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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Tet
Die Terz steht hier statt der Secunde, und ist die
zufällige None vom Fundamentalbaß, die ihre Re-
solution bis auf der folgenden Harmonie verzögert;
die Dissonanz der Septime liegt im Baß: daher ist
dieser Accord ein durch die Terz vorgehaltner Secun-
denaccord, und muß auch so behandelt werden (*).

Tetrachord.
(Musik.)

Bedeutet in der alten Musik der Griechen ein Ton-
system von vier Sayten oder Tönen, davon die zwey
äußersten eine Quarte gegen einander klingen. Es
ist im Artikel System gezeiget worden, daß die Alten
ihre Tonsysteme nach Tetrachorden eingetheilt haben,
so wie izt das unsrige nach Octaven eingetheilt wird.
Wenn z. B. Ptolemeus das diatonische System be-
stimmen will, sagt er nur, wie das Tetrachord, oder
die Quarte in demselben eingetheilt werde. Dieses
war auch hinlänglich, weil die Octave der Alten aus
zwey gleichen und ähnlichen Tetrachorden bestund,
denen die Unteroctave des höchsten Tones in der
Tiefe noch beygefügt wurde, wie im Artikel System
zu sehen ist. Deswegen brauchten sie auch in ihren
Singeschulen zur Solmisation nur vier Sylben ta,
te, te, to, da hernach, als das System in
Hexachorde, oder Sexten eingetheilt wurde, die
sechs aretinischen Sylben nöthig waren.

Wir halten es für überflüßig hier zu beschreiben,
wie die Alten ihre Tetrachorde angeordnet haben,
um das ganze System aller Töne daraus zusammen
zu sezen. Wer hierüber neugierig ist, kann die nö-
thigen Nachrichten darüber in Rousseaus Diction-
naire de Musique
finden.

Theilung.
(Musik.)

Unter diesem Worte begreifen wir das, was die
Tonsezer insgemein durch das lateinische Wort Di-
minutio
anzeigen. Es wird nämlich bey dem Un-
terricht im Contrapunkt, nachdem gezeiget worden,
wie zu einem Choralgesange von einer Stimme, noch
andre Stimmen von gleichen Noten sollen gesezt wer-
den, hernach auch gelehret, wie solche Stimmen
dazu zu sezen seyen, da auf eine Note des vorge-
schriebenen Chorals, in den andren Stimmen meh-
rere Noten von geringerer Geltung kommen. Diese
Noten sind dann Diminutiones genennt worden, weil
ihre Geltung mußte vermindert werden; da man
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The
gegen eine halbe Taktnote zwey Viertel, oder vier
Achtel sezte. Eben so kommen auch in dem doppel-
ten Contrapunkt Nachahmungen und Canons von
Noten kleinerer Geltung vor, die man deswegen
Imitationes per Diminutionem genennt hat.

Wir betrachten die Sache hier überhaupt als die
Theilung eines Tones in mehrere, und in so fern
auf eine Sylbe des Textes, oder auf ein Glied des
Taktes, anstatt einer Note, mehrere gesezt werden.
Der zierliche, melismatische Gesang, unterscheidet
sich von dem schlechten, oder ganz einfachen Choral-
gesange, hauptsächlich dadurch, daß in jenem ofte
statt eines einzigen Tones, der nach Maßgebung
des Taktes eine halbe, Viertel- oder Achtelnote seyn
sollte, mehrere, die aber zusammengenommen, nur
die Geltung des einen haben, gesungen werden.

Wenn man es auch zur Regel machen wollte,
daß in dem Saze auf jede Sylbe, oder in Jnstrumen-
talsachen auf jeden Takttheil, nur ein Ton gesezt wer-
den soll; so würden doch gefühlvolle Sänger und
Spiehler sich gewiß nicht daran binden, sondern gar
oft den Ton einer Sylbe des kräftigern Ausdruks
halber in mehrere theilen. Ohne Zweifel hat also
die Theilung in dem affektvollen Gesang ihren
Grund. Jn der That würde man dem Gesang und
auch den Jnstrumentalmelodien, die feinesten Schön-
heiten benehmen, wenn man keine getheilten Töne
zugeben, und in den 3/4 Takt blos Viertel, in dem
3/8 oder Takt lauter Achtel haben wollte. Man
würde dieser Einförmigkeit bald müde werden.

