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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Lan
viel zu der Schönheit des Ganzen beyträgt. Der
helle, erquikende Ton, muß im Frühling, der sanfte,
duftige, im Herbst studirt werden. Wer sich aber
in der Kunst der Harmonie prüfen will, der mahle
Frühlingslandschaften; denn in diesen ist sie am
schweeresten zu erreichen. (*)

Des-Piles, dem auch der Hr. von Hagedorn zu
folgen scheinet, theilet die Landschaft in zwey Gat-
tungen ein, die heroische und die Hirtenstüke; aber
es giebt eine Mittelgattung, die zu keiner der vor-
hergehenden kann gerechnet werden, da sie haupt-
sächlich Scenen aus dem Geschäfte-treibenden bür-
gerlichen Leben vorstellt, wie die Seehäfen des Lin-
gelbachs und des Vernets. Man muß sowol von
dem leblosen, als dem sittlichen Jnhalt der Land-
schaft, die Bestimmung ihrer Gattung hernehmen.
Nach jenem hat man zwey Arten, die gesperrten Land-
schaften, wie der Hr. von Hagedorn sie nennt, und
die wir anderswo Gegenden nennen, und die offenen
Landschaften von freyer Aussicht in entfernte Gegen-
den. Jn Ansehung der Staffirung, oder der aus
der thierischen und sittlichen Natur mit der Land-
schaft verbundenen Scenen, entstehen vielerley Ar-
ten, durch deren nähere Bestimmung die Theorie
der Kunst wenig gewinnen würde. Denn was
hierüber dem Künstler zu genauerer Ueberlegung zu
empfehlen ist, kann in eine allgemeine Maxime zu-
sammengefaßt werden. Was dem leblosen Stoff
aus der thierischen und sittlichen Natur eingemischt
wird, muß eine natürliche Verbindung damit ha-
ben, und beydes muß sich gegenseitig unterstüzen
und heben. Eine Wildnis erträgt nicht jeden Ge-
genstand, der sich in eine angebaute Gegend schikte.
Ein Künstler von empfindsamer Seele, den eine Ge-
gend, oder ausgebreitete Landschaft gerührt hat,
wird leichte die Gattung der ästhetischen Kraft, die
vorzüglich in derselben liegt, unterscheiden. Hat er
denn eine reiche Einbildungskraft, Kenntnis der
Welt und der Menschen, so werden ihm Gegen-
stände genug einfallen, die das Gemüth mit Kräf-
ten derselben Art angreifen. Jn einer finstern un-
angenehmen Wildnis, wird er einen menschenscheu-
hen Fantasten; und in einer angenehmen schönen
Wildnis, lieber einen ehrwürdigen Einsiedler woh-
nen lassen, der die Welt verlassen hat, um der Ruhe
zu genießen. Bisweilen liegt in dem leblosen Stoff
[Spaltenumbruch]

Lar Laß
erstaunliche Kraft die Empfindungen zu verstärken.
So wie Haller, da er seine Seele zum höchsten Grad
einer finstern Ernsthaftigkeit stimmen will, sich in
Gedanken in eine Wildnis versezt;

Jn Wälder wo kein Licht durch finstre Tannen strahlt,
Wo sich in jedem Bild die Nacht des Grabes mahlt;

so findet auch im Gegentheil der Mahler zu einer
fröhlichen oder traurigen Gegend, zu einer frucht-
baren oder dürren Landschaft, einen sittlichen oder
leidenschaftlichen Gegenstand, der durch jenes ver-
stärkt wird; wann es ihm nur nicht an dem poeti-
schen Genie fehlet. Und wie der Dichter jedes ein-
zele Bild, jedes Wort, in den eigentlichen Ton sei-
nes Jnhalts stimmet, so muß auch der Landschaft-
mahler, den geringsten Gegenständen den Charakter
des Ganzen zu geben wissen. Nic. Pußin und Sal-
vator Rosa können hierin zu Mustern dienen.

Was sonst hier noch von dem verschiedenen Cha-
rakter der Landschaften und der berühmtesten Land-
schaftmahler zu sagen wäre, hat der Herr von Hagedorn
in seinen Betrachtungen über die Mahlerey, die in al-
ler Liebhaber Händen sind, so fürtreflich ausgeführt,
daß es unnöthig ist, hier dasselbe zu wiederholen.

Largo.
(Musik.)

