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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sin
gend, aber nicht gemein, mit Kunst gewürzt, harmo-
nisch richtig, und ohngeachtet des Zwanges der Worte,
ein vollkommenes und regelmäßiges Ganze seyn.

Was zum Ausdruk der Singstüke gehöre, davon
ist schon an einem andern Ort gesprochen worden. (*)

Man theilet die Singstüke in solche ein, worin
nur blos eine Singstimme den Hauptgesang führet;
dergleichen sind Lieder, die oft auch ohne alle Jn-
strumentalbegleitung sind, die Arien und Recitative;
und in solche, wo mehrere Stimmen zusammen sin-
gen, die wiederum in solche abgetheilt werden können,
wo die Stimmen gegen einander concertiren, als
Duette, Terzette u. d. gl. und in solche wo die erste
Singestimme den Hauptgesang hat, und von den
übrigen begleitet wird, dergleichen sind Choräle,
einige Motetten und Chöre. Von der Einrichtung
dieser besondern Arten der Singstüke aber ist in ih-
ren Artikeln gesprochen worden.

Sinnbild.
(Zeichnende Künste.)

Jst ein sichtbares Bild, das außer der unmittelba-
ren Vorstellung, die es erweket, noch eine andere
allgemeine Bedeutung hat. Nämlich in den zeich-
nenden Künsten vertritt das Sinnbild die Stelle
der Allegorie, des Gleichnisses, des Beyspiehls,
der Vergleichung oder der Metapher in der Rede;
und drükt etwas allgemeines durch das Besondere
aus. Viel Sinnbilder sind allegorisch; aber sie
sind es nicht nothwendig, und deswegen muß das
Sinnbild überhaupt nicht mit dem allegorischen
Bilde verwechselt werden.

Man kann demnach jedes Gemähld, oder über-
haupt jedes Werk der zeichnenden Künste, in so fern
es dienet etwas allgemeines anzudeuten, ein Sinn-
bild nennen. Das Bild der Pallas, das ursprüng-
lich eine vermeinte Gottheit vorstellte, ist nun ein
Sinnbild der Weißheit. Die Abbildung eines Mar-
cus Curtius,
der sich in einen entstandenen Schlund
der Erde stürzt, konnte ehedem die Vorstellung einer
besonderen, wahrhaften, oder vorgegebenen Ge-
schichte seyn; izt wär sie das Sinnbild eines für die
Errettung seiner Mitbürger sich selbst aufopfern-
den Patrioten. Da wäre sie ein Beyspiehl.

Also dienen überhaupt die Sinnbilder dazu, daß
sie die zeichnenden Künste in gewissenn Fällen zu einer
Sprache machen, die allgemeine Begriffe ausdrückt,
ob sie gleich ihrer Natur nach nur Begriffe von ein-
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Sin
zeln, oder individuellen Dingen erwecken können.
Aus dem was wir im Artikel Allegorie gesagt haben,
erhellet hinlänglich, wie die eigentliche Allegorie von
dem Sinnbild unterschieden ist, und warum jede Alle-
gorie ein Sinnbild, aber nicht jedes Sinnbild eine
Allegorie ist. Achilles, als das Bild eines kühnen
und hitzigen Helden, Pylades, als das Bild eines
getreuen Freundes u. d. gl. sind keine Allegorien, aber
Sinnbilder.

Sie werden also überall gebraucht, wo die zeichnen-
den Künste allgemeine Vorstellungen erweken sollen.
Die Alten haben sie auf ihren Münzen, geschnitte-
nen Steinen, auf ihren Gefäßen und Geräthschaften,
an Gebäuden vielfältig angebracht. Es ist aller-
dings eine löbliche Bemühung, die zeichnenden und
bildenden Künste dazu anzuwenden, daß Dinge, die
wir zu unsrer Nothdurft täglich brauchen, wie das
Geld, die mancherley Geräthschaften, und unsre
Wohnungen, etwas an sich tragen, das nüzliche
allgemeine Begriffe täglich in uns erneuere. Hät-
ten die Griechen Taschenuhren gehabt, wie wir, so
würden sie dieselben unfehlbar nicht blos wie jezt ge-
schieht, mit unbedeutenden Zierrathen, sondern mit
allerhand Sinnbildern verschönert haben. (*) Hier-
aus erkennet man also die Natur und den Ge-
brauch der Sinnbilder.