Es sind aber bey dieser Theilung der Töne einige
sehr wesentliche Regeln genau zu beobachten, wenn
der Saz nicht soll verworren werden. Man kann
nicht in jeder Taktart, jede Theilung anbringen, son-
dern nur solche, bey denen der Gang des Taktes
nicht verdunkelt werde. So leidet z. B. der gemeine
Allabrevetakt nicht wol eine Theilung in Achtelnoten.
Was aber hievon zu erinnern wäre, ist bereits im
Artikel Takt, bey jeder Taktart angezeiget worden.
Damit der Gang des Taktes bey vielstimmigen Stü-
ken durch die Theilungen nicht verdunkelt werde,
müssen sie nie in allen Stimmen zugleich angebracht
werden; es muß allemal eine Stimme durch die
der Taktart eigene Taktglieder fortschreiten.

Auch ist bey der Theilung in nachgeahmten Säzen
genau darauf zu sehen, daß dadurch der Nachdruk,
den eine Sylbe, oder ein Takttheil haben muß, nicht
verändert werde, und daß nicht das, was in dem

Haupt-
(*) S. Se-
cundenac-
cord.

[Spaltenumbruch]

Tet
Die Terz ſteht hier ſtatt der Secunde, und iſt die
zufaͤllige None vom Fundamentalbaß, die ihre Re-
ſolution bis auf der folgenden Harmonie verzoͤgert;
die Diſſonanz der Septime liegt im Baß: daher iſt
dieſer Accord ein durch die Terz vorgehaltner Secun-
denaccord, und muß auch ſo behandelt werden (*).

Tetrachord.
(Muſik.)

Bedeutet in der alten Muſik der Griechen ein Ton-
ſyſtem von vier Sayten oder Toͤnen, davon die zwey
aͤußerſten eine Quarte gegen einander klingen. Es
iſt im Artikel Syſtem gezeiget worden, daß die Alten
ihre Tonſyſteme nach Tetrachorden eingetheilt haben,
ſo wie izt das unſrige nach Octaven eingetheilt wird.
Wenn z. B. Ptolemeus das diatoniſche Syſtem be-
ſtimmen will, ſagt er nur, wie das Tetrachord, oder
die Quarte in demſelben eingetheilt werde. Dieſes
war auch hinlaͤnglich, weil die Octave der Alten aus
zwey gleichen und aͤhnlichen Tetrachorden beſtund,
denen die Unteroctave des hoͤchſten Tones in der
Tiefe noch beygefuͤgt wurde, wie im Artikel Syſtem
zu ſehen iſt. Deswegen brauchten ſie auch in ihren
Singeſchulen zur Solmiſation nur vier Sylben τα,
τε, τη, τω, da hernach, als das Syſtem in
Hexachorde, oder Sexten eingetheilt wurde, die
ſechs aretiniſchen Sylben noͤthig waren.

Wir halten es fuͤr uͤberfluͤßig hier zu beſchreiben,
wie die Alten ihre Tetrachorde angeordnet haben,
um das ganze Syſtem aller Toͤne daraus zuſammen
zu ſezen. Wer hieruͤber neugierig iſt, kann die noͤ-
thigen Nachrichten daruͤber in Rouſſeaus Diction-
naire de Muſique
finden.

Theilung.
(Muſik.)

Unter dieſem Worte begreifen wir das, was die
Tonſezer insgemein durch das lateiniſche Wort Di-
minutio
anzeigen. Es wird naͤmlich bey dem Un-
terricht im Contrapunkt, nachdem gezeiget worden,
wie zu einem Choralgeſange von einer Stimme, noch
andre Stimmen von gleichen Noten ſollen geſezt wer-
den, hernach auch gelehret, wie ſolche Stimmen
dazu zu ſezen ſeyen, da auf eine Note des vorge-
ſchriebenen Chorals, in den andren Stimmen meh-
rere Noten von geringerer Geltung kommen. Dieſe
Noten ſind dann Diminutiones genennt worden, weil
ihre Geltung mußte vermindert werden; da man
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The
gegen eine halbe Taktnote zwey Viertel, oder vier
Achtel ſezte. Eben ſo kommen auch in dem doppel-
ten Contrapunkt Nachahmungen und Canons von
Noten kleinerer Geltung vor, die man deswegen
Imitationes per Diminutionem genennt hat.

