenz ſeyn, naͤmlich die Secunde vor der Terz, die Quarte vor der Quinte oder Terz, und die Sexte vor der Quinte; alsdenn iſt der Baßton der wahre Grundton dieſes Accordes. Beyde Faͤlle kommen in folgendem Bey- ſpiehle vor: [Abbildung] Grundbaß: Da der Secundenaccord von allen Verwechslungen des Septimenaccordes die haͤrteſte an Harmonie, und durch die Diſſonanz im Baß gleichſam etwas maͤnnliches hat, ſo diener er vorzuͤglich zum Ausdruk ſtarker und heftiger Leidenſchaften. Bey Ausbruͤ- chen der Wuth, der Verzweifelung ꝛc. wird er oft mit der uͤbermaͤßigen Quarte ohne alle Vorberei- tung frey angeſchlagen. Selbſtgeſpraͤch. (Dramatiſche Dichtkunſt.) Ein Auftritt wo nur eine Perſon erſcheint, welche laut mit ſich ſelbſt ſpricht. Deswegen dieſes Ge- ſpraͤch auch durch das griechiſche Wort Monologe bezeichnet wird. Man findet ſehr wenig dramati- ſche Stuͤke, wo nicht dergleichen Auftritte vorkom- men. Man hat aber wol bemerkt, daß ſie meiſten- theils wieder die Wahrſcheinlichkeit ſeyn, indem es uͤberaus ſelten iſt, daß ein Menſch mit ſich ſelbſt laut ſpreche. Jndeſſen erfodert es bisweilen die Nothwendigkeit, daß der Dichter den Zuſchauer von gewiſſen geheimen Gedanken und Anſchlaͤgen der Perſonen unterrichte, welches er auf keinerley Weiſe thun kann, wenn er ſie nicht laut mit ſich ſel- ber ſprechen laͤßt. Ofte macht es auch dem Zu- ſchauer ein beſonderes Vergnuͤgen, einen Menſchen zu ſehen, der, weil er ſich allein glaubt, den gan- zen Grund ſeines Herzens ausſchuͤttet, und ſeine geheimeſte Gedanken an den Tag bringt. Es iſt alſo unſtreitig, daß das Selbſtgeſpraͤch der dramatiſchen Dichtkunſt nicht muͤſſe unterſagt wer- den, weil es nothwendig, und weil es angenehm iſt. Aber der Dichter muß ſich huͤten die Wahrſchein- lichkeit nicht allzuſehr zu beleidigen, ſonſt geht das Vergnuͤgen verlohren. Die Alten hatten in ihren Sitten etwas, das ihnen den Gebrauch des Selbſt- geſpraͤches natuͤrlich machte. Es war wuͤrklich ge- woͤhnlich bey ihnen, daß Perſonen in wichtigen in- ſonderheit traurigen Angelegenheiten des Herzens ihre Gedanken der Luft und den Sternen laut vortrugen. Um dieſe Auftritte ſo natuͤrlich zu machen, als moͤglich iſt, muß ſowol der Dichter, als der Schau- ſpieler das Seinige dazu beytragen. Der erſtere muß ſie niemal anbringen, als wo es ſo viel moͤglich na- tuͤrlich, oder unumgaͤnglich nothwendig iſt. Natuͤr- licher Weiſe ſpricht der Menſch laut mit ſich ſelbſt in ſtarken Affekten, da er ſich ſelbſt vergißt, oder da, wo er in ſehr wichtigen Angelegenheiten keinen Menſchen hat, dem er ſich anvertrauen koͤnnte. Es iſt eine ſehr natuͤrliche Neigung aller Menſchen, daß ſie gerne von dem reden, was ihr Herz ganz ein- nihmt. Sie ſuchen, auch ſo gar gegen ihr Jntereſſe Gelegenheit, davon zu ſprechen, und auch da, wo dieſes wuͤrklich gefaͤhrlich wird, koͤnnen ſie ſich nicht enthalten, wenigſtens von weiten etwas davon merken zu laſſen. Jn dergleichen Umſtaͤnden kann der Dichter ohne Bedenken ſie allein reden laſſen. Wenn er da- bey noch die Vorſichtigkeit gebraucht, dem Zuſchauer die beſchriebene Gemuͤthsverfaſſung der handelnden Perſon deutlich zu erkennen zu geben, ſo wird kein Menſch ſich am Selbſtgeſpraͤch ſtoßen. Ferner (*) S. Septimen- accord.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1062[1044]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/491>, abgerufen am 19.04.2024.