Bedeutet die langsamesie Bewegung des Takts,
wo die Haupttöne der Melodie in feyerlicher Lang-
samkeit und gleichsam tief aus der Brust hergeholt,
auf einander folgen. Diese Bewegung schiket sich
also für Leidenschaften, die sich mit feyerlicher Lang-
samkeit äußern, für melancholische Traurigkeit, und
etwas finstere Andacht. Um nicht langweilig zu
werden, soll ein Largo nur kurz seyn, weil es nicht
wol möglich ist, mit dem äußersten Grad der Auf-
merksamkeit, der hiezu erfodert wird, lang anzu-
halten. Die nöthige Behutsamkeit die dem Tonsezer
und dem Spieler beym Adagio empfohlen worden, (*)
muß hier noch sorgfältiger angewendet werden.

Laßiren.
(Mahlerey.)

Dieses Kunstwort ist vielleicht aus dem übel ver-
standenen französischen Wort glacer entstanden, und
sollte glaßiren heißen; (+) beyde bedeuten eine Farbe

mit
(*) S.
Ton. Luft-
perspektiv.
(*) S.
Adagio
(+) [Spaltenumbruch] Der Hr. v. Hagedorn braucht auch das Wort Glaßi-
[Spaltenumbruch] ren. Jch habe vielfältig von Mahlern das Wort laßiren ge-

[Spaltenumbruch]

Lan
viel zu der Schoͤnheit des Ganzen beytraͤgt. Der
helle, erquikende Ton, muß im Fruͤhling, der ſanfte,
duftige, im Herbſt ſtudirt werden. Wer ſich aber
in der Kunſt der Harmonie pruͤfen will, der mahle
Fruͤhlingslandſchaften; denn in dieſen iſt ſie am
ſchweereſten zu erreichen. (*)

Des-Piles, dem auch der Hr. von Hagedorn zu
folgen ſcheinet, theilet die Landſchaft in zwey Gat-
tungen ein, die heroiſche und die Hirtenſtuͤke; aber
es giebt eine Mittelgattung, die zu keiner der vor-
hergehenden kann gerechnet werden, da ſie haupt-
ſaͤchlich Scenen aus dem Geſchaͤfte-treibenden buͤr-
gerlichen Leben vorſtellt, wie die Seehaͤfen des Lin-
gelbachs und des Vernets. Man muß ſowol von
dem lebloſen, als dem ſittlichen Jnhalt der Land-
ſchaft, die Beſtimmung ihrer Gattung hernehmen.
Nach jenem hat man zwey Arten, die geſperrten Land-
ſchaften, wie der Hr. von Hagedorn ſie nennt, und
die wir anderswo Gegenden nennen, und die offenen
Landſchaften von freyer Ausſicht in entfernte Gegen-
den. Jn Anſehung der Staffirung, oder der aus
der thieriſchen und ſittlichen Natur mit der Land-
ſchaft verbundenen Scenen, entſtehen vielerley Ar-
ten, durch deren naͤhere Beſtimmung die Theorie
der Kunſt wenig gewinnen wuͤrde. Denn was
hieruͤber dem Kuͤnſtler zu genauerer Ueberlegung zu
empfehlen iſt, kann in eine allgemeine Maxime zu-
ſammengefaßt werden. Was dem lebloſen Stoff
aus der thieriſchen und ſittlichen Natur eingemiſcht
wird, muß eine natuͤrliche Verbindung damit ha-
ben, und beydes muß ſich gegenſeitig unterſtuͤzen
und heben. Eine Wildnis ertraͤgt nicht jeden Ge-
genſtand, der ſich in eine angebaute Gegend ſchikte.
Ein Kuͤnſtler von empfindſamer Seele, den eine Ge-
gend, oder ausgebreitete Landſchaft geruͤhrt hat,
wird leichte die Gattung der aͤſthetiſchen Kraft, die
vorzuͤglich in derſelben liegt, unterſcheiden. Hat er
denn eine reiche Einbildungskraft, Kenntnis der
Welt und der Menſchen, ſo werden ihm Gegen-
ſtaͤnde genug einfallen, die das Gemuͤth mit Kraͤf-
ten derſelben Art angreifen. Jn einer finſtern un-
angenehmen Wildnis, wird er einen menſchenſcheu-
hen Fantaſten; und in einer angenehmen ſchoͤnen
Wildnis, lieber einen ehrwuͤrdigen Einſiedler woh-
nen laſſen, der die Welt verlaſſen hat, um der Ruhe
zu genießen. Bisweilen liegt in dem lebloſen Stoff
[Spaltenumbruch]

Lar Laß
erſtaunliche Kraft die Empfindungen zu verſtaͤrken.
So wie Haller, da er ſeine Seele zum hoͤchſten Grad
einer finſtern Ernſthaftigkeit ſtimmen will, ſich in
Gedanken in eine Wildnis verſezt;