Es ist also in den zeichnenden Künsten eine wich-
tige Frage, wie man Sinnbilder erfinde, und wie
eine besondere Sache, zum Sinnbild könne gemacht
werden. Dieses ist eigentlich das, was die soge-
nannte Jconologie lehren sollte. Die Erfindung
der Allegorie in zeichnenden Künsten, wovon wir
an seinem Orte gesprochen haben, ist nur ein Theil
davon. Das was wir in verschiedenen andern Arti-
keln über das Bild, das Gleichnis, das Beyspiehl,
und die Vergleichung überhaupt angemerkt haben,
müßte für die Jconologie besonders auf die zeich-
nenden Künste angewendet werden. (*)

Es kommt hier auf zwey Hauptsachen an, näm-
lich auf die genaue, aber dabey sinnreiche, oder
reizende Aehnlichkeit zwischen dem Bild und dem
Gegenbild, und auf das Mittel das Allgemeine in
dem besondern merkbar zu machen. Es ist nicht
genug, daß man einsehe, der zwischen der Wollust
und der Tugend stehende Herkules, könne, als ein
vollkommen ähnliches Bild eines edlen und tugend-
haften Jünglings, der einen rühmlichen Entschluß
wegen der Wahl seiner Lebensart faßt, gebraucht

werden.
(*) S. Aus-
druk S. 111.
u. Melodie.
(*) S.
Künste S.
620 u. 625.
(*) S.
Aehulich-
keir; Bild,
Beyspiehl,
Gleichnis,
Verglei-
chung.
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Sin
gend, aber nicht gemein, mit Kunſt gewuͤrzt, harmo-
niſch richtig, und ohngeachtet des Zwanges der Worte,
ein vollkommenes und regelmaͤßiges Ganze ſeyn.

Was zum Ausdruk der Singſtuͤke gehoͤre, davon
iſt ſchon an einem andern Ort geſprochen worden. (*)

Man theilet die Singſtuͤke in ſolche ein, worin
nur blos eine Singſtimme den Hauptgeſang fuͤhret;
dergleichen ſind Lieder, die oft auch ohne alle Jn-
ſtrumentalbegleitung ſind, die Arien und Recitative;
und in ſolche, wo mehrere Stimmen zuſammen ſin-
gen, die wiederum in ſolche abgetheilt werden koͤnnen,
wo die Stimmen gegen einander concertiren, als
Duette, Terzette u. d. gl. und in ſolche wo die erſte
Singeſtimme den Hauptgeſang hat, und von den
uͤbrigen begleitet wird, dergleichen ſind Choraͤle,
einige Motetten und Choͤre. Von der Einrichtung
dieſer beſondern Arten der Singſtuͤke aber iſt in ih-
ren Artikeln geſprochen worden.

Sinnbild.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Jſt ein ſichtbares Bild, das außer der unmittelba-
ren Vorſtellung, die es erweket, noch eine andere
allgemeine Bedeutung hat. Naͤmlich in den zeich-
nenden Kuͤnſten vertritt das Sinnbild die Stelle
der Allegorie, des Gleichniſſes, des Beyſpiehls,
der Vergleichung oder der Metapher in der Rede;
und druͤkt etwas allgemeines durch das Beſondere
aus. Viel Sinnbilder ſind allegoriſch; aber ſie
ſind es nicht nothwendig, und deswegen muß das
Sinnbild uͤberhaupt nicht mit dem allegoriſchen
Bilde verwechſelt werden.

Man kann demnach jedes Gemaͤhld, oder uͤber-
haupt jedes Werk der zeichnenden Kuͤnſte, in ſo fern
es dienet etwas allgemeines anzudeuten, ein Sinn-
bild nennen. Das Bild der Pallas, das urſpruͤng-
lich eine vermeinte Gottheit vorſtellte, iſt nun ein
Sinnbild der Weißheit. Die Abbildung eines Mar-
cus Curtius,
der ſich in einen entſtandenen Schlund
der Erde ſtuͤrzt, konnte ehedem die Vorſtellung einer
beſonderen, wahrhaften, oder vorgegebenen Ge-
ſchichte ſeyn; izt waͤr ſie das Sinnbild eines fuͤr die
Errettung ſeiner Mitbuͤrger ſich ſelbſt aufopfern-
den Patrioten. Da waͤre ſie ein Beyſpiehl.

Alſo dienen uͤberhaupt die Sinnbilder dazu, daß
ſie die zeichnenden Kuͤnſte in gewiſſeñ Faͤllen zu einer
Sprache machen, die allgemeine Begriffe ausdruͤckt,
ob ſie gleich ihrer Natur nach nur Begriffe von ein-
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Sin
zeln, oder individuellen Dingen erwecken koͤnnen.
Aus dem was wir im Artikel Allegorie geſagt haben,
erhellet hinlaͤnglich, wie die eigentliche Allegorie von
dem Sinnbild unterſchieden iſt, und warum jede Alle-
gorie ein Sinnbild, aber nicht jedes Sinnbild eine
Allegorie iſt. Achilles, als das Bild eines kuͤhnen
und hitzigen Helden, Pylades, als das Bild eines
getreuen Freundes u. d. gl. ſind keine Allegorien, aber
Sinnbilder.

