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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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I. Versuch. Ueber die Natur
le, aus diesen gegebenen einfachen Empfindungsvorstel-
lungen, als den Bestandtheilen, eine verwirrte Vorstel-
lung von der grünen Farbe zu machen.

Warum verlangten denn die Antimonadisten, die
sinnliche Vorstellung von einem Körper solle sich im
Kopf in die Vorstellung von ihren ersten Elementen zer-
gliedern lassen? und warum bestritt man Leibnitzens
Lehre von den unausgedehnten Wesen aus dem Grunde,
weil es unmöglich ist, aus der Verbindung oder Auf-
häufung der Vorstellungen, von ihnen eine Vorstellung
von einem ausgedehnten Körper herauszubringen?
Durch eine ähnliche Logik müßte man Newtons Optik
bestreiten. Es läßt sich diese Vermischung eben so we-
nig bewerkstelligen, als man im Gegentheil die ver-
wirrte
Vorstellung vom Körper in die Vorstellungen
der einfachen unkörperlichen Dinge auflösen kann. Das
Verundeutlichen einer deutlichen Vorstellung ist die
umgekehrte Operation von dem Verdeutlichen einer
verwirrten. Eine sinnliche Vorstellung, bey welcher
die Eine dieser Arbeiten bey unsern Bildern uns nicht
möglich ist, bey der ist es vergebens, die andere zu ver-
suchen. Die Philosophen haben eine Wahrheit gesagt,
wenn sie behauptet, es sey unmöglich, ausder metaphy-
sischen Monadologie die Phänomene in der Körperwelt zu
erklären. Eine von den Ursachen davon lieget in der
angeführten Regel der Fiktion. Zwischen dem Sinn-
lichen
und dem Transcendenten, zwischen Metaphy-
sik und Physik, und eben so zwischen Metaphysik und
Psychologie ist eine Kluft, über welche gar nicht wegzu-
kommen ist. Eine andere Ursache hievon wird sich aus
andern Betrachtungen in der Folge ergeben.

6.

Unter den Wirkungen, die aus diesen beiden Aeuße-
rungen der Dichtkraft in den Vorstellungen entstehen,

finden

I. Verſuch. Ueber die Natur
le, aus dieſen gegebenen einfachen Empfindungsvorſtel-
lungen, als den Beſtandtheilen, eine verwirrte Vorſtel-
lung von der gruͤnen Farbe zu machen.

Warum verlangten denn die Antimonadiſten, die
ſinnliche Vorſtellung von einem Koͤrper ſolle ſich im
Kopf in die Vorſtellung von ihren erſten Elementen zer-
gliedern laſſen? und warum beſtritt man Leibnitzens
Lehre von den unausgedehnten Weſen aus dem Grunde,
weil es unmoͤglich iſt, aus der Verbindung oder Auf-
haͤufung der Vorſtellungen, von ihnen eine Vorſtellung
von einem ausgedehnten Koͤrper herauszubringen?
Durch eine aͤhnliche Logik muͤßte man Newtons Optik
beſtreiten. Es laͤßt ſich dieſe Vermiſchung eben ſo we-
nig bewerkſtelligen, als man im Gegentheil die ver-
wirrte
Vorſtellung vom Koͤrper in die Vorſtellungen
der einfachen unkoͤrperlichen Dinge aufloͤſen kann. Das
Verundeutlichen einer deutlichen Vorſtellung iſt die
umgekehrte Operation von dem Verdeutlichen einer
verwirrten. Eine ſinnliche Vorſtellung, bey welcher
die Eine dieſer Arbeiten bey unſern Bildern uns nicht
moͤglich iſt, bey der iſt es vergebens, die andere zu ver-
ſuchen. Die Philoſophen haben eine Wahrheit geſagt,
wenn ſie behauptet, es ſey unmoͤglich, ausder metaphy-
ſiſchen Monadologie die Phaͤnomene in der Koͤrperwelt zu
erklaͤren. Eine von den Urſachen davon lieget in der
angefuͤhrten Regel der Fiktion. Zwiſchen dem Sinn-
lichen
und dem Tranſcendenten, zwiſchen Metaphy-
ſik und Phyſik, und eben ſo zwiſchen Metaphyſik und
Pſychologie iſt eine Kluft, uͤber welche gar nicht wegzu-
kommen iſt. Eine andere Urſache hievon wird ſich aus
andern Betrachtungen in der Folge ergeben.

6.

Unter den Wirkungen, die aus dieſen beiden Aeuße-
rungen der Dichtkraft in den Vorſtellungen entſtehen,

finden
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[128/0188] I. Verſuch. Ueber die Natur le, aus dieſen gegebenen einfachen Empfindungsvorſtel- lungen, als den Beſtandtheilen, eine verwirrte Vorſtel- lung von der gruͤnen Farbe zu machen. Warum verlangten denn die Antimonadiſten, die ſinnliche Vorſtellung von einem Koͤrper ſolle ſich im Kopf in die Vorſtellung von ihren erſten Elementen zer- gliedern laſſen? und warum beſtritt man Leibnitzens Lehre von den unausgedehnten Weſen aus dem Grunde, weil es unmoͤglich iſt, aus der Verbindung oder Auf- haͤufung der Vorſtellungen, von ihnen eine Vorſtellung von einem ausgedehnten Koͤrper herauszubringen? Durch eine aͤhnliche Logik muͤßte man Newtons Optik beſtreiten. Es laͤßt ſich dieſe Vermiſchung eben ſo we- nig bewerkſtelligen, als man im Gegentheil die ver- wirrte Vorſtellung vom Koͤrper in die Vorſtellungen der einfachen unkoͤrperlichen Dinge aufloͤſen kann. Das Verundeutlichen einer deutlichen Vorſtellung iſt die umgekehrte Operation von dem Verdeutlichen einer verwirrten. Eine ſinnliche Vorſtellung, bey welcher die Eine dieſer Arbeiten bey unſern Bildern uns nicht moͤglich iſt, bey der iſt es vergebens, die andere zu ver- ſuchen. Die Philoſophen haben eine Wahrheit geſagt, wenn ſie behauptet, es ſey unmoͤglich, ausder metaphy- ſiſchen Monadologie die Phaͤnomene in der Koͤrperwelt zu erklaͤren. Eine von den Urſachen davon lieget in der angefuͤhrten Regel der Fiktion. Zwiſchen dem Sinn- lichen und dem Tranſcendenten, zwiſchen Metaphy- ſik und Phyſik, und eben ſo zwiſchen Metaphyſik und Pſychologie iſt eine Kluft, uͤber welche gar nicht wegzu- kommen iſt. Eine andere Urſache hievon wird ſich aus andern Betrachtungen in der Folge ergeben. 6. Unter den Wirkungen, die aus dieſen beiden Aeuße- rungen der Dichtkraft in den Vorſtellungen entſtehen, finden

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/188>, abgerufen am 19.04.2024.