Jn Waͤlder wo kein Licht durch finſtre Tannen ſtrahlt,
Wo ſich in jedem Bild die Nacht des Grabes mahlt;

ſo findet auch im Gegentheil der Mahler zu einer
froͤhlichen oder traurigen Gegend, zu einer frucht-
baren oder duͤrren Landſchaft, einen ſittlichen oder
leidenſchaftlichen Gegenſtand, der durch jenes ver-
ſtaͤrkt wird; wann es ihm nur nicht an dem poeti-
ſchen Genie fehlet. Und wie der Dichter jedes ein-
zele Bild, jedes Wort, in den eigentlichen Ton ſei-
nes Jnhalts ſtimmet, ſo muß auch der Landſchaft-
mahler, den geringſten Gegenſtaͤnden den Charakter
des Ganzen zu geben wiſſen. Nic. Pußin und Sal-
vator Roſa koͤnnen hierin zu Muſtern dienen.

Was ſonſt hier noch von dem verſchiedenen Cha-
rakter der Landſchaften und der beruͤhmteſten Land-
ſchaftmahler zu ſagen waͤre, hat der Herr von Hagedorn
in ſeinen Betrachtungen uͤber die Mahlerey, die in al-
ler Liebhaber Haͤnden ſind, ſo fuͤrtreflich ausgefuͤhrt,
daß es unnoͤthig iſt, hier daſſelbe zu wiederholen.

Largo.
(Muſik.)

Bedeutet die langſameſie Bewegung des Takts,
wo die Haupttoͤne der Melodie in feyerlicher Lang-
ſamkeit und gleichſam tief aus der Bruſt hergeholt,
auf einander folgen. Dieſe Bewegung ſchiket ſich
alſo fuͤr Leidenſchaften, die ſich mit feyerlicher Lang-
ſamkeit aͤußern, fuͤr melancholiſche Traurigkeit, und
etwas finſtere Andacht. Um nicht langweilig zu
werden, ſoll ein Largo nur kurz ſeyn, weil es nicht
wol moͤglich iſt, mit dem aͤußerſten Grad der Auf-
merkſamkeit, der hiezu erfodert wird, lang anzu-
halten. Die noͤthige Behutſamkeit die dem Tonſezer
und dem Spieler beym Adagio empfohlen worden, (*)
muß hier noch ſorgfaͤltiger angewendet werden.

Laßiren.
(Mahlerey.)

Dieſes Kunſtwort iſt vielleicht aus dem uͤbel ver-
ſtandenen franzoͤſiſchen Wort glacer entſtanden, und
ſollte glaßiren heißen; (†) beyde bedeuten eine Farbe

