Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
der Vorstellungen.
VII.
Die Vorstellungen des innern Sinnes haben das-
selbige Unterscheidungsmerkmal der Vorstel-
lungen. Beweis davon aus Beobachtungen.

Bey den Vorstellungen, die wir von uns selbst, von
unsern innern Veränderungen, von unsern Thä-
tigkeiten und Vermögen haben, überhaupt bey solchen,
die zu den Vorstellungen des innern Sinnes gehö-
ren, treffen wir eine größere Dunkelheit an. Sollten
auch diese Vorstellungen wohl Vorstellungen in dem
nemlichen Verstande heissen können, wie die Vorstel-
lungen von äußern Gegenständen? Wolf nahm das
Wort Vorstellung in einer so weiten Bedeutung, daß
er freygebig mit dieser Benennung seyn konnte, und
dennoch hat er in seiner grössern Psychologie, da wo von
den Vorstellungen des innern Sinnes die Rede ist, sich
dieser Benennung selten, oder gar nicht bedienet. Er
saget nicht: wir haben Vorstellungen von dem, was in
uns vorgehet, von unsern Denkarten, Gemüthszustän-
den und Thätigkeiten, sondern er bedient sich der Aus-
drücke, wir empfinden dergleichen in uns, wir
sind uns dessen bewußt.
Und doch nannte er die
Empfindungen des äußern Sinnes, und ihre Einbildun-
gen sinnliche Vorstellungen von Gegenständen au-
ßer uns. War dieß etwann eine Wirkung seines Ge-
fühls, daß der Name Vorstellung jenen nicht in dersel-
bigen Bedeutung zukomme, als diesen? denn deutlich
hat er, so viel ich weiß, sich darüber nicht erkläret.
Wie ferne haben wir denn auch Vorstellungen von jenen?

Zuvörderst ist hier nur von der ersten Eigenschaft
der Vorstellungen die Rede, daß sie sich auf vorherge-
gangene Modifikationen beziehen, wovon sie als ihre
Abdrücke in uns zurückgelassen sind, und durch die Kraft
der Seele wieder hervorgezogen werden können, ohne

daß
der Vorſtellungen.
VII.
Die Vorſtellungen des innern Sinnes haben daſ-
ſelbige Unterſcheidungsmerkmal der Vorſtel-
lungen. Beweis davon aus Beobachtungen.

Bey den Vorſtellungen, die wir von uns ſelbſt, von
unſern innern Veraͤnderungen, von unſern Thaͤ-
tigkeiten und Vermoͤgen haben, uͤberhaupt bey ſolchen,
die zu den Vorſtellungen des innern Sinnes gehoͤ-
ren, treffen wir eine groͤßere Dunkelheit an. Sollten
auch dieſe Vorſtellungen wohl Vorſtellungen in dem
nemlichen Verſtande heiſſen koͤnnen, wie die Vorſtel-
lungen von aͤußern Gegenſtaͤnden? Wolf nahm das
Wort Vorſtellung in einer ſo weiten Bedeutung, daß
er freygebig mit dieſer Benennung ſeyn konnte, und
dennoch hat er in ſeiner groͤſſern Pſychologie, da wo von
den Vorſtellungen des innern Sinnes die Rede iſt, ſich
dieſer Benennung ſelten, oder gar nicht bedienet. Er
ſaget nicht: wir haben Vorſtellungen von dem, was in
uns vorgehet, von unſern Denkarten, Gemuͤthszuſtaͤn-
den und Thaͤtigkeiten, ſondern er bedient ſich der Aus-
druͤcke, wir empfinden dergleichen in uns, wir
ſind uns deſſen bewußt.
Und doch nannte er die
Empfindungen des aͤußern Sinnes, und ihre Einbildun-
gen ſinnliche Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden au-
ßer uns. War dieß etwann eine Wirkung ſeines Ge-
fuͤhls, daß der Name Vorſtellung jenen nicht in derſel-
bigen Bedeutung zukomme, als dieſen? denn deutlich
hat er, ſo viel ich weiß, ſich daruͤber nicht erklaͤret.
Wie ferne haben wir denn auch Vorſtellungen von jenen?

Zuvoͤrderſt iſt hier nur von der erſten Eigenſchaft
der Vorſtellungen die Rede, daß ſie ſich auf vorherge-
gangene Modifikationen beziehen, wovon ſie als ihre
Abdruͤcke in uns zuruͤckgelaſſen ſind, und durch die Kraft
der Seele wieder hervorgezogen werden koͤnnen, ohne

daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0105" n="45"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der Vor&#x017F;tellungen.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">VII.</hi><lb/>
Die Vor&#x017F;tellungen des innern Sinnes haben da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbige Unter&#x017F;cheidungsmerkmal der Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen. Beweis davon aus Beobachtungen.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">B</hi>ey den Vor&#x017F;tellungen, die wir von uns &#x017F;elb&#x017F;t, von<lb/>
un&#x017F;ern <hi rendition="#fr">innern</hi> Vera&#x0364;nderungen, von un&#x017F;ern Tha&#x0364;-<lb/>
tigkeiten und Vermo&#x0364;gen haben, u&#x0364;berhaupt bey &#x017F;olchen,<lb/>
die zu den <hi rendition="#fr">Vor&#x017F;tellungen des innern Sinnes</hi> geho&#x0364;-<lb/>
ren, treffen wir eine gro&#x0364;ßere Dunkelheit an. Sollten<lb/>
auch die&#x017F;e Vor&#x017F;tellungen wohl Vor&#x017F;tellungen in dem<lb/>
nemlichen Ver&#x017F;tande hei&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen, wie die Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen von <hi rendition="#fr">a&#x0364;ußern</hi> Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden? <hi rendition="#fr">Wolf</hi> nahm das<lb/>
Wort Vor&#x017F;tellung in einer &#x017F;o weiten Bedeutung, daß<lb/>
er freygebig mit die&#x017F;er Benennung &#x017F;eyn konnte, und<lb/>
dennoch hat er in &#x017F;einer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern P&#x017F;ychologie, da wo von<lb/>
den Vor&#x017F;tellungen des innern Sinnes die Rede i&#x017F;t, &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;er Benennung &#x017F;elten, oder gar nicht bedienet. Er<lb/>
&#x017F;aget nicht: wir haben Vor&#x017F;tellungen von dem, was in<lb/>
uns vorgehet, von un&#x017F;ern Denkarten, Gemu&#x0364;thszu&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den und Tha&#x0364;tigkeiten, &#x017F;ondern er bedient &#x017F;ich der Aus-<lb/>
dru&#x0364;cke, <hi rendition="#fr">wir empfinden dergleichen in uns, wir<lb/>
&#x017F;ind uns de&#x017F;&#x017F;en bewußt.</hi> Und doch nannte er die<lb/>
Empfindungen des a&#x0364;ußern Sinnes, und ihre Einbildun-<lb/>
gen <hi rendition="#fr">&#x017F;innliche Vor&#x017F;tellungen</hi> von Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden au-<lb/>
ßer uns. War dieß etwann eine Wirkung &#x017F;eines Ge-<lb/>
fu&#x0364;hls, daß der Name Vor&#x017F;tellung jenen nicht in der&#x017F;el-<lb/>
bigen Bedeutung zukomme, als die&#x017F;en? denn deutlich<lb/>
hat er, &#x017F;o viel ich weiß, &#x017F;ich daru&#x0364;ber nicht erkla&#x0364;ret.<lb/>
Wie ferne haben wir denn auch Vor&#x017F;tellungen von jenen?</p><lb/>
          <p>Zuvo&#x0364;rder&#x017F;t i&#x017F;t hier nur von der er&#x017F;ten Eigen&#x017F;chaft<lb/>
der Vor&#x017F;tellungen die Rede, daß &#x017F;ie &#x017F;ich auf vorherge-<lb/>
gangene Modifikationen beziehen, wovon &#x017F;ie als ihre<lb/>
Abdru&#x0364;cke in uns zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind, und durch die Kraft<lb/>
der Seele wieder hervorgezogen werden ko&#x0364;nnen, ohne<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0105] der Vorſtellungen. VII. Die Vorſtellungen des innern Sinnes haben daſ- ſelbige Unterſcheidungsmerkmal der Vorſtel- lungen. Beweis davon aus Beobachtungen. Bey den Vorſtellungen, die wir von uns ſelbſt, von unſern innern Veraͤnderungen, von unſern Thaͤ- tigkeiten und Vermoͤgen haben, uͤberhaupt bey ſolchen, die zu den Vorſtellungen des innern Sinnes gehoͤ- ren, treffen wir eine groͤßere Dunkelheit an. Sollten auch dieſe Vorſtellungen wohl Vorſtellungen in dem nemlichen Verſtande heiſſen koͤnnen, wie die Vorſtel- lungen von aͤußern Gegenſtaͤnden? Wolf nahm das Wort Vorſtellung in einer ſo weiten Bedeutung, daß er freygebig mit dieſer Benennung ſeyn konnte, und dennoch hat er in ſeiner groͤſſern Pſychologie, da wo von den Vorſtellungen des innern Sinnes die Rede iſt, ſich dieſer Benennung ſelten, oder gar nicht bedienet. Er ſaget nicht: wir haben Vorſtellungen von dem, was in uns vorgehet, von unſern Denkarten, Gemuͤthszuſtaͤn- den und Thaͤtigkeiten, ſondern er bedient ſich der Aus- druͤcke, wir empfinden dergleichen in uns, wir ſind uns deſſen bewußt. Und doch nannte er die Empfindungen des aͤußern Sinnes, und ihre Einbildun- gen ſinnliche Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden au- ßer uns. War dieß etwann eine Wirkung ſeines Ge- fuͤhls, daß der Name Vorſtellung jenen nicht in derſel- bigen Bedeutung zukomme, als dieſen? denn deutlich hat er, ſo viel ich weiß, ſich daruͤber nicht erklaͤret. Wie ferne haben wir denn auch Vorſtellungen von jenen? Zuvoͤrderſt iſt hier nur von der erſten Eigenſchaft der Vorſtellungen die Rede, daß ſie ſich auf vorherge- gangene Modifikationen beziehen, wovon ſie als ihre Abdruͤcke in uns zuruͤckgelaſſen ſind, und durch die Kraft der Seele wieder hervorgezogen werden koͤnnen, ohne daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/105
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/105>, abgerufen am 18.04.2024.