Wir betrachten die Sache hier uͤberhaupt als die
Theilung eines Tones in mehrere, und in ſo fern
auf eine Sylbe des Textes, oder auf ein Glied des
Taktes, anſtatt einer Note, mehrere geſezt werden.
Der zierliche, melismatiſche Geſang, unterſcheidet
ſich von dem ſchlechten, oder ganz einfachen Choral-
geſange, hauptſaͤchlich dadurch, daß in jenem ofte
ſtatt eines einzigen Tones, der nach Maßgebung
des Taktes eine halbe, Viertel- oder Achtelnote ſeyn
ſollte, mehrere, die aber zuſammengenommen, nur
die Geltung des einen haben, geſungen werden.

Wenn man es auch zur Regel machen wollte,
daß in dem Saze auf jede Sylbe, oder in Jnſtrumen-
talſachen auf jeden Takttheil, nur ein Ton geſezt wer-
den ſoll; ſo wuͤrden doch gefuͤhlvolle Saͤnger und
Spiehler ſich gewiß nicht daran binden, ſondern gar
oft den Ton einer Sylbe des kraͤftigern Ausdruks
halber in mehrere theilen. Ohne Zweifel hat alſo
die Theilung in dem affektvollen Geſang ihren
Grund. Jn der That wuͤrde man dem Geſang und
auch den Jnſtrumentalmelodien, die feineſten Schoͤn-
heiten benehmen, wenn man keine getheilten Toͤne
zugeben, und in den ¾ Takt blos Viertel, in dem
⅜ oder Takt lauter Achtel haben wollte. Man
wuͤrde dieſer Einfoͤrmigkeit bald muͤde werden.

Es ſind aber bey dieſer Theilung der Toͤne einige
ſehr weſentliche Regeln genau zu beobachten, wenn
der Saz nicht ſoll verworren werden. Man kann
nicht in jeder Taktart, jede Theilung anbringen, ſon-
dern nur ſolche, bey denen der Gang des Taktes
nicht verdunkelt werde. So leidet z. B. der gemeine
Allabrevetakt nicht wol eine Theilung in Achtelnoten.
Was aber hievon zu erinnern waͤre, iſt bereits im
Artikel Takt, bey jeder Taktart angezeiget worden.
Damit der Gang des Taktes bey vielſtimmigen Stuͤ-
ken durch die Theilungen nicht verdunkelt werde,
muͤſſen ſie nie in allen Stimmen zugleich angebracht
werden; es muß allemal eine Stimme durch die
der Taktart eigene Taktglieder fortſchreiten.

Auch iſt bey der Theilung in nachgeahmten Saͤzen
genau darauf zu ſehen, daß dadurch der Nachdruk,
den eine Sylbe, oder ein Takttheil haben muß, nicht
veraͤndert werde, und daß nicht das, was in dem