Sie werden alſo uͤberall gebraucht, wo die zeichnen-
den Kuͤnſte allgemeine Vorſtellungen erweken ſollen.
Die Alten haben ſie auf ihren Muͤnzen, geſchnitte-
nen Steinen, auf ihren Gefaͤßen und Geraͤthſchaften,
an Gebaͤuden vielfaͤltig angebracht. Es iſt aller-
dings eine loͤbliche Bemuͤhung, die zeichnenden und
bildenden Kuͤnſte dazu anzuwenden, daß Dinge, die
wir zu unſrer Nothdurft taͤglich brauchen, wie das
Geld, die mancherley Geraͤthſchaften, und unſre
Wohnungen, etwas an ſich tragen, das nuͤzliche
allgemeine Begriffe taͤglich in uns erneuere. Haͤt-
ten die Griechen Taſchenuhren gehabt, wie wir, ſo
wuͤrden ſie dieſelben unfehlbar nicht blos wie jezt ge-
ſchieht, mit unbedeutenden Zierrathen, ſondern mit
allerhand Sinnbildern verſchoͤnert haben. (*) Hier-
aus erkennet man alſo die Natur und den Ge-
brauch der Sinnbilder.

Es iſt alſo in den zeichnenden Kuͤnſten eine wich-
tige Frage, wie man Sinnbilder erfinde, und wie
eine beſondere Sache, zum Sinnbild koͤnne gemacht
werden. Dieſes iſt eigentlich das, was die ſoge-
nannte Jconologie lehren ſollte. Die Erfindung
der Allegorie in zeichnenden Kuͤnſten, wovon wir
an ſeinem Orte geſprochen haben, iſt nur ein Theil
davon. Das was wir in verſchiedenen andern Arti-
keln uͤber das Bild, das Gleichnis, das Beyſpiehl,
und die Vergleichung uͤberhaupt angemerkt haben,
muͤßte fuͤr die Jconologie beſonders auf die zeich-
nenden Kuͤnſte angewendet werden. (*)

Es kommt hier auf zwey Hauptſachen an, naͤm-
lich auf die genaue, aber dabey ſinnreiche, oder
reizende Aehnlichkeit zwiſchen dem Bild und dem
Gegenbild, und auf das Mittel das Allgemeine in
dem beſondern merkbar zu machen. Es iſt nicht
genug, daß man einſehe, der zwiſchen der Wolluſt
und der Tugend ſtehende Herkules, koͤnne, als ein
vollkommen aͤhnliches Bild eines edlen und tugend-
haften Juͤnglings, der einen ruͤhmlichen Entſchluß
wegen der Wahl ſeiner Lebensart faßt, gebraucht