mit
(*) S.
Ton. Luft-
perſpektiv.
(*) S.
Adagio
(†) [Spaltenumbruch] Der Hr. v. Hagedorn braucht auch das Wort Glaßi-
[Spaltenumbruch] ren. Jch habe vielfaͤltig von Mahlern das Wort laßiren ge-
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[676[658]/0093] Lan Lar Laß viel zu der Schoͤnheit des Ganzen beytraͤgt. Der helle, erquikende Ton, muß im Fruͤhling, der ſanfte, duftige, im Herbſt ſtudirt werden. Wer ſich aber in der Kunſt der Harmonie pruͤfen will, der mahle Fruͤhlingslandſchaften; denn in dieſen iſt ſie am ſchweereſten zu erreichen. (*) Des-Piles, dem auch der Hr. von Hagedorn zu folgen ſcheinet, theilet die Landſchaft in zwey Gat- tungen ein, die heroiſche und die Hirtenſtuͤke; aber es giebt eine Mittelgattung, die zu keiner der vor- hergehenden kann gerechnet werden, da ſie haupt- ſaͤchlich Scenen aus dem Geſchaͤfte-treibenden buͤr- gerlichen Leben vorſtellt, wie die Seehaͤfen des Lin- gelbachs und des Vernets. Man muß ſowol von dem lebloſen, als dem ſittlichen Jnhalt der Land- ſchaft, die Beſtimmung ihrer Gattung hernehmen. Nach jenem hat man zwey Arten, die geſperrten Land- ſchaften, wie der Hr. von Hagedorn ſie nennt, und die wir anderswo Gegenden nennen, und die offenen Landſchaften von freyer Ausſicht in entfernte Gegen- den. Jn Anſehung der Staffirung, oder der aus der thieriſchen und ſittlichen Natur mit der Land- ſchaft verbundenen Scenen, entſtehen vielerley Ar- ten, durch deren naͤhere Beſtimmung die Theorie der Kunſt wenig gewinnen wuͤrde. Denn was hieruͤber dem Kuͤnſtler zu genauerer Ueberlegung zu empfehlen iſt, kann in eine allgemeine Maxime zu- ſammengefaßt werden. Was dem lebloſen Stoff aus der thieriſchen und ſittlichen Natur eingemiſcht wird, muß eine natuͤrliche Verbindung damit ha- ben, und beydes muß ſich gegenſeitig unterſtuͤzen und heben. Eine Wildnis ertraͤgt nicht jeden Ge- genſtand, der ſich in eine angebaute Gegend ſchikte. Ein Kuͤnſtler von empfindſamer Seele, den eine Ge- gend, oder ausgebreitete Landſchaft geruͤhrt hat, wird leichte die Gattung der aͤſthetiſchen Kraft, die vorzuͤglich in derſelben liegt, unterſcheiden. Hat er denn eine reiche Einbildungskraft, Kenntnis der Welt und der Menſchen, ſo werden ihm Gegen- ſtaͤnde genug einfallen, die das Gemuͤth mit Kraͤf- ten derſelben Art angreifen. Jn einer finſtern un- angenehmen Wildnis, wird er einen menſchenſcheu- hen Fantaſten; und in einer angenehmen ſchoͤnen Wildnis, lieber einen ehrwuͤrdigen Einſiedler woh- nen laſſen, der die Welt verlaſſen hat, um der Ruhe zu genießen. Bisweilen liegt in dem lebloſen Stoff erſtaunliche Kraft die Empfindungen zu verſtaͤrken. So wie Haller, da er ſeine Seele zum hoͤchſten Grad einer finſtern Ernſthaftigkeit ſtimmen will, ſich in Gedanken in eine Wildnis verſezt; Jn Waͤlder wo kein Licht durch finſtre Tannen ſtrahlt, Wo ſich in jedem Bild die Nacht des Grabes mahlt; ſo findet auch im Gegentheil der Mahler zu einer froͤhlichen oder traurigen Gegend, zu einer frucht- baren oder duͤrren Landſchaft, einen ſittlichen oder leidenſchaftlichen Gegenſtand, der durch jenes ver- ſtaͤrkt wird; wann es ihm nur nicht an dem poeti- ſchen Genie fehlet. Und wie der Dichter jedes ein- zele Bild, jedes Wort, in den eigentlichen Ton ſei- nes Jnhalts ſtimmet, ſo muß auch der Landſchaft- mahler, den geringſten Gegenſtaͤnden den Charakter des Ganzen zu geben wiſſen. Nic. Pußin und Sal- vator Roſa koͤnnen hierin zu Muſtern dienen. Was ſonſt hier noch von dem verſchiedenen Cha- rakter der Landſchaften und der beruͤhmteſten Land- ſchaftmahler zu ſagen waͤre, hat der Herr von Hagedorn in ſeinen Betrachtungen uͤber die Mahlerey, die in al- ler Liebhaber Haͤnden ſind, ſo fuͤrtreflich ausgefuͤhrt, daß es unnoͤthig iſt, hier daſſelbe zu wiederholen. Largo. (Muſik.) Bedeutet die langſameſie Bewegung des Takts, wo die Haupttoͤne der Melodie in feyerlicher Lang- ſamkeit und gleichſam tief aus der Bruſt hergeholt, auf einander folgen. Dieſe Bewegung ſchiket ſich alſo fuͤr Leidenſchaften, die ſich mit feyerlicher Lang- ſamkeit aͤußern, fuͤr melancholiſche Traurigkeit, und etwas finſtere Andacht. Um nicht langweilig zu werden, ſoll ein Largo nur kurz ſeyn, weil es nicht wol moͤglich iſt, mit dem aͤußerſten Grad der Auf- merkſamkeit, der hiezu erfodert wird, lang anzu- halten. Die noͤthige Behutſamkeit die dem Tonſezer und dem Spieler beym Adagio empfohlen worden, (*) muß hier noch ſorgfaͤltiger angewendet werden. Laßiren. (Mahlerey.) Dieſes Kunſtwort iſt vielleicht aus dem uͤbel ver- ſtandenen franzoͤſiſchen Wort glacer entſtanden, und ſollte glaßiren heißen; (†) beyde bedeuten eine Farbe mit (*) S. Ton. Luft- perſpektiv. (*) S. Adagio (†) Der Hr. v. Hagedorn braucht auch das Wort Glaßi- ren. Jch habe vielfaͤltig von Mahlern das Wort laßiren ge-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 676[658]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/93>, abgerufen am 25.04.2024.