Haupt-
(*) S. Se-
cundenac-
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[1154[1136]/0583] Tet The Die Terz ſteht hier ſtatt der Secunde, und iſt die zufaͤllige None vom Fundamentalbaß, die ihre Re- ſolution bis auf der folgenden Harmonie verzoͤgert; die Diſſonanz der Septime liegt im Baß: daher iſt dieſer Accord ein durch die Terz vorgehaltner Secun- denaccord, und muß auch ſo behandelt werden (*). Tetrachord. (Muſik.) Bedeutet in der alten Muſik der Griechen ein Ton- ſyſtem von vier Sayten oder Toͤnen, davon die zwey aͤußerſten eine Quarte gegen einander klingen. Es iſt im Artikel Syſtem gezeiget worden, daß die Alten ihre Tonſyſteme nach Tetrachorden eingetheilt haben, ſo wie izt das unſrige nach Octaven eingetheilt wird. Wenn z. B. Ptolemeus das diatoniſche Syſtem be- ſtimmen will, ſagt er nur, wie das Tetrachord, oder die Quarte in demſelben eingetheilt werde. Dieſes war auch hinlaͤnglich, weil die Octave der Alten aus zwey gleichen und aͤhnlichen Tetrachorden beſtund, denen die Unteroctave des hoͤchſten Tones in der Tiefe noch beygefuͤgt wurde, wie im Artikel Syſtem zu ſehen iſt. Deswegen brauchten ſie auch in ihren Singeſchulen zur Solmiſation nur vier Sylben τα, τε, τη, τω, da hernach, als das Syſtem in Hexachorde, oder Sexten eingetheilt wurde, die ſechs aretiniſchen Sylben noͤthig waren. Wir halten es fuͤr uͤberfluͤßig hier zu beſchreiben, wie die Alten ihre Tetrachorde angeordnet haben, um das ganze Syſtem aller Toͤne daraus zuſammen zu ſezen. Wer hieruͤber neugierig iſt, kann die noͤ- thigen Nachrichten daruͤber in Rouſſeaus Diction- naire de Muſique finden. Theilung. (Muſik.) Unter dieſem Worte begreifen wir das, was die Tonſezer insgemein durch das lateiniſche Wort Di- minutio anzeigen. Es wird naͤmlich bey dem Un- terricht im Contrapunkt, nachdem gezeiget worden, wie zu einem Choralgeſange von einer Stimme, noch andre Stimmen von gleichen Noten ſollen geſezt wer- den, hernach auch gelehret, wie ſolche Stimmen dazu zu ſezen ſeyen, da auf eine Note des vorge- ſchriebenen Chorals, in den andren Stimmen meh- rere Noten von geringerer Geltung kommen. Dieſe Noten ſind dann Diminutiones genennt worden, weil ihre Geltung mußte vermindert werden; da man gegen eine halbe Taktnote zwey Viertel, oder vier Achtel ſezte. Eben ſo kommen auch in dem doppel- ten Contrapunkt Nachahmungen und Canons von Noten kleinerer Geltung vor, die man deswegen Imitationes per Diminutionem genennt hat. Wir betrachten die Sache hier uͤberhaupt als die Theilung eines Tones in mehrere, und in ſo fern auf eine Sylbe des Textes, oder auf ein Glied des Taktes, anſtatt einer Note, mehrere geſezt werden. Der zierliche, melismatiſche Geſang, unterſcheidet ſich von dem ſchlechten, oder ganz einfachen Choral- geſange, hauptſaͤchlich dadurch, daß in jenem ofte ſtatt eines einzigen Tones, der nach Maßgebung des Taktes eine halbe, Viertel- oder Achtelnote ſeyn ſollte, mehrere, die aber zuſammengenommen, nur die Geltung des einen haben, geſungen werden. Wenn man es auch zur Regel machen wollte, daß in dem Saze auf jede Sylbe, oder in Jnſtrumen- talſachen auf jeden Takttheil, nur ein Ton geſezt wer- den ſoll; ſo wuͤrden doch gefuͤhlvolle Saͤnger und Spiehler ſich gewiß nicht daran binden, ſondern gar oft den Ton einer Sylbe des kraͤftigern Ausdruks halber in mehrere theilen. Ohne Zweifel hat alſo die Theilung in dem affektvollen Geſang ihren Grund. Jn der That wuͤrde man dem Geſang und auch den Jnſtrumentalmelodien, die feineſten Schoͤn- heiten benehmen, wenn man keine getheilten Toͤne zugeben, und in den ¾ Takt blos Viertel, in dem ⅜ oder [FORMEL] Takt lauter Achtel haben wollte. Man wuͤrde dieſer Einfoͤrmigkeit bald muͤde werden. Es ſind aber bey dieſer Theilung der Toͤne einige ſehr weſentliche Regeln genau zu beobachten, wenn der Saz nicht ſoll verworren werden. Man kann nicht in jeder Taktart, jede Theilung anbringen, ſon- dern nur ſolche, bey denen der Gang des Taktes nicht verdunkelt werde. So leidet z. B. der gemeine Allabrevetakt nicht wol eine Theilung in Achtelnoten. Was aber hievon zu erinnern waͤre, iſt bereits im Artikel Takt, bey jeder Taktart angezeiget worden. Damit der Gang des Taktes bey vielſtimmigen Stuͤ- ken durch die Theilungen nicht verdunkelt werde, muͤſſen ſie nie in allen Stimmen zugleich angebracht werden; es muß allemal eine Stimme durch die der Taktart eigene Taktglieder fortſchreiten. Auch iſt bey der Theilung in nachgeahmten Saͤzen genau darauf zu ſehen, daß dadurch der Nachdruk, den eine Sylbe, oder ein Takttheil haben muß, nicht veraͤndert werde, und daß nicht das, was in dem Haupt- (*) S. Se- cundenac- cord.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1154[1136]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/583>, abgerufen am 19.04.2024.