werden.
(*) S. Aus-
druk S. 111.
u. Melodie.
(*) S.
Kuͤnſte S.
620 u. 625.
(*) S.
Aehulich-
keir; Bild,
Beyſpiehl,
Gleichnis,
Verglei-
chung.
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[1080[1062]/0509] Sin Sin gend, aber nicht gemein, mit Kunſt gewuͤrzt, harmo- niſch richtig, und ohngeachtet des Zwanges der Worte, ein vollkommenes und regelmaͤßiges Ganze ſeyn. Was zum Ausdruk der Singſtuͤke gehoͤre, davon iſt ſchon an einem andern Ort geſprochen worden. (*) Man theilet die Singſtuͤke in ſolche ein, worin nur blos eine Singſtimme den Hauptgeſang fuͤhret; dergleichen ſind Lieder, die oft auch ohne alle Jn- ſtrumentalbegleitung ſind, die Arien und Recitative; und in ſolche, wo mehrere Stimmen zuſammen ſin- gen, die wiederum in ſolche abgetheilt werden koͤnnen, wo die Stimmen gegen einander concertiren, als Duette, Terzette u. d. gl. und in ſolche wo die erſte Singeſtimme den Hauptgeſang hat, und von den uͤbrigen begleitet wird, dergleichen ſind Choraͤle, einige Motetten und Choͤre. Von der Einrichtung dieſer beſondern Arten der Singſtuͤke aber iſt in ih- ren Artikeln geſprochen worden. Sinnbild. (Zeichnende Kuͤnſte.) Jſt ein ſichtbares Bild, das außer der unmittelba- ren Vorſtellung, die es erweket, noch eine andere allgemeine Bedeutung hat. Naͤmlich in den zeich- nenden Kuͤnſten vertritt das Sinnbild die Stelle der Allegorie, des Gleichniſſes, des Beyſpiehls, der Vergleichung oder der Metapher in der Rede; und druͤkt etwas allgemeines durch das Beſondere aus. Viel Sinnbilder ſind allegoriſch; aber ſie ſind es nicht nothwendig, und deswegen muß das Sinnbild uͤberhaupt nicht mit dem allegoriſchen Bilde verwechſelt werden. Man kann demnach jedes Gemaͤhld, oder uͤber- haupt jedes Werk der zeichnenden Kuͤnſte, in ſo fern es dienet etwas allgemeines anzudeuten, ein Sinn- bild nennen. Das Bild der Pallas, das urſpruͤng- lich eine vermeinte Gottheit vorſtellte, iſt nun ein Sinnbild der Weißheit. Die Abbildung eines Mar- cus Curtius, der ſich in einen entſtandenen Schlund der Erde ſtuͤrzt, konnte ehedem die Vorſtellung einer beſonderen, wahrhaften, oder vorgegebenen Ge- ſchichte ſeyn; izt waͤr ſie das Sinnbild eines fuͤr die Errettung ſeiner Mitbuͤrger ſich ſelbſt aufopfern- den Patrioten. Da waͤre ſie ein Beyſpiehl. Alſo dienen uͤberhaupt die Sinnbilder dazu, daß ſie die zeichnenden Kuͤnſte in gewiſſeñ Faͤllen zu einer Sprache machen, die allgemeine Begriffe ausdruͤckt, ob ſie gleich ihrer Natur nach nur Begriffe von ein- zeln, oder individuellen Dingen erwecken koͤnnen. Aus dem was wir im Artikel Allegorie geſagt haben, erhellet hinlaͤnglich, wie die eigentliche Allegorie von dem Sinnbild unterſchieden iſt, und warum jede Alle- gorie ein Sinnbild, aber nicht jedes Sinnbild eine Allegorie iſt. Achilles, als das Bild eines kuͤhnen und hitzigen Helden, Pylades, als das Bild eines getreuen Freundes u. d. gl. ſind keine Allegorien, aber Sinnbilder. Sie werden alſo uͤberall gebraucht, wo die zeichnen- den Kuͤnſte allgemeine Vorſtellungen erweken ſollen. Die Alten haben ſie auf ihren Muͤnzen, geſchnitte- nen Steinen, auf ihren Gefaͤßen und Geraͤthſchaften, an Gebaͤuden vielfaͤltig angebracht. Es iſt aller- dings eine loͤbliche Bemuͤhung, die zeichnenden und bildenden Kuͤnſte dazu anzuwenden, daß Dinge, die wir zu unſrer Nothdurft taͤglich brauchen, wie das Geld, die mancherley Geraͤthſchaften, und unſre Wohnungen, etwas an ſich tragen, das nuͤzliche allgemeine Begriffe taͤglich in uns erneuere. Haͤt- ten die Griechen Taſchenuhren gehabt, wie wir, ſo wuͤrden ſie dieſelben unfehlbar nicht blos wie jezt ge- ſchieht, mit unbedeutenden Zierrathen, ſondern mit allerhand Sinnbildern verſchoͤnert haben. (*) Hier- aus erkennet man alſo die Natur und den Ge- brauch der Sinnbilder. Es iſt alſo in den zeichnenden Kuͤnſten eine wich- tige Frage, wie man Sinnbilder erfinde, und wie eine beſondere Sache, zum Sinnbild koͤnne gemacht werden. Dieſes iſt eigentlich das, was die ſoge- nannte Jconologie lehren ſollte. Die Erfindung der Allegorie in zeichnenden Kuͤnſten, wovon wir an ſeinem Orte geſprochen haben, iſt nur ein Theil davon. Das was wir in verſchiedenen andern Arti- keln uͤber das Bild, das Gleichnis, das Beyſpiehl, und die Vergleichung uͤberhaupt angemerkt haben, muͤßte fuͤr die Jconologie beſonders auf die zeich- nenden Kuͤnſte angewendet werden. (*) Es kommt hier auf zwey Hauptſachen an, naͤm- lich auf die genaue, aber dabey ſinnreiche, oder reizende Aehnlichkeit zwiſchen dem Bild und dem Gegenbild, und auf das Mittel das Allgemeine in dem beſondern merkbar zu machen. Es iſt nicht genug, daß man einſehe, der zwiſchen der Wolluſt und der Tugend ſtehende Herkules, koͤnne, als ein vollkommen aͤhnliches Bild eines edlen und tugend- haften Juͤnglings, der einen ruͤhmlichen Entſchluß wegen der Wahl ſeiner Lebensart faßt, gebraucht werden. (*) S. Aus- druk S. 111. u. Melodie. (*) S. Kuͤnſte S. 620 u. 625. (*) S. Aehulich- keir; Bild, Beyſpiehl, Gleichnis, Verglei- chung.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1080[1062]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/509>, abgerufen am 20.